2.9.2020 - Das Grundwasser steht unter Druck. Wie verschiedene Untersuchungen zeigen, ist damit auch die Qualität unseres Trinkwassers gefährdet – insbesondere in Regionen mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung. Um dieses Risiko abzuwenden, braucht es eine konsequente Umsetzung von griffigen Massnahmen zum Schutz des Grundwassers.
Text: Kaspar Meuli
Solche Nachrichten ist sich die Schweiz nicht gewohnt: Ende Januar 2020 informierte der Kanton Solothurn über Probleme mit der Qualität seines Trinkwassers. Die Behörden teilten mit, dass 160 000 Menschen mit Wasser versorgt würden, das den gesetzlichen Vorgaben nicht entspreche. Zwar bestehe keine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit, aber bis die Rückstände des Pestizids Chlorothalonil aus dem Grundwasser verschwunden seien, werde es Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern. Da fast alle grossen Grundwasserverfassungen im Kanton belastet seien, stünden die Solothurner Wasserversorgungen vor grossen Herausforderungen. Möglicherweise müsse Trinkwasser künftig von ausserhalb des Kantons über neue Leitungen bezogen werden.
Fast zwei Drittel der Bevölkerung ohne einwandfreies Trinkwasser! Keine schnellen Lösungen in Sicht! Kostspielige neue Infrastruktur nötig! Diese News sorgten für gehässige Onlinekommentare: «Wer sind eigentlich diese Brunnenvergifter?», fragte zum Beispiel ein besorgter Leser. Die Solothurner Sorgen mit der Qualität des Trinkwassers sind jedoch kein Einzelfall. Der Wasserverbund Seeland etwa, von dem unter anderem die Berner Städte Biel und Lyss Trinkwasser beziehen, musste Ende 2019 wegen Pestizidrückständen vier von fünf Grundwasserfassungen schliessen. «Wir haben 70 Prozent unserer Leistungsfähigkeit eingebüsst und haben damit ein gravierendes Problem», erklärt Roman Wiget, Verwaltungsrat dieses Wasserverbunds, der rund 100 000 Menschen versorgt.
Problematische Abbaustoffe
Verursacht wurden die ungewohnten Trinkwasserprobleme nicht etwa durch den Einsatz eines neuen Pestizids, sondern weil die Behörden einen seit Jahrzehnten gebräuchlichen Stoff genauer unter die Lupe genommen haben. Chlorothalonil diente den Bauern seit den 1970er-Jahren zum Schutz von Gemüse und Früchten vor Pilzbefall. Doch erst seit 2019 wird im Grundwasser gezielt nach Abbauprodukten dieses Stoffs gesucht. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat Chlorothalonil-Rückstände aufgrund neuer Erkenntnisse als «relevant» für die Qualität des Trinkwassers eingestuft. Mittlerweile sind schärfere Grenzwerte für die Abbauprodukte des Pflanzenschutzmittels in Kraft getreten, und Chlorothalonil selbst wurde veboten.
«Aufgrund der neuen Grenzwerte gelten neuerdings diverse Grundwasservorkommen als verunreinigt», erklärt Michael Schärer, Leiter der Sektion Gewässerschutz beim BAFU. «Die davon betroffenen Grundwasserfassungen versorgen gemäss ersten Schätzungen rund 1 Million Einwohnerinnen und Einwohner mit Trinkwasser.» Viele dieser Fassungen müssten für die kommenden Jahre stillgelegt werden. Das bedeute in den betroffenen Regionen eine «starke Einschränkung der Versorgungssicherheit» und gefährde die dezentrale Organisation der Schweizer Trinkwasserversorgung.
Ohne Behandlung trinkbar
Genau diese fein verästelte Wasserversorgung ist aber typisch für unser Land. Die Wasserversorgung ist Sache der öffentlichen Hand und wird zum grössten Teil von den Gemeinden betrieben. Rund 80 Prozent des Trinkwassers stammen dabei aus Grundwasserressourcen, die über rund 18 000 Fassungen in die Verteilnetze der meist kleinen und mittleren Wasserversorgungen eingespeist werden. Die restlichen 20 Prozent des Trinkwassers kommen aus Seewasserwerken, die ihren Rohstoff in der Regel mehrstufig aufbereiten müssen. Die hohe Qualität des Grundwassers hingegen machte bisher eine Behandlung praktisch überflüssig. Über 70 Prozent davon liessen sich ohne oder nach einer einfachen Aufbereitung direkt als Trinkwasser konsumieren. Dies ist nun aufgrund der Verunreinigungen mit den Abbauprodukten von Chlorothalonil infrage gestellt. «Umso mehr ist der vorsorgliche Schutz unserer Grundwasserressourcen für die Schweizer Wasserversorgung von entscheidender Bedeutung», stellt Michael Schärer fest.
