Internationales Messnetz erfasst Umweltsünden

Die weltweit modernste Anlage zur Überwachung eines Gewässers steht im deutschen Weil am Rhein (D) unterhalb von Basel. Damit können Unterlieger – wie etwa Trinkwasserwerke – dank einer ausgeklügelten Analysetechnik rechtzeitig vor Schadstoffwellen im Fluss gewarnt werden.

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© Beat Jordi

Als aquatische Lebensader Europas stand der Rhein zwar schon vor der Brandkatastrophe unter internationaler Aufsicht. Allerdings arbeitete die in Koblenz (D) ansässige internationale Kooperation zum Schutz des Rheins IKSR zunächst relativ informell. 1963 kam es zur Berner Vereinbarung, die eine völkerrechtliche Basis legte. Darauf bauten 1976 zwei weitere Abkommen über chemische Verunreinigungen und Chloridverschmutzungen auf.

«Gewässerradar» ist ständig im Einsatz

Nach der Brandkatastrophe von Schweizerhalle erhielt die Organisation grosses Gewicht beim Entwurf und der Umsetzung von Gewässerschutzmassnahmen. So wurden die von ihr betriebenen Messstationen erweitert und ausgebaut. Die frühere Messstation der Nationalen Dauerüberwachung Fliessgewässer NADUF bei Village-Neuf (Elsass) wurde nach dem Brand von Schweizerhalle durch die internationale Rheinüberwachungsstation in Weil am Rhein ersetzt. Seit dem Jahr 1993 erhebt dieser «Gewässerradar» rund um die Uhr automatisch Sammelproben des Rheinwassers, die im Labor des kantonalen Amtes für Umwelt und Energie Basel-Stadt (AUE BS) einmal täglich routinemässig auf 380 Parameter überprüft werden. Im Auftrag des schweizerischen Bundesamtes für Umwelt (BAFU) sowie der Partnerbehörde LUBW im deutschen Bundesland Baden-Württemberg, welche die Rheinüberwachungsstation RÜS gemeinsam finanzieren, durchlaufen die Proben im Basler Umweltlabor eine Art nachträgliche Zollkontrolle.

Viele verschiedene Stoffe erfasst

Gemessen werden heute nicht mehr einzig konventionelle Parameter wie etwa Pegelstand und Temperatur und ausgewählte anorganische Verunreinigungen mit Schwermetallen, Nitrat und Phosphat. Vielmehr werden heute rund 680 einzelne Substanzen regelmässig erfasst, darunter auch Arzneimittelrückstände und Röntgenkontrastmittel. Seit 2013 können sogar unbekannte organische Substanzen dank den täglichen Checks entdeckt werden. Dies ist eine Überwachung, die Umweltverschmutzungen unweigerlich aufdeckt: So wurde im Jahr 2006 dank der täglichen Kontrollanalytik eine Verunreinigung des Rheins mit 4.3 Tonnen des giftigen Dimethylanilins aufgedeckt. Der verursachenden Firma selbst war die Verschmutzung entgangen. Dank der anschliessenden Aufklärung traf das Unternehmen die notwendigen Massnahmen. Der Weg, auf dem der Stoff ins Wasser gelangt war, wurdegeschlossen. Dieses Verhalten gilt allgemein: Nach Meldungen über zu hohe Konzentrationen eines Stoffes im Wasser sind die entsprechenden Stoffe in Folgeproduktionen nicht oder nur in bedeutend kleineren Konzentrationen nachweisbar.

Aus den Messdaten der RÜS wurde berechnet, dass im Untersuchungsjahr 2015 insgesamt 18,1 Tonnen Pharmawirkstoffe den Rhein bei Basel passierten. Dazu kamen 8,7 Tonnen Röntgenkontrastmittel, 1,8 Tonnen Pestizide und 22,1 Tonnen künstliche Süssstoffe. Alle diese Verbindungen zählen zu den organischen Spurenstoffen, deren Gesamtfracht im Fluss sich auf 153 Tonnen belief.

