Aus der Forschung: Wie die Wirtschaft nachhaltiger werden kann

Damit die Schweiz ihre Umweltziele erreichen kann, braucht es Massnahmen – auch in der Privatwirtschaft. Etwa in der Landwirtschaft, beim Wohnen und Bauen, bei der Ernährung oder im Finanzwesen. Das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Wirtschaft» (NFP73) soll Lösungen erarbeiten. Wir stellen einige Ansätze vor.

Text: Julien Crevoisier

Dunia Brunner
«Recycling ist das letzte Mittel», sagt Dunia Brunner, Doktorandin am Laboratory for Applied Circular Economy.
© Yoshiko Kusano/Lunax/BAFU

Im Jahr 2022 hat die Schweiz bereits am 13. Mai, also 262 Tage vor Jahresende, den sogenannten Overshoot Day erreicht. Ab diesem Datum leben wir für den Rest des Jahres ressourcenmässig auf Pump. Und zwar so sehr, dass es rechnerisch 2,8 Erden bräuchte, um unseren Verbrauch an natürlichen Ressourcen zu decken. Mit der Unterzeichnung des Klimaübereinkommens von Paris im Jahr 2015 hat sich die Schweiz verpflichtet, ihre CO2-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu halbieren und spätestens bis 2050 klimaneutral zu werden. Denn eines steht fest: Es braucht Mittel und Wege, um den Ressourcenverbrauch und den Ausstoss von Treibhausgasen drastisch zu senken.

Um diesem ehrgeizigen Ziel näherzukommen, lancierte der Schweizerische Nationalfonds im Jahr 2016 im Auftrag des Bundesrats das Nationale Forschungsprogramm NFP73 mit dem Titel «Nachhaltige Wirtschaft: ressourcenschonend, zukunftsfähig, innovativ». Das mit 20 Millionen Franken dotierte Programm umfasst 29 interdisziplinäre Forschungsprojekte zu vielfältigen Themen, angefangen von der Forstwirtschaft über nachhaltiges Bauen bis hin zur Kreislaufwirtschaft.

Die Forschungsarbeiten sollen Unternehmen Handlungsempfehlungen geben, staatlichen Stellen Orientierung bieten sowie den zuständigen Regulierungsbehörden den Weg weisen. Neun thematische Schwerpunkte wurden definiert: Forstwirtschaft, Kreislaufwirtschaft, Finanzwesen, Wohnen und Bauen, Städte und Mobilität, nachhaltiges Verhalten, Governanz, Landwirtschaft und Ernährung sowie Lieferketten.

Innerhalb dieses Rahmens haben die 29 Forschungsteams verschiedene Wege erforscht, um die Folgen des menschlichen Handelns für die Umwelt zu verringern und gleichzeitig die Lebensqualität zu steigern. Hier stellen wir vier dieser Projekte vor.

Recycling als letztes Mittel

Im «Labor für eine Kreislaufwirtschaft» widmeten sich Forschende aus Physik, Politik, Recht und Wirtschaft einem gemeinsamen Ziel: die dynamischen Prozesse in Richtung eines Wirtschaftsmodells zu verstehen, das auf der Wiederverwendung von Ressourcen beruht und Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit miteinander in Einklang bringt. So gibt es in einer perfekten, absoluten Kreislaufwirtschaft überhaupt keine Abfälle mehr. Das Konzept strebt an, dass nichts als Müll gelagert oder verbrannt werden muss. Heute ist das Recycling die gebräuchlichste Lösung, diese ist aber sehr energieintensiv. «Bei jeder Umwandlung von Material geht Energie verloren. Darum sollte Recycling das letzte Mittel sein», sagt Dunia Brunner, die als Doktorandin am Projekt mitarbeitete.

«Besser konzipierte Produkte, die langlebiger, leichter zu unterhalten und zu reparieren sind und gemeinsam genutzt werden können: Das ist es, was wir in der Kreislaufwirtschaft vorantreiben möchten», ergänzt sie. Die Herausforderung der kommenden Jahre besteht denn auch darin, weniger neue Ressourcen abzubauen. «Laut den Ergebnissen unserer Kolleginnen und Kollegen von der Forschungsanstalt Empa wird es wohl nötig sein, Nutzungsquoten für jede Art von Ressource einzuführen», sagt Stéphane Nahrath, Professor für Politikwissenschaft und Co-Leiter des Projekts. «Dies würde das Bewusstsein dafür schärfen, dass natürliche Ressourcen nicht unbegrenzt sind – genau wie Geld.»

Weniger Wohnraum beanspruchen

Mit einem besseren Lebensstandard, aber auch aufgrund der zunehmenden Energieeffizienz von Gebäuden ist in der Schweiz die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf gestiegen: zwischen 1980 und 2020 von 34 auf 46 Quadratmeter. Bis ins Jahr 2030, schätzen Forschende, dürfte die gesamte Schweizer Wohnfläche um nochmals 36 Prozent wachsen. Doch diese Entwicklung und die damit verbundenen Neubauten sind nicht mit den Umweltzielen vereinbar. Ein Forschungsteam sucht darum nach Wegen, um den Wohnsektor zu dekarbonisieren. «Fest steht, dass der ökologische Fussabdruck von Immobilien stark durch die Wohnfläche bestimmt wird», erklärt Philippe Thalmann, Professor für Umweltökonomie an der ETH Lausanne. Der Trend hin zu immer mehr Gebäuden steht also im Widerspruch zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung. «Damit wir bis 2050 Klimaneutralität erreichen, ist es nötig, deutlich weniger neu zu bauen und gleichzeitig mehr zu renovieren und umzubauen – nicht nur, um die Energieeffizienz der Bauten zu steigern, sondern auch, um darin mehr Menschen unterzubringen», sagt Thalmann. Eine Möglichkeit sieht der Forscher etwa darin, für Ein- oder Zweipersonenhaushalte Anreize zu schaffen, die kleinere Wohnungen attraktiver machen. «Natürlich sollen die Menschen nicht zusammengepfercht in zu engen Wohnungen leben müssen», beruhigt er. «Aber allein mit einer Pro-Kopf-Wohnfläche wie in den 1960er-Jahren würde der jetzt in der Schweiz verfügbare Wohnraum für 10 Millionen Menschen ausreichen.»

Nachhaltiges Verhalten: der Einfluss der Umweltidentität

Täglich treffen wir Entscheidungen, die sich auf unsere Umwelt auswirken. Im Rahmen des NFP73 haben sich der Marketingexperte Sandor Czellar von der Universität Lausanne und sein Team insbesondere mit dem Konzept der Umweltidentität und deren Rolle für nachhaltige Konsum- und Verhaltensmuster beschäftigt. In den vergangenen Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass unter den individuellen Identitätsmerkmalen wie Beruf oder Geschlecht die Verbindung einer Person zur Natur ein prