Kulturlandgewinn mit Folgen für die Natur

Mit der Juragewässerkorrektion verschwanden grosse Moorflächen im Seeland. Dafür entstanden am Ufer des Neuenburgersees neue Feuchtgebiete. Die Balance zwischen der Nutzung und dem Schutz von Lebensräumen gilt es, stets von neuem auszutarieren.

150 Jahre Juragewässerkorrektion: Landschaft
Neue Naturschutzgebiete dank der Juragewässerkorrektion: Am Ostufer des Neuenburgersees im Gebiet Fanel mit dem Broyekanal.
© BAFU

Mit der Juragewässerkorrektion von 1868 – 1891 wurden in der Ebene zwischen Bieler-, Murten- und Neuenburgersee rund 400 km² Moorfläche trockengelegt. Der Natur gingen damit wertvolle Lebensräume verloren. Gelbbauchunke, Laubfrosch, Geburtshelferkröte, Kammmolch, zahlreiche Libellenarten und Wattvögel hatten das Nachsehen.

Erhebliche Folgen hatte die Juragewässerkorrektion naturgemäss für den Gewässerraum und die Flussauen. Augenfällig ist, dass die St.-Petersinsel im Bielersee infolge des tieferen Wasserpegels zur Halbinsel wurde. Und von den wilden Aareschlaufen mit einer Breite von mehreren hundert Metern, die vor der Korrektion an Lyss vorbeifloss, blieb ein schmales Rinnsal: die «alte Aare». Sie erstreckt sich zwischen Aarberg und Büren an der Aare und gehört zum längsten zusammenhängenden Altwassersystem der Schweiz. An ihren Ufern stehen die wenigen Überreste der einst ausgedehnten Auenwälder. 1961 wurde das Feuchtgebiet entlang der alten Aare vom Kanton Bern unter Naturschutz gestellt und 1992 ins Aueninventar von nationaler Bedeutung aufgenommen. Das Schutzgebiet der alten Aare bietet über zehn Amphibienarten und rund dreissig verschiedene Libellenarten einen Lebensraum. Verglichen mit anderen Standorten im Mittelland weist sie somit eine aussergewöhnlich hohe Artenvielfalt auf – und lässt erahnen, welche Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten das Grosse Moos vor der Juragewässerkorrektion beherbergte. 

Landschaftsgestaltung durch Torfabbau 

Pflanzenreste, die sich unter Luftabschluss im Moor nur unvollständig zersetzen, werden zu Torf. Dieses Material stellt eine Vorstufe der Kohle dar und kann in getrocknetem Zustand als Brennmaterial genutzt werden. Im Bernbiet wurde Torf ab den 1730er-Jahre abgebaut. So lange genug brennbares Holz zur Verfügung stand, fiel die Gewinnung von Torf jedoch kaum ins Gewicht. Um die Wende ins 19. Jahrhundert allerdings erlangte er als Brennmaterial immer grössere Bedeutung, denn der zunehmende Holzmangel beförderte den Griff zur Torfschaufel.

1857 begann die neu gegründete Berner Torfgesellschaft bei Hagneck mit der industriellen Torfproduktion. Zuvor war die Existenz der dort vorhandenen mächtigen Torfschichten einzig der von Johann Rudolf Schneider gegründeten «Vorbereitungs-Gesellschaft für die Jura-Gewässer-Correktion» bekannt. Sie hielt dieses Wissen allerdings geheim, weil sie mit dem Erlös aus dem Torfverkauf die Korrektionsarbeiten zu finanzieren gedachte. Als indes deutlich wurde, dass die Juragewässerkorrektion kaum privat zu realisieren sein würde, machte die Direktion der «Vorbereitungs-Gesellschaft» das Geheimnis um das reiche Torflager öffentlich.

In Krisenzeiten, wenn die Schweiz auf ihre eigenen Ressourcen angewiesen war, fiel die Torfproduktion besonders ins Gewicht. So wurde im Jahr 1917 die schweizerische Torfgesellschaft gegründet, die für sämtliche Fragen rund um den Abbau von Torf und seine Vermarktung zuständig war. Zwischen 1916 und 1921 lieferte der Kanton Bern schweizweit am meisten Torf, nämlich 16 Prozent der landesweiten Produktion. Ein beträchtlicher Teil davon stammte aus dem Seeland. Auch im zweiten Weltkrieg wurden im Grossen Moos beträchtliche Mengen an Torf gestochen. Mit zunehmender Elektrifizierung ging indes seine Bedeutung als Brennmaterial zurück.

