Hochwasserschutz in Delsberg (JU): «Ein Fluss wird zum Gesellschaftsprojekt»

2007 trat die Sorne über die Ufer und bescherte Delsberg ein Hochwasser mit Schäden in Millionenhöhe. Seitdem hat die Stadt zahlreiche Massnahmen zur Prävention ergriffen. «Delémont Marée Basse» dient aber nicht nur dem Hochwasserschutz, es war ein Gesellschaftsprojekt.

Text: Cornélia de Preux

Im Quartier Morépont in Delémont wurde das alte Flussufer aufgeweitet. Dabei entstanden Lebensräume und Nistplätze für zahlreiche Tierarten.
© Markus Forte | Ex-Press | BAFU

Den Hochwasser-Sommer 2007 werden auch die Menschen in Delsberg (JU) nicht so schnell vergessen: Am 8. und 9. August waren die Niederschläge aussergewöhnlich intensiv. Die Sorne schwoll stark an und trat über die Ufer. Das ganze Morépont-Quartier war überflutet; Keller, Parkflächen und weitere unterirdische Flächen standen unter Wasser. Der Schaden belief sich auf 10 Millionen Franken.

Heute ist in Morépont von der Katastrophe nichts mehr zu sehen. Und dank dem Projekt «Delémont Marée Basse» (DMB) hat sich vieles geändert: Die Sorne schlängelt sich friedlich zwischen Bäumen, Sträuchern, Kies- und Grüninseln hindurch. Sie ist jetzt doppelt so breit als zuvor: 40 statt 20 Meter. Durch die Revitalisierung ist eine natürliche Umgebung entstanden, die Lebensräume und Nistplätze für zahlreiche Tierarten bietet. Das Gebiet liegt nahe am Stadtzentrum und zieht ein grosses Publikum an – bei Schulen ist es als Freiluftlabor beliebt. Der neue Stadtpark verfügt über Spielflächen, Erholungszonen und Platz für verschiedene Veranstaltungen.

Chancen erkannt

«Mit ‹Delémont Marée Basse› sorgen wir für Sicherheit, berücksichtigen gleichzeitig den Revitalisierungsbedarf und schaffen einen Bonus für die Bevölkerung, nämlich den direkten Zugang zum Fluss», sagt Cédric Neukomm, Gemeindeingenieur von Delsberg. «Das Hochwasser von 2007 war ein Schock. Doch statt den Fokus nur auf den Hochwasserschutz zu legen, haben wir Chancen für die Verbesserung der Lebensqualität gesehen.»

David Siffert, Mitarbeiter der Sektion Hochwasserschutz beim BAFU, war von 2009 bis 2018 Gemeindeingenieur von Delsberg. Er erinnert sich, dass am Anfang sofort die dringendsten Probleme angegangen werden mussten: An den am meisten gefährdeten Orten liessen die Behörden zwei sogenannte Hinterdämme erstellen. Für die Arbeiten des Projekts DMB wurde die Stadt in drei Abschnitte unterteilt: den oben beschriebenen Sektor En Dozière, das Quartier Morépont und das Stadtzentrum. 2010 begannen die Arbeiten auf der über drei Kilometer langen Baustelle.

Mehr Raum für die Sorne

Im Sektor En Dozière wurden die ersten Umweltmassnahmen umgesetzt. Die Sorne bekam mehr Raum und gewann dadurch eine gewisse Dynamik zurück, wovon insbesondere die Fische profitieren. Es entstanden mit dem Fluss verbundene Naturräume wie Pionierstandorte oder Trockenwiesen. Der Campingplatz erhielt einen Strand, und die Fusswege wurden aufgewertet. Diese Mass­nahmen wurden partizipativ erarbeitet und ebneten den Weg für ähnliche Initiativen.

Das DBM-Projekt besticht sowohl durch seine ökologische und sozioökonomische Komponente als auch durch bauliche Massnahmen. Zu Letzteren ­gehört ein Bauwerk, das unweit des Stadtzentrums die Einleitung von Wasser auf das Eisenbahntrassee der Strecke Delémont–Basel ermöglicht, falls das Hochwasser die Kapazitäten der Schutzbauten übersteigt.