Trinkwasser für 22 Millionen Menschen

Sofern die Gehalte einzelner Pestizide oder Pharmawirkstoffe im Rheinwasser die Warnschwelle von 0,3 Mikrogramm pro Liter (µg/L) - also Millionstel Gramm - erreichen, löst die Überwachungsstation einen internationalen Alarm aus. Dabei geht es primär darum, die Trinkwasseraufbereitung der Stadt Basel und der flussabwärts gelegenen Wasserwerke am Rhein mit ihren rund 22 Millionen Konsumenten vor unerwünschten Fremdstoffen zu schützen. Bei einem langjährigen mittleren Abfluss des Rheins in Basel von rund 1000 Kubikmeter pro Sekunde entspricht ein Schadstoffgehalt von 0,3 µg/L einer Tagesfracht von 27 kg. 

Aus den Messdaten der RÜS wurde berechnet, dass im Untersuchungsjahr 2015 insgesamt 18,1 Tonnen Pharmawirkstoffe den Rhein bei Basel passierten. Dazu kamen 8,7 Tonnen Röntgenkontrastmittel, 1,8 Tonnen Pestizide und 22,1 Tonnen künstliche Süssstoffe. Alle diese Verbindungen zählen zu den organischen Spurenstoffen, deren Gesamtfracht im Fluss sich auf 153 Tonnen belief.

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© Magnus Levein, Swedish Civil Contingencies Agency

Alarmierung: Frühzeitig und über die Grenzen hinaus transparent informieren

Beim Brand in Schweizerhalle hatte die Alarmierung der Bevölkerung und auch der betroffenen Stellen im Ausland schlecht funktioniert. Auch hier übernahm die internationale Kooperation zum Schutz des Rheins IKSR die Federführung, indem an ihrer 8. Rheinministerkonferenz von 1987 beschlossen wurde, das internationale Warn- und Alarmsystem «Rhein» sei weiter zu entwickeln, zu erproben und mit den Warn- und Alarmplänen anderer im Rhein-Einzugsgebiet tätigen Kommissionen abzustimmen.

Information von der Schweiz bis in die Niederlande

Wenn sich nun ein Störfall ereignen sollte, gibt eine der sieben Hauptwarnzentralen zwischen Basel und Arnheim (NL) den Alarm an alle stromabwärts gelegenen Zentralen, örtlichen Dienststellen und Wasserversorger weiter. Eine Datenmaske, die genaue Vorgaben festlegt, in welcher Form die Angaben zu Unfallart, Unfallstoff, Menge, Einfliessdauer etc. aufbereitet werden sollen, stellt sicher, dass alle betroffenen Stellen auf einheitliche und unmissverständliche Weise informiert werden.

Ergänzt wird der Warn- und Alarmplan durch das Rheinfliesszeitmodell. Dieses Computermodell ist in der Lage, bei plötzlichen Einleitungen von Schadstoffen zu berechnen, wie sich die Schadstoffwelle weiter verbreitet - ein unverzichtbares Wissen, wenn es darum geht, rechtzeitig auf die Verschmutzung reagieren zu können.

Auch der Transport von gefährlichen Gütern ist im Fokus  der Störfallverordnung

Doch giftige, explosive oder sonstwie hoch reaktive Substanzen sind nicht nur stationär vor Ort riskant. Sie bergen auch - und besonders - beim Transport Gefahren. Daher hat die Vollzugsbehörde beim Tranpsort gefährlicher Güter auf der Schiene, das Bundesamt für Verkehr (BAV), gemeinsam mit dem BAFU, den Schweizerischen Bundesbahnen SBB und der BLS Lötschbergbahn begonnen, ab dem Jahr 1999 periodisch die Personenrisiken auf dem gesamten Netz zu ermitteln, die mit dem Bahntransport  gefährlicher Güter wie beispielsweise Propan oder Benzin einher gehen.

Der Vollzug bei den Nationalstrassen erfolgt seit 2008 durch das Bundesamt für Strassen, ASTRA, welches dazu seit 2013 ebenfalls ein Screening einsetzt. Diese Screenings legten die Basis für Massnahmen, um die Risiken für die Bevölkerung - Anwohner und Anwohnerinnen oder Verkehrsteilnehmende - zu senken.

Heute bestehen auf der Schiene und der Strasse keine nicht akzeptablen Personenrisiken mehr. Denn dort, wo die netzweite Risikoüberprüfung potenziell untragbare Risiken zutage gefördert hat, haben die verschiedenen verantwortlichen Stellen - von den Kontrollbehörden bis zu den Betreibern der Verkehrsanlagen - Massnahmen ergriffen. Das BAFU etwa hat sich zusammen mit einer breit abgestützten Arbeitsgruppe von 2015  bis 2016 insbesondere mit den Transporten von Chlorgas  auseinandergesetzt, die mit der Bahn regelmässig von Genf ins Wallis geführt werden.