Die meisten Torfstiche im Seeland wurden aufgefüllt, mit einer Humusschicht versehen und auf das Niveau des umgebenden Geländes planiert, um anschliessend wieder als Landwirtschaftsfläche zu dienen. Dennoch führte der Torfabbau teilweise zu grossflächigen Terrainsenkungen. Bei einzelnen besonders tiefen Torfstichen wurde indes auf eine Rekultivierung verzichtet, und es entstanden wertvolle Biotope: Im Gebiet des heutigen «Inser Torfstichs» westlich von Ins, im Ziegelmoos in Gampelen und im Wengimoos bildeten sich Schilf- und Rohrkolbenbestände, und es entstanden vielfältige Lebensräume mit Gräben, Gehölzen und Streuland. Sie bieten abwechslungsreiche Lebensräume für unzähligen Vogelarten, Amphibien sowie Wasser- und Verlandungspflanzen. Entgegen der staatlichen Vorgaben aus dem zweiten Weltkrieg wurden diese drei ehemaligen Torfgruben nicht in landwirtschaftliche Produktionsflächen zurückversetzt; aus heutiger Sicht erweisen sich diese «Unterlassungssünden» für die Seeländer Naturlandschaft als Segen. 

150 Jahre Juragewässerkorrektion: Torfabbau
Torfabbau im Seeland (ca. 1943).
© Kanton Bern

Torf als bleibende Herausforderung 

Die unvollständig zersetzten Pflanzenreste im Torf halten grosse Mengen an CO2 zurück. Ohnehin speichern Sumpf- und Moorböden von allen Böden am meisten Treibhausgas: Rund 30 Prozent des weltweit vorhandenen CO2 sind hier gebunden, obschon nur etwa 3 Prozent der globalen Landesfläche auf diese Biotope entfallen. Torfabbau und Trockenlegung von Feuchtgebieten setzen also riesige Mengen an Treibhausgas frei.

Obschon sein Abbau in der Schweiz seit Annahme der Rothenthurm-Initiative von 1987 verboten ist, wird der im Grossen Moos noch vorhandene Torf weiter dezimiert. Dies, weil dem Boden Wasser entzogen wird und zugleich Sauerstoff in die Torfschichten eindringt. Das organische Material zersetzt sich zu Wasser und CO2, und die intensive landwirtschaftliche Bearbeitung tut ein Übriges, um den Prozess zu beschleunigen. Die Folge: Der Boden sackt in sich zusammen – seit der ersten Juragewässerkorrektion hat er sich vielerorts um bis zu zweieinhalb Meter gesenkt. Dem Beobachter fallen die entsprechend höher liegenden Wege und die aus dem Boden ragenden Schachtdeckel der Entwässerungskanäle auf. Auch sind die Drainageleitungen teilweise freigelegt. Da sich der Boden nicht gleichmässig senkt, bilden sich in den Feldern Mulden, wo sich nach intensivem Regen das Wasser sammelt und die Kulturen ertränkt. Verschiedene agrarwissenschaftliche Institutionen untersuchen in Pilotprojekten, welche Massnahmen sich im Umgang mit den sensiblen Torfböden bewähren. 

Neue Feuchtbiotope dank Gewässerkorrektion 

Die Juragewässerkorrektion brachte indes nicht nur grossflächige Sumpfgebiete zum Verschwinden, sondern liess andernorts wertvolle Feuchtbiotope entstehen. Weil sich der Spiegel des Neuenburgersees infolge der Korrektion um rund 3 Meter senkte, bildete sich an seinen Süd- und Ostufern «la Grande Cariçaie» - ein Feuchtgebiet von insgesamt ungefähr 30 Quadratkilometern, das aus acht verschiedenen Naturschutzgebieten besteht. Es umfasst rund ein Fünftel der Flachmoore und ein Viertel der Auwaldgebiete im Schweizer Mittelland und beherbergt zahlreiche selten gewordene Tier- und Pflanzenarten. Im Jahr 1971 wurde es als Feuchtgebiet internationaler Bedeutung gemäss RAMSAR-Konvention anerkannt, und es figuriert auch in der Liste der Feuchtgebiete nationaler Bedeutung.

Auch längs des Hagneckkanals entstanden abwechslungsreiche Biotope. Das Delta in den Bielersee und der allmählich verlandende Stausee bei Niederried werden von Wattvögeln wie auch von Amphibien gerne aufgesucht. Die im Jahr 2016 abgeschlossene Sanierung des Kraftwerks Hagneck eröffnete gar Möglichkeiten für Revitalisierungsmassnahmen am Kanal. Belohnt wurde dieser Einsatz von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz mit der Auszeichnung des Hagneck-Kanals als «Landschaft des Jahres 2017». Gewürdigt wurden unter anderem das «Nebeneinander von intensiver Nutzung und hohem Schutzwert» sowie die «Zusammenarbeit von Architekten, Umweltfachleuten und Ingenieuren mit Blick aufs Ganze». Wenn also alle am gleichen Strick ziehen, lassen sich die vielfältigsten Anliegen unter einen Hut bringen – ohne dass die Natur das Nachsehen hat.

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Letzte Änderung 13.09.2017

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