Landschaftskonzept im Praxistest: Die «Alltagslandschaft» gestalten

Den Landschaftswandel qualitativ hochstehend zu gestalten, gehört heute zur Standortpolitik einer Gemeinde. Das aktualisierte Landschaftskonzept Schweiz (LKS) definiert nun auch entsprechende Ziele: Grünräume sichern und die Siedlungsränder bewusst gestalten. Das Beispiel Manno (TI) zeigt, wie die abstrakten Vorgaben des Konzepts in die Praxis umgesetzt werden können.

Text: Vera Bueller

Manno? Ausgerechnet Manno soll ein gelungenes Beispiel dafür sein, wie Ziele des Landschaftskonzepts Schweiz (LKS) auf kommunaler Ebene definiert und erreicht werden können? Die rasante Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte hat hier, in der Agglomeration von Lugano, unschöne Spuren hinterlassen: Verkehrsflächen, Industriegebäude, Klein- und Mittelunternehmen, Logistik- und andere Dienstleistungsfirmen haben sich breitgemacht. Doch der frühere Gemeindepräsident (auf Italienisch Sindaco) von Manno, Fabio Giacomazzi, sieht mehr. In seinem Architektur- und Raumplanungsbüro holt er den Gestaltungsplan der Gemeinde hervor und erläutert: «Man muss genauer hinschauen, dorthin, wo sich die Pufferzonen zwischen Industrie einerseits und den Hügeln mit dem alten Dorfkern andererseits befinden.» Hier hat die Gemeinde vor rund zehn Jahren damit begonnen, Grundstücke zu kaufen, mit dem Ziel, Überbauungen durch Private zu verhindern und den Boden der Spekulation zu entziehen.

Es war ein Glücksfall für die Umwelt. Denn 2004 hatte Manno für die Überarbeitung des Gestaltungsplanes mit Fabio Giacomazzi, dem Sindaco in den Jahren 2012 bis 2016, einen Raumplaner beigezogen, der schon früh die Zeichen der Zeit erkannte. Er hatte eingesehen, dass in bestimmten Gebieten selbst der raffinierteste Bebauungsplan die Landschaft schädigen würde. «Wenn man die Landschaft qualitätsorientiert gestaltet, schafft dies einen Mehrwert. Und es entstehen Freiräume, die auch ein Standortfaktor sein können – vor allem in der Peripherie von Städten», lobt Daniel Arn, stellvertretender Chef der Sektion Landschaftspolitik des BAFU, die Pionierarbeit von Fabio Giacomazzi.

Siedlungsrand lädt zur Erholung 

Mit der Wahl Giacomazzis zum Sindaco nahm das Projekt zügig Form an. Dank Industrie und Gewerbe hatte die Gemeinde auch das nötige Geld, um für 2 Millionen Franken Liegenschaften zu kaufen. «Wir wollten nicht den Steuerfuss weiter senken, sondern Überschüsse dazu nutzen, um Spielraum für eine bewusste Gestaltung des Gebiets zu haben – verbunden mit gemeinnütziger und öffentlicher Nutzung», sagt Fabio Giacomazzi.

Konkret ging es um drei Gebiete: den Bezirk Piana-Cairelletto, der zwischen dem gewerblich-industriellen Gebiet und der Wohnzone liegt, sowie die Bauzonen «Ronco Do» und «Bellavista-Ronchetti» am Hang über dem alten Ortskern. War es kein Problem, rund 12 000 Quadratmeter Land der Bebauungsmöglichkeit zu entziehen? «Wäre das Gebiet flach und erschlossen und nicht steil abfallend gewesen, hätte es wohl anders ausgesehen», schmunzelt Giacomazzi. Aber so kam es anders: Die Bauzonen sind inzwischen der Naherholung und der Landwirtschaft vorbehalten. Und um die Qualität der Gestaltung zu sichern, wurde auch noch ein Wettbewerb unter drei Landschaftsarchitekten ausgeschrieben.

Im Gebiet Ronco Do hat die Gemeinde einen öffentlichen Park für Freizeit und Bildungszwecke angelegt, zu dem ein Platz zum Verweilen und Picknicken, ein Weinberg und ein Obstgarten mit seltenen Sorten gehören. «Es ist ein landwirtschaftliches Experimentierfeld für den Bioanbau entstanden, wo auch Wissen für Schulklassen vermittelt wird», erklärt Fabio Giacomazzi vor Ort. Ein Netz von Fusswegen führt durch das Gebiet mit Wald, Kastanienselven und entlang von Trockenmauern. Das Projekt hat 675 000 Franken gekostet, wovon 40 Prozent durch Mittel des Bundes, des Kantons und des Fonds Landschaft Schweiz abgedeckt wurden. «Entscheidend war dabei die Einsicht, dass Siedlungsränder von Bedeutung sind. Denn auch das Bauliche gehört zur Landschaft», betont der Planer. «Im Tessin sind die Behörden im Allgemeinen schon seit Längerem zu dieser Erkenntnis gelangt. Und so sind dort bereits einige sehr gute lokale Projekte entstanden», bestätigt Daniel Arn vom BAFU. Betrachte man jedoch die ganze Schweiz, fehle es oft am Bewusstsein für die Bedeutung der Landschaftsgestaltung und an der Kompetenz. 

Allgemeine Landschaftsqualitätsziele

Qualitätsziele für spezifische Landschaften

Bald eine Anlaufstelle für Gemeinden? 

Das BAFU prüft den Aufbau einer Stelle für Landschaftsberatung, die Wissen vermitteln und Projekte fördern sowie allgemein für die Qualitäten der Landschaft sensibilisieren soll, etwa mit Veranstaltungen oder Spaziergängen in verschiedenen Regionen. Zudem ist eine Anlaufstelle für eine Erstberatung von Gemeinden angedacht. Die Basis hierfür liefert das aktualisierte Landschaftskonzept Schweiz. In der Vernehmlassung dazu hatte der Schweizerische Städteverband betont, wie wichtig Massnahmen auf kommunaler Ebene seien. «Wir wünschen uns und unseren Mitgliedern, dass sich der Bund als umsetzungsorientierter Partner erweist und dass zeitnah konkrete Projekte und Massnahmen wie Module für die Beratung, Bildung, Kommunikation und Sensibilisierung sowie Kooperation entstehen, die in direkter Zusammenarbeit mit Städten und Gemeinden an die Hand genommen werden», präzisiert Renate Amstutz, Direktorin des SSV. Es gehe grundsätzlich darum, zu einem neuen Verständnis von «Landschaft» beizutragen: «Mit Landschaft ist auch für uns nicht nur die ländliche, sondern immer auch die urbane Landschaft gemeint.»

Zwar wird auch schon im Landschaftskonzept Schweiz von 1997 die Bedeutung der sogenannten Alltagslandschaft betont. Doch in der Raumplanung habe diese bisher keine grosse Rolle gespielt, meint Daniel Arn. «Mit dem nun aktualisierten LKS rückt sie in den Vordergrund.» Die Landschaft verändere sich so oder so. Qualität entstehe aber nicht zufällig, sondern müsse aktiv angestrebt werden. Beim aktualisierten Konzept gehe es darum, dass alle betroffenen Akteure gemeinsam etwas dazu beitragen – Bund, Kantone, Gemeinden und auch aussenstehende Organisationen. «Primär müssen Grünräume als Naherholungsgebiete gesichert werden. Und gerade die Siedlungsränder bedürfen einer bewussten Gestaltung.» So wie in Manno. Die Gemeinde veranschaulicht, wie sich die trockene Materie eines Konzepts in die Realität umsetzen lässt.  

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Letzte Änderung 02.09.2020

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