Gemeinsame Erklärung für Chlortransporte

Das Engagement dieser Arbeitsgruppe führte schliesslich zu einer gemeinsamen Erklärung, die im September 2016 von scienceindustries, der SBB, des VAP (Verband der verladenden Wirtschaft), dem BAV und dem BAFU unterschrieben wurde. Bei der Erarbeitung wurden zudem die am stärksten betroffenen Kantonen Genf, Waadt, Wallis und Basel Stadt miteinbezogen. In dieser Gemeinsamen Erklärung II wurden die Ziele und Massnahmen zur Risikosenkung vereinbart. Die Massnahmen sehen u.a. besser ausgestattete Kesselwagen, ein langsameres Fahrtempo und weitere betriebliche Vorkehrungen vor. Ferner verpflichtet sich die Industrie zu überprüfen, ob die Transporte nicht durch weniger dicht besiedeltes Gebiet geführt werden können. Eine erste Gemeinsame Erklärung wurde 2002 unterzeichnet.

Erdgas- und Erdölleitungen werden überprüft

Bei den Rohrleitungsanlagen ist die Risikoüberprüfung noch nicht soweit fortgeschritten. Denn Erdgas- und Erdölleitungen wurden erst im Jahr 2013 in den Geltungsbereich der StFV aufgenommen. Gegenwärtig ist die Überprüfung der mit ihnen verbundenen Risiken im Gang, und die Betreiber haben die entsprechenden Berichte bis zum 1. April 2018 einzureichen.

Der Transport gefährlicher Güter setzt freilich nicht nur die Menschen einem Risiko aus, sondern auch die Umwelt. Hier liegen zwar die Risikoüberprüfungen vor, und es ist bekannt, in welchem Ausmass Oberflächengewässer und Grundwasser durch einen Störfall belastet werden könnten. Allerdings fehlen noch die definitiven Kriterien, um die von den netzförmigen Transportanlagen ausgehenden Umweltrisiken zu beurteilen. Eine Arbeitsgruppe unter Federführung des BAFU ist im Begriff, diese Kriterien voraussichtlich bis im Jahr 2018 festzulegen. Sie beschreitet damit Neuland - denn diese Art von Risiken wird im Ausland nicht in dieser quantitativen Form erhoben.  Internationale Erfahrungen dazu fehlen noch weitgehend.

Bemühungen tragen Früchte

Umweltbelastungen lassen sich durch Grenzen nicht aufhalten, und auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit funktioniert zunehmend global. Umso dringlicher ist es, international verbindliche Grundsätze im Umgang mit Störfällen zu definieren und einzuhalten.

Auch auf globaler Ebene wurden Anstrengungen unternommen, um den Risiken von Störfällen zu begegnen. 1992 verabschiedete die Wirtschaftskommission der vereinten Nationen für Europa UNECE (United Nations Economic Commission for Europe) die Konvention über die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Industrieunfällen. Im Jahr 2000 trat sie nach der Ratifizierung durch 16 Staaten in Kraft. Inzwischen haben rund 40 Staaten und die Europäische Kommission die Konvention formell unterzeichnet; die Schweiz hinterlegte die Ratifizierungsurkunde im Jahr 1999.

Chemische Risiken: Weniger entwickelte Länder unterstützen

Den Schwerpunkt der Arbeit bildet das «Internationally Supported Assistance Programme». Es unterstützt Länder in Osteuropa, dem Kaukasus, Südosteuropa und Zentralasien im Aufbau von Grundlagen zur Verhinderung und Bewältigung von Chemieunfällen.

Dies mit Blick auf die zahlreichen dort ansässigen risikobehafteten Chemiebetriebe, die Schwerindustrie und die teilweise grossen Erdöltanklager. Ausserdem wurden im Rahmen der Konvention zahlreiche Leitfäden für den sicheren Umgang mit Chemikalien und anderen industriellen Risiken ausgearbeitet. Die Schweiz beteiligt sich seit Jahren aktiv an diesem Unterstützungsprogramm und gibt ihre Erfahrungen im Umgang mit chemischen Risiken weiter.

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Letzte Änderung 28.10.2016

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