Interview Gewässer unter Druck: «Sie wünschen sich mehr Bescheidenheit – dem Wasser zuliebe»

Ihr Berufsalltag dreht sich um den Schutz und die nachhaltige Nutzung des Wassers: Auf einem Spaziergang entlang des Murtensees sprechen Stephan Müller, Abteilungschef Wasser beim BAFU, und Christophe Joerin, Präsident des Netzwerks Wasser Agenda 21, über die Belastung der Gewässer durch Nährstoffe aus der Landwirtschaft, Revitalisierungsmassnahmen und invasive Arten.

Interview: Lisa Stalder

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Wie geht es unseren Seen und wie können wir ihnen helfen? Christophe Joerin (links) und Stephan Müller im Gespräch am Hafen von Murten.
© Marion Nitsch | Lunax

Wir stehen hier am Hafen von Murten. Woran denken Sie als Erstes, wenn Sie auf den Murtensee blicken?

Christophe Joerin: Mit dem See verbinde ich Ruhe, Offenheit und Freiheit.

Stephan Müller: Ich denke dabei an den Sandstrand von Salavaux, den ich früher mit meiner Familie regelmässig besucht habe. Aber auch an die Ingenieurskunst von früher, die es möglich gemacht hat, die Aare umzuleiten und den Bielersee, den Neuenburgersee und den Murtensee miteinander zu verbinden.

Unsere Gewässer übernehmen viele Funktionen: Sie sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen, werden für die Bewässerung in der Landwirtschaft und in unseren Gärten genutzt, dienen als Erholungsraum und liefern erneuerbare Energie. Tragen wir genügend Sorge dazu?

SM: Wir schauen hierzulande gut zu unseren Gewässern. In den letzten Jahrzehnten haben die Behörden viel unternommen, um sie zu schützen und die Wasserqualität zu verbessern. Vieles hat sich dadurch positiv verändert. Leider befindet sich aber die Biodiversität weiterhin in einem kritischen Zustand, hier braucht es weitere Anstrengungen. Wir müssen schauen, dass wir die Gewässer auch weiterhin nutzen und geniessen können.

CJ: Wir haben bereits viele gute Instrumente, um zu unseren Gewässern Sorge zu tragen. Ich denke da an das revidierte Gewässerschutzgesetz von 2011, das die Kantone dazu verpflichtet, einen Teil der begradigten oder verbauten Gewässer wieder in einen naturnahen Zustand zu bringen. Die Werkzeuge und die Gelder, um entsprechende Massnahmen umzusetzen, sind vorhanden. Gleichzeitig kommen aber ständig neue Herausforderungen auf uns zu. So wächst beispielsweise der Druck, die Wasserkraftproduktion zu erhöhen. Und da ist natürlich der Klimawandel, der unsere Gewässer bedroht.

Eine Herausforderung sind auch Chemikalien und Nährstoffe, die in unsere Gewässer gelangen. Gerade im Murtensee ist die Phosphorkonzentration hoch, der Sauerstoff­gehalt hingegen tief. Gehen Sie jeweils mit einem guten Gefühl im See baden?

CJ: Für uns Menschen besteht keine Gefahr. Mehr Sorgen mache ich mir um die aquatische Flora und Fauna. Die Lebewesen im See brauchen genügend Sauerstoff, um sich entwickeln zu können.

SM: Ja, die Qualität des Wassers ist gut genug, dass man bedenkenlos darin baden kann. Noch in den 1960er-Jahren waren schäumende Bäche und Badeverbote in Seen an der Tagesordnung. Die Siedlungsentwässerung und der Bau von Kläranlagen haben die Wasserqualität massiv verbessert. Aber es ist richtig, dass über die Hälfte der grossen Schweizer Seen wegen des Phosphors noch immer zu wenig Sauerstoff hat. Der Murtensee ist da keine Ausnahme. Der Baldeggersee und der Sempacher­see müssen künstlich belüftet werden, beim Zugersee wird über eine solche Massnahme nachgedacht.

CJ: Um die Menge an Phosphor zu reduzieren, muss das Problem aber an der Wurzel angegangen werden. Ein Grossteil des Phosphors stammt aus der Landwirtschaft. Es müsste gelingen, die Emissionen aus der Landwirtschaft zu verringern. Allerdings ist das nicht ganz einfach, da wir hier von einem riesigen Einzugsgebiet sprechen und die Koordination der verschiedenen Akteure komplex ist.

Murtensee Ufer
Auch dem Murtensee und seinen Bewohnern setzt eine zu hohe Phosphorkonzentration und ein Mangel an Sauerstoff im Wasser zu.
© Marion Nitschi | Lunax

Nicht nur Nährstoffe und Mikro­verunreinigungen belasten unsere Gewässer, auch invasive gebietsfremde Arten setzen ihnen zu, aktuell zum Beispiel die Quaggamuschel, die sich auch hier im Murtensee ausbreitet. Warum ist das ein Problem?

CJ: Die Quaggamuschel verbreitet sich schnell, kann bis in grosse Tiefen vordringen und verändert so den Lebensraum. Sie filtert Nähr­stoffe aus dem Wasser, die dann anderen Lebewesen fehlen. Ein weiteres Problem ist, dass diese Muscheln die Infrastruktur beschädigen. Muschelkolonien verstopfen die Leitungen, die wir zur Wasserentnahme benötigen, oder sie setzen sich an Sieben fest. Es muss viel Geld investiert werden, um sie zu beseitigen oder die Geräte zu ersetzen.

SM: Ich kann mich dem nur anschliessen. Auf einen Punkt möchte ich aber noch hinweisen: Derzeit wird viel über die Quaggamuschel gesprochen, aber es gibt hierzulande noch viele weitere gebietsfremde Arten. Bei den Fischen wurde einst der Stichling eingeführt, der nun die Felchen unter Druck setzt. Es stellt sich die Frage: Pendelt sich das ein oder nehmen diese invasiven gebietsfremden Arten Überhand?