Grundwasser wird grösstenteils durch die natürliche Versickerung von Regenwasser im Boden gebildet. Deshalb ist die Wasserqualität solcher Fassungen durch die Landnutzung im Einzugsgebiet geprägt. Bei grossen Grundwasserfassungen kann dieser Zuströmbereich mehrere Quadratkilometer umfassen. Dagegen sind die Schutzzonen, welche die Fassungen vor Beeinträchtigungen aus der näheren Umgebung – wie etwa vor Unfällen mit wassergefährdenden Flüssigkeiten – schützen, meist deutlich kleiner. Bei Regen erfolgt eine Auswaschung verschiedener Stoffe aus dem Boden ins Grundwasser, die so bis zur Fassung gelangen können. Wo im Zuströmbereich intensive Landwirtschaft betrieben wird, ist das Grundwasser in den entsprechenden Fassungen häufig mit Nitrat sowie mit den Abbauprodukten von Pestiziden verunreinigt. Mit der Neueinstufung der Chlorothalonil-Abbauprodukte hat sich diese Diagnose verschärft.
«Im Wasserschloss Schweiz ist gutes Trinkwasser aus Grundwasser ohne aufwendige Aufbereitung nicht mehr überall selbstverständlich», bilanziert Michael Schärer vom BAFU. Diese Erfahrung musste auch die Seeländische Wasserversorgung machen. Eine der im Dezember 2019 stillgelegten Fassungen liegt in Worben (BE). Sie ist von Wiesen umgeben, die lediglich gemäht, aber nicht gedüngt oder von Tieren beweidet werden dürfen. «Wir haben hier schon vor Jahren über 20 Hektaren Land gekauft, um das Grundwasser vor Pestiziden und anderen Belastungen zu schützen», erklärt Roman Wiget. «Trotzdem sind die Grenzwerte des Chlorothalonil-Abbauprodukts, das zur Schliessung der Fassung führte, auch hier stark überschritten.» Dieser Stoff wurde nämlich über lange Zeit aus den landwirtschaftlich genutzten Böden ausserhalb der Schutzzonen ins Grundwasser ausgewaschen.
Überschrittene Grenzwerte
Für ähnliche Probleme sorgt auch der Einsatz von Kunstdünger und Gülle in der Intensivlandwirtschaft. Dadurch gelangt derart viel Nitrat ins Grundwasser, dass die Grenzwerte an 15 bis 20 Prozent aller Messstellen der Nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA überschritten werden. In Gebieten mit ausgeprägtem Ackerbau stellt man sogar bei rund 40 Prozent der Messstellen Überschreitungen fest. Wie weiter also? Was braucht es, um die Wasserqualität in den Grundwasserfassungen langfristig zu schützen?
«Um Verunreinigungen durch Nitrat oder durch Abbauprodukte von Pestiziden zu bekämpfen, muss der Zuströmbereich der Grundwasserfassung bekannt sein», erklärt Michael Schärer vom BAFU. «Die Zuströmbereiche sind ein wichtiges Element, um die Wasserqualität in einer Grundwasserfassung sicherzustellen.» Sie müssen zwingend ausgeschieden werden, wenn das Grundwasser einer Fassung verunreinigt ist oder sofern die Gefahr einer Verunreinigung besteht. In solchen Fällen sind die Kantone verpflichtet, in diesen Bereichen unter anderem die Verwendung von Pestiziden und Dünger einzuschränken. Zudem können sie auch verfügen, dass gewisse Kulturen, die auf einen grossen Einsatz von Pestiziden angewiesen sind, – wie etwa Zuckerrüben – gar nicht angebaut werden dürfen.
Konsequenter Schutz
Noch aber haben in der ganzen Schweiz nur gerade 70 Fassungen solche Zuströmbereiche zum Schutz des Grundwassers ausgeschieden, obwohl zum Beispiel Verunreinigungen mit Nitrat weitverbreitet sind. Da ausgeschiedene Zuströmbereiche bei den meisten Fassungen fehlen, ist vielerorts unklar, woher das Grundwasser stammt. «Weil deswegen die Quellen der Verunreinigungen nicht genau bekannt sind, werden griffige Massnahmen zum Schutz des Grundwassers nur sehr beschränkt umgesetzt», erklärt Michael Schärer. Oftmals sei es einfacher, belastetes Wasser mit weniger belastetem zu vermischen oder eine Fassung schlicht aufzuheben.
Um die Wasserversorgung langfristig zu sichern, müssen Verunreinigungen des Grundwassers rasch und konsequenter bekämpft werden. «Ausgeschiedene Zuströmbereiche sind ein wichtiger Bestandteil der Wasserversorgungsinfrastruktur», meint Michael Schärer. Damit sich neue Verunreinigungen künftig verhindern liessen, sei es wichtig, die Einzugsgebiete der Wasserfassungen zu kennen und darin die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und Dünger zu beschränken. Übrigens machen nicht nur die Wasserversorger in dieser Richtung Druck, sondern auch die Politik. So hat der Grosse Rat des Kantons Bern kürzlich einen Vorstoss überwiesen, der verlangt, den Einsatz von Pestiziden im Zuströmbereich von Trinkwasserfassungen einzuschränken. Im Interesse einer raschen und schweizweit einheitlichen Umsetzung von Massnahmen zum Schutz der Wasserqualität prüft der Bund die Einführung einer Ausscheidungspflicht für Zuströmbereiche in Kombination mit einem finanziellen Anreiz.
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Letzte Änderung 02.09.2020