Neues Gesicht der Stadt

Der Kern von Delsberg ist dicht bebaut, und die Sorne hat nur begrenzt Platz. Hier wird derzeit an der Vertiefung des Flussbetts, der Absenkung der Grundmauern und der Verstärkung ihrer Damm-Funktion gearbeitet. Damit soll die Abflusskapazität um 30 Prozent erhöht werden. Zudem sind eine Bepflanzung der Seitenmauern und ein Fussweg vorgesehen. An der Ecke der Rue Pré-Guillaume soll ein städtischer Kleingarten entstehen. Genau wie im Quartier Morépont wurden die neuen Bauwerke im Stadtzentrum sehr sorgfältig gestaltet. Sämtliche Übergänge über den Fluss wie etwa die neuen Passerellen Collège und Haut Fourneau waren Gegenstand von Architekturwettbewerben. Das Stadtzentrum soll aber nicht nur schöner, sondern auch sicherer werden: Um dem Restrisiko einer Überschwemmung vorzubeugen und Schäden an den Neubauten zu verhindern, werden künftig die Erdgeschosse erhöht gebaut und Schutzmassnahmen an den Gebäuden umgesetzt.

Das Projekt DMB sei ganzheitlich und nachhaltig angelegt, erklärt Gemeindeingenieur Cédric Neukomm. «Ganzheitlich, weil wir die wichtigsten Schutzmassnahmen einer Gesamtschau unterzogen haben, um mit einer bestimmten Investitionssumme den grössten Nutzen für die Stadt zu erzielen. Und Nachhaltigkeit erzielen wir, weil die baulichen Massnahmen gemeinsam mit der Bevölkerung beschlossen wurden und so dauerhaft verankert werden konnten.»

Mit dem Projekt waren grosse Herausforderungen verbunden: Zunächst galt es, die Gefahren und Risiken durch Hochwasser abzuschätzen. Die Analysen ergaben, dass mit Schäden von bis zu 120 Millionen Franken zu rechnen ist. Die Kosten des Projekts belaufen sich auf rund 15 Millionen Franken. Früh wurden auch die Einwohnerinnen und Einwohner in den Prozess eingebunden, um ihre Wünsche und Bedürfnisse einzubeziehen. Und bei der Zusammenstellung des Projektteams wurde darauf geachtet, dass mehrere Fachrichtungen vertreten sind: Es bestand aus Expertinnen und Experten für Tiefbau, Wasserbau, angewandte Ökologie, Landschaft und Gestaltung des öffentlichen Raums.

«Boni» für die Bevölkerung

Das Projekt bringt für die lokale Bevölkerung zahlreiche «Boni»: Die Natur wird aufgewertet und die Sorne in das sozioökonomische Leben von Delsberg integriert. Ausserdem wurden dadurch weitere Projekte angestossen, die laut David Siffert vom BAFU «ohne DMB nie realisiert worden wären».

So trug es beispielsweise indirekt zum Ausbau des Stadtparks in Morépont bei und schuf die nötigen Voraussetzungen für die Entwicklung des Ökoquartiers Gros-Seuc, wo über 350 Wohnungen entstehen sollen. Zusätzlich zum Hauptkredit für die Revitalisierung der Sorne und ihrer Umgebung wurden andere öffentliche Kredite freigegeben. Dadurch konnten insbesondere der Entlastungskorridor in der Nähe der Bahngeleise, die Passerellen oder auch der Stadtpark finanziert werden. Zum Mehrwert des Projekts gehört auch eine Fläche von rund 15 000 Quadratmetern, die in Morépont für den Fluss und den angrenzenden Stadtpark reserviert wurde. Im Sektor En Dozière wurde gar eine Bauzone zugunsten der Natur ausgezont.

Noch nicht abgeschlossen sind die Arbeiten im Stadtzentrum. Hier stehen noch letzte Feinarbeiten an, um die stark bebauten Gebiete entlang der Sorne miteinander zu verbinden und den Zugang zur eng geführten Sorne zu verbessern. Bis spätestens 2024 sollen diese Arbeiten beendet sein.

Eine ganze Stadt macht mit

Die Kosten für die Arbeiten am Projekt «Delémont Marée Basse» in Höhe von 15 Millionen Franken werden zu etwa 70 Prozent von Bund und Kanton getragen. Die übrigen Kosten gehen zulasten der Stadt – rund ein Viertel davon übernehmen die Versicherung Die Mobiliar und die SBB, die ebenfalls von den Schutzmassnahmen profitieren. Ein umfangreicher Partizipationsprozess mit der Bevölkerung trug wesentlich dazu bei, dass der Gesamtkredit für die Revitalisierung der Sorne im ganzen Gemeindegebiet gutgeheissen wurde. 2009 stimmten 83 Prozent der Delsberger Stimmberechtigten dem Kredit zu. In die Planungen einbezogen wurden fast 50 Vertreterinnen und Vertreter von Kantons- und Gemeindebehörden, von der Politik, vom Versicherungswesen, von Umweltschutzorganisationen, von der Landwirtschaft sowie von Eigentümerinnen und Eigentümern und der breiten Bevölkerung.

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Letzte Änderung 03.06.2020

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