Lohnt es sich etwa gar nicht, gegen solche Arten vorzugehen?

SM: Es gibt Massnahmen, die sinnvoll sind. Boote und Taucheranzüge sollten immer gereinigt werden, man kann auch versuchen, kleinere Gewässer zu schützen. Aber invasive gebietsfremde Arten wie die Quaggamuschel, der Stichling oder auch die grundel lassen sich nicht mehr eliminieren. Wichtig ist, dass verschiedene Lebensräume zur Verfügung stehen, wo sich jene Arten, die unter Druck geraten sind, zurückziehen und Schutz suchen können. Und je vielfältiger der Uferraum, desto grösser ist die Chance, dass Krebse, Fische und andere Lebewesen eine Umgebung vorfinden, in der sie sich entwickeln können.

Quaggamuscheln im Murtensee
Quaggamuscheln sehen zwar unscheinbar aus, aber die invasive Art richtet in Schweizer Seen ordentlich Schaden an.
© Linda Haltiner | Eawag

Während Seeufer früher verbaut und Flüsse begradigt wurden, hat man in den letzten Jahren See- und Flussufer revitalisiert. Haben sich diese Massnahmen bewährt?

CJ: Ja, das Revitalisierungsprogramm ist absolut entscheidend für den Gewässerschutz. Indem Gewässer wieder in einen naturnahen Zustand gebracht werden, nimmt die Biodiversität zu und die ökologischen Funktionen werden erneuert.

In den letzten Jahren erlebten wir Überschwemmungen, überdurchschnittlich hohe Wassertemperaturen und grosse Trockenheit. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf unsere Gewässer?

CJ: Vor allem steigt der Druck auf Wasserpflanzen und -tiere. Gerade für Fische können hohe Wassertemperaturen zur Gefahr werden. Für die Forelle oder die Äsche bedeuten Temperaturen von über 23 Grad Celsius Stress. Steigt die Temperatur auf 25 Grad, kann das für die Tiere tödlich sein. Wenn sich solche Extremereignisse regelmässig wiederholen, sind die Aussichten für diese Fischarten sehr besorgniserregend. Hier können Revitalisierungs- und Beschattungsmassnahmen der Gewässererwärmung teilweise entgegenwirken.

SM: Im Rhein bei Schaffhausen werden seit dem Hitzesommer 2003 regelmässig Gruben ausgebaggert, damit sich kühleres Grundwasser oder Wasser aus kühleren Zuflüssen sammeln kann und sich die Äschen dorthin zurückziehen können.

Wir versuchen, von fossilen Energieträgern wegzukommen und auf erneuerbare Energien wie Wasserkraft zu setzen. Aber durch Wasserkraftwerke werden Gewässer beeinträchtigt, Fischen wird die Wanderung zu ihren Laichplätzen erschwert. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

CJ: Wasserkraft ist nachhaltige Energie, aber sie ist nicht unbedingt komplett sauber. Das heisst, es ist wichtig, dass Mindeststandards eingehalten werden. Konkret: Es muss genügend Restwasser vorhanden sein, sodass die Fische in ihren Wanderungen nicht beeinträchtigt sind.SM: Heute gibt es über 100 000 unpassierbare Schwellen. Damit sich die Fische in den Gewässern wieder ungehindert bewegen können, müssen die Schwellen umgebaut und die Staumauern der Wasserkraft­werke mit Fischtreppen ausgerüstet werden. Diese Hilfen müssen so angebracht sein, dass die Fische sie finden und auch nutzen können. Nur so ist es möglich, die Längsvernetzung der Gewässer wiederherzustellen. Per Gesetz sollten die Wasserkraftbetreiber bereits bis 2030 dafür sorgen. Das ist anspruchsvoll.

Letzte Frage: Was kann die Bevölkerung zum Gewässerschutz beitragen?

CJ: Bescheidenheit. Für den Schutz des Klimas und der Ressourcen wäre es sinnvoll, den Konsum zu reduzieren. Und zwar nicht nur den Wasserkonsum, sondern in jedem Bereich. So kann etwas Druck vom Wasser und anderen natürlichen Ressourcen genommen werden.

SM: Christophe bringt es auf den Punkt: weniger Putzmittel, weniger Food Waste, weniger Energieverbrauch. All das nimmt indirekt Druck weg von den Gewässern. 

Stephan Müller

Stephan Müller

stammt aus Thayngen im Kanton Schaffhausen und hat an der ETH Zürich in analytischer Chemie promoviert. Seit 2004 ist er Abteilungsleiter Wasser beim BAFU (bei seinem Stellenantritt noch Buwal). Davor arbeitete Müller bei der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG). Wasser begleitetet ihn auch in seiner Freizeit, der Rudersport Wasserfahren gehört zu seinen Hobbys.

Christophe Joerin

Christophe Joerin

kommt aus Freiburg und hat an der EPFL Lausanne Umweltwissenschaften studiert. Nach Abschluss seines Doktorats im Bereich Gewässer arbeitete er ab dem Jahr 2000 beim BAFU und wechselte 2008 zum Kanton Freiburg. Seit 2016 ist er Vorsteher des Amts für Umwelt des Kantons Freiburg. Zudem präsidiert er Wasser Agenda21, das Forum und Netzwerk der Akteure der Schweizer Wasserwirtschaft. Die Schweizer Gewässer kennt Joerin auch aus seinen Zeiten als begeisterter Triathlet.

Gewässer in der Schweiz

UZ-2207-D

Zustand und Massnahmen. 2022

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Letzte Änderung 13.09.2023

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