Umgang mit lokaler Wasserknappheit: Kluge Bewirtschaftung kann mögliche Engpässe entschärfen

18.05.2016 - Der Klimawandel erhöht nicht nur das Hochwasserrisiko, sondern dürfte der Schweiz auch mehr sommerliche Hitzetage und längere Trockenperioden bringen. Als Folge davon ist zumindest lokal öfter als bisher mit Wasserknappheit zu rechnen. Das BAFU bereitet sich auf die absehbaren Entwicklungen vor.

Grosses Moos
Das Grosse Moos in der Region der drei Jurarandseen ist das grösste Gemüseanbaugebiet im Inland. Die vermehrt auftretenden Trockenperioden erfordern effizientere Techniken zur Bewässerung der Kulturen.
© Reportair

Text: Lucienne Rey

Der sanfte Hügelzug des Mont Vully (Wistenlacherberg) im Grenzgebiet der Kantone Freiburg und Waadt ist weitgehend von Wasser umgeben. Am Fuss der sonnenexponierten Rebhänge im Süden glitzert der Murtensee. Schweift der Blick nach Norden zum Jura, erstreckt sich die ausgedehnte Wasserfläche des Neuenburgersees bis zum westlichen Horizont, und in östlicher Richtung kann man in der Ferne den Bielersee erkennen. Das prägende Landschaftselement hat dem «Seeland» seinen Namen gegeben. In den Landkarten wird das ehemalige Sumpfgebiet zwischen den drei Gewässern am Jurasüdfuss auch als «Grosses Moos» bezeichnet. Weil das Seeland aufgrund seiner fruchtbaren Moorböden zu unseren wichtigsten landwirtschaftlichen Produktionsgebieten gehört, gilt die Gegend auch als «Gemüsegarten der Nation», aus dem fast ein Viertel des hierzulande erzeugten Gemüses stammt.

Im Kleinen widerspiegelt das Grosse Moos die Schweiz als Ganzes: Obwohl Wasser allgegenwärtig zu sein scheint, kann es durchaus knapp werden. «Als Wasserschloss Europas wird unser Land jedoch kaum je flächendeckend von Wasserknappheit betroffen sein», sagt der Geograf Samuel Zahner vom BAFU. Er ist innerhalb der Abteilung Wasser für die Planung und Bewirtschaftung der Wasserressourcen zuständig. Allein die hiesigen Grundwasservorräte sind gewaltig: «Von den ungefähr 18 Kubikkilometern, die wir theoretisch jedes Jahr auf nachhaltige Weise nutzen könnten, werden effektiv nur wenige % beansprucht», stellt der BAFU-Experte fest. Doch der Reichtum verhindert nicht, dass Wasser bei länger anhaltender Trockenheit lokal nicht mehr ausreicht. So liegen die Grundwasserspiegel vielerorts zu tief, um Flüsse oder Bäche zu speisen, und in Regionen mit ausgedehnten Karstvorkommen - wie im Jura und in den Voralpen - versickern die Niederschläge über Klüfte rasch im tieferen Untergrund. Bei Wasserknappheit kommen sich konkurrierende Nutzungen oder Schutzansprüche gegenseitig ins Gehege: Während etwa die Landwirtschaft darauf angewiesen ist, ihre Kulturen zu bewässern und das Vieh zu tränken, erscheint es aus Sicht von Umweltschutz und Fischerei angezeigt, den Flüssen nicht noch mehr Wasser zu entnehmen. Die Trinkwasserversorgung und Flusskraftwerke sind ebenso von einer Wasserknappheit betroffen wie Betriebe, die ihre Anlagen mit Wasser kühlen. Auch die Schifffahrt fürchtet tiefe Pegelstände, weil sie die Ladekapazität ihrer Frachtkähne nicht mehr ausschöpfen kann oder den Betrieb vorübergehend gar vollständig einstellen muss.

Ein Modellprojekt für das Seeland

Im Seeland, wo verschiedene Interessengruppen um die begehrte Ressource buhlen, wollen die Bundesämter für Raumordnung (ARE) und für Landwirtschaft (BLW) sowie das BAFU nun mit einem gemeinsamen Modellvorhaben langfristig Abhilfe schaffen und sich für Zeiten der Wasserknappheit rüsten. Das Projekt «Integrales Wassermanagement im Einzugsgebiet Seeland-Broye» ist umso anspruchsvoller, als das Grosse Moos im 19. Jahrhundert durch Menschenhand eine tief greifende Umgestaltung erfuhr: Periodisch überflutete Sümpfe wurden durch die Absenkung der Seespiegel und ein austariertes System von Kanälen zum intensiv genutzten Wirtschaftsraum. Diese Binnenkanäle spielen für die Ökologie und die Landwirtschaft auch heute noch eine wichtige Rolle. Sie schützen die Äcker einerseits vor Überschwemmungen und dienen andererseits ihrer Bewässerung. «Die Gemüsebauern stehen unter enormem Produktionsdruck und müssen die Grossverteiler ‹on time› beliefern», sagt Projektleiter Martin Fritsch von der Beratungsfirma Emac. Wenn die Landwirte aber ihre Bewässerungsanlagen modernisieren oder grössere Flächen bewässern möchten, wüssten die Behörden nicht, wie sich die Genehmigung zusätzlicher oder wirkungsvollerer Anlagen auf das regionale Gesamtsystem auswirke, erklärt der Fachmann.

Interessenkonflikte entschärfen

Erschwerend hinzu kommt die Lage des Seelands im Grenzgebiet der Kantone Bern, Freiburg und Waadt. Sie alle würden zwar eine möglichst nachhaltige Bewirtschaftung des Wassers anstreben, bestätigt Martin Fritsch. Doch die Ansätze unterscheiden sich von Kanton zu Kanton. «Während die Behörden zum Teil summarische Konzessionen erteilen, stellen andere nur Einzelkonzessionen aus. Einige Kantone gestatten lediglich Entnahmen aus Fliessgewässern, während andere auch das Pumpen von Grund- oder Seewasser zulassen. Gerade in Situationen von Wasserknappheit führt dies zu Konflikten», erläutert der Experte. In einem ersten Schritt sind nun in den drei Kantonen Workshops mit Beteiligten aus den Bereichen Landwirtschaft, Wasserversorgung, Naturschutz sowie von weiteren Anspruchsgruppen geplant. Sie werden zunächst eine gemeinsame Problemsicht erarbeiten und die gegenwärtige Situation mit dem Soll-Zustand vergleichen.

Das Hauptziel besteht darin, sowohl den zuständigen kantonalen Behörden als auch den betroffenen Landwirten konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Anstelle der üblichen Bewässerungssysteme mit Sprinkleranlagen empfehlen Fachleute etwa bodennahe Ausbringtechniken wie die Tropfbewässerung. Zudem können die Bauern Wasserverluste durch Verdunstung vermindern, indem sie ihre Kulturen vermehrt in den Abend- und Nachtstunden bewässern. Mit solchen Anleitungen möchte man die landwirtschaftliche Wasserversorgung und -entsorgung langfristig optimieren, Konfliktsituationen mittelfristig entschärfen und Extremsituationen kurzfristig bewältigen können.

Wichtige Entscheidungsgrundlagen

Die Schweiz steht beim integralen Wassermanagement erst am Anfang. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wassernutzung» (NFP 61) lotet das Projekt IWAGO - die Abkürzung steht für Integrated Water Governance - die Möglichkeiten und Voraussetzungen eines ganzheitlichen und sektorenübergreifenden Umgangs mit Wasser aus. Das BAFU ist stark an den Ergebnissen interessiert, hat es doch vor einigen Jahren selber ein Leitbild und eine Praxisanleitung für integrales Wassermanagement erarbeitet. «Bis jetzt sind in den meisten Fällen erst einzelne Elemente umgesetzt worden, etwa im Rahmen von Gewässerentwicklungsplanungen, welche die Ansprüche der Trinkwasserversorgung mit Revitalisierungen und dem Hochwasserschutz verbinden», erklärt Hugo Aschwanden, Chef der Sektion Revitalisierung und Gewässerbewirtschaftung beim BAFU. Ein integrales Wassermanagement geht aber weiter, indem es die sektorenübergreifenden Strukturen und Prozesse periodisch überprüft und anpasst, wenn neue Entwicklungen oder Ansprüche dies erfordern.

Stufenweises Vorgehen des Bundes

Die Bewirtschaftung der Wasserressourcen ist Sache der Kantone. Deshalb gibt das BAFU nicht verbindlich vor, wie diese mit lokalen Problemen der Wasserknappheit umgehen sollen. Vielmehr unterstützt sie der Bund mit Praxisgrundlagen und empfiehlt den Behörden eine auf die regionalen Bedürfnisse abgestimmte Umsetzung. Das BAFU rät dabei zu einem stufenweisen Vorgehen und hat dazu drei Expertisen in Auftrag gegeben, die aufeinander aufbauen. Teil des Pakets ist eine Anleitung für die Kantone zum Ermitteln von Regionen, in denen eine lokale Wasserknappheit zum Problem werden könnte. Ein weiterer Bericht umfasst einen Werkzeugkasten für kurzfristige Massnahmen bei lokaler Wasserknappheit im Sinne von «good practices». Noch nicht abgeschlossen ist die dritte Expertise für eine langfristige und vorausschauende Bewirtschaftung der regionalen Wasserressourcen.

Daneben unterstützt der Bund verschiedene Einzelprojekte. Während das integrale Wassermanagement im Seeland auf den langfristigen Umgang mit Engpässen ausgerichtet ist, will ein weiteres Angebot der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) den Verantwortlichen vor Ort helfen, kurzfristig die richtigen Massnahmen zu ergreifen.

Mehr wissen, um früh zu handeln

Im Rahmen des NFP 61 hat die WSL das Online-Informationsportal www.drought.ch entwickelt, das mehreren Ansprüchen genügen soll. Zu diesem Zweck ermittelte man in Workshops die Bedürfnisse verschiedener Benutzergruppen und bezog auch weitere Interessierte mit ein. Nach Eingabe der Webadresse erscheint eine Schweizer Karte, die schematisch den aktuellen Grad an Trockenheit in verschiedenen Regionen darstellt. In der Randspalte sind die neusten Nachrichten zum Wassermangel aufgelistet. Wer sich einloggt, kann zusätzliche Informationen zur hydrologischen Trockenheit abrufen, die beispielsweise anzeigen, an welchen Pegelmessstationen die Abflüsse das langjährige Mittel unterschreiten und wie gross die Defizite ausfallen. Daten zum Grundwasserniveau lassen sich ebenso einsehen wie Angaben zur Bodenfeuchte, einem für die Landwirtschaft besonders wichtigen Faktor. Um rechtzeitig die richtigen Massnahmen treffen zu können, ist der Blick in die Zukunft unabdingbar - auch dazu steuert die Plattform hilfreiche Daten bei. So zeigen etwa kartografische Darstellungen auf, wie sich in 57 Teilgebieten der Schweiz in den kommenden 5 Tagen Niederschlag, Abfluss, Bodenfeuchte und Grundwasserstand entwickeln werden.

Beliebtes Arbeitsinstrument

Weil sich Interessierte noch einloggen müssen, wenn sie auf die gesamte Datenfülle zugreifen möchten, weiss der WSL-Projektleiter Manfred Stähli recht genau, wann, wie stark und von wem die Plattform genutzt wird. «Bei einer drohenden Trockenheit verzeichnen wir die meisten Besuche aus den Bereichen Verwaltung und Landwirtschaft», hat Manfred Stähli beobachtet. Ein regelmässiger Nutzer von www.drought.ch ist Robert Holzschuh von der Abteilung Wasserbau und Hydrometrie beim Amt für Umwelt des Kantons Thurgau. In Zeiten lokaler Wasserknappheit lässt er die Angaben der Informationsplattform mit seinem Trockenheitsbulletin an verschiedene Fachstellen und Verbände durchsickern, so etwa an Landwirte, Gemüsebauern und Beerenzüchter. «Für uns ist es ein tolles Arbeitsinstrument», freut sich Robert Holzschuh.

Die Informationsplattform der WSL wird deshalb auch nach Abschluss des NFP 61 weiterbetrieben, denn ihr Nutzen ist ausgewiesen. Sämtliche Erwartungen kann sie allerdings nicht erfüllen: «Unsere Plattform ist national - aber die Landwirte möchten die Informationen am liebsten parzellengenau beziehen», sagt Manfred Stähli. Diesbezüglich klaffen die Wünsche und technischen Möglichkeiten noch auseinander.

Dialog als Mittel der Konfliktbewältigung

Bemühungen für ein integrales Wassermanagement sollten keine übertriebenen Erwartungen wecken. Gerade bei umfassenden Lösungsansätzen, die den Wünschen verschiedener Anwender genügen sollen, fällt es mitunter schwer, den unmittelbaren Nutzen zu dokumentieren. Dies zeigen Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt IWAGO. Die beteiligten Fachleute werten es jedoch als Erfolg, dass es gelungen ist, im Rahmen des Vorhabens eine einheitliche Problemsicht und eine gemeinsame Sprache zu erarbeiten. «Der Dialog braucht Zeit. Aber er ist eine wichtige Voraussetzung für langfristig funktionierende Lösungen, die bei Konflikten im Umgang mit lokaler Wasserknappheit von allen Betroffenen akzeptiert werden», bekräftigt auch Hugo Aschwanden vom BAFU. «Wenn es auf regionaler Ebene gelingt, mit den Betroffenen dauerhafte Lösungen auszuhandeln, werden wir auch in Zukunft genügend Wasser haben.»

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Letzte Änderung 18.05.2016

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