Interview mit BAFU-Direktor Marc Chardonnens

30.06.2017 - Die Juragewässerkorrektion feiert 2017 ihr 150-jähriges Jubiläum. Die Wanderausstellung «Pegelstand», die in den nächsten Monaten in der Schweiz zu sehen ist, informiert über die Pionierleistung im Wasserbau, aber auch über neue Herausforderungen. Im Kurzinterview sagt BAFU-Direktor Marc Chardonnens, wieso die Juragewässerkorrektion auch in der Geschichte der Eidgenossenschaft eine spezielle Bedeutung hat und warum man heute die neuen Herausforderungen breiter betrachten muss als früher.

Porträt Marc Chardonnens
Marc Chardonnens, Direktor BAFU

Marc Chardonnens, Sie sind als BAFU-Direktor unter anderem für den Hochwasserschutz zuständig. Wieso war die Juragewässerkorrektion rund um den Bieler-, Murten- und Neuenburgersee und das Seeland etwas so Spezielles?

Das Seeland war vor 150 Jahren eine natürliche, versumpfte Landschaft mit vielen Flussarmen. Häufig gab es Überschwemmungen, die Bevölkerung hatte grosse gesundheitliche Probleme wie Malaria, sie war arm. Nach jahrzehntelangen Bemühungen einigten sich die Kantone mit der damals jungen Eidgenossenschaft auf das grosse Projekt, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Am 25. Juli 1867 bewilligte die Bundesversammlung die Finanzierung des Projekts in der Höhe von 5 Millionen Franken, unter anderem für die Ableitung der Aare von Aarberg in den Bielersee durch den Hagneckkanal. Das war von grosser staatspolitischer Bedeutung, denn es handelte sich um das erste Subventionsprojekt der Eidgenossenschaft. Und es ist die Geburt der Verbundaufgabe bei der Sicherheitsinfrastruktur zwischen Bund und Kantonen, die bis heute hält.

Hat das Riesenprojekt den Menschen die erhoffte Verbesserung gebracht?

Ja, aber es war nicht so einfach, wie ursprünglich gedacht. Das Ziel konnte erst nach der zweiten Juragewässerkorrektion mit der Regulieranlage Port (BE) im Nidau-Bühren-Kanal von 1939 sowie weiteren Arbeiten von 1962 bis 1973 erreicht werden. Die Regulierung der Alpen- und Jurarandseen hilft, entlang von Aare und Rhein das Risiko für Hochwasser kleiner zu halten. Hier hat der Bund als Koordinator zwischen den beteiligten Kantonen Bern, Solothurn, Aargau, Freiburg, Neuenburg und Waadt eine wichtige Rolle. Generell ermöglichte der Hochwasserschutz die wirtschaftliche Entwicklung des Seelandes, aber auch der Unterlieger, also der Menschen, die Aare abwärts leben. Interessanterweise diente beim Bundesbeschluss von 1867 der Wohlfahrtsartikel als Grundlage und nicht das Wasserbaugesetz. Und auch heute ist und bleibt die Sicherheitsinfrastruktur Voraussetzung für die Wohlfahrt und eine Verbundaufgabe zwischen Privaten, Gemeinden, den Kantonen und dem Bund.

Ungewollt haben die damaligen Protagonisten auch negative Entwicklungen ausgelöst, die damals nicht absehbar waren. So verschwanden durch die Juragewässerkorrektion Auen, Sümpfe, Riedwiesen, vielfältige Fliessgewässer, Seenlandschaften. Pflanzen und Tiere verloren Lebensräume, während die Menschen Lebensraum dazugewannen. Was bedeutet das aus heutiger Sicht?

Aus der Sicht der Biodiversität ging damals viel verloren. Aber als teilweiser Ersatz dient heute die «Grande Cariçaie», eine Landzunge am Neuenburgersee, die durch die Absenkung des Wasserspiegels hervorgekommen war. Sie spielt heute als grösstes zusammenhängendes Feuchtgebiet der Schweiz eine wichtige Rolle für die Biodiversität. Seit 1867 haben wir natürlich dazugelernt. Wir sehen, dass laufende und künftige Massnahmen ganzheitlich betrachtet werden müssen. Nicht nur die Infrastruktur für die Sicherheit wie z.B. Hochwasserdämme oder Regulierwehre müssen funktionieren. Auch alle anderen Umweltbereiche wie zum Beispiel Böden, Gewässer oder die Biodiversität müssen betrachtet und bestmöglich aufgewertet werden; dies nicht zuletzt im Hinblick auf die Klimaerwärmung.

Wagen wir noch einen Blick in die Zukunft. Was sind die neuen Probleme, die es zu lösen gilt?

Die Bauwerke der Juragewässerkorrektion erreichen langsam das Ende ihrer Lebenserwartung und müssen erneuert werden. Das bietet Gelegenheit, die negativen Auswirkungen der Korrektion bestmöglich rückgängig zu machen und uns für künftige Herausforderungen zu wappnen. Dazu gehören häufigere und heftigere Naturereignisse oder immer teurere Infrastrukturen. Die 2015 abgeschlossene Sanierung des Hagneckkanals ist ein gutes Beispiel für eine ganzheitliche Betrachtung: neben der technischen Infrastruktur wurden u.a. umfangreiche ökologische Massnahmen zur Förderung der Biodiversität und zur Aufwertung der Böden umgesetzt.

Video «Neuer Hagneckkanal»

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Letzte Änderung 15.09.2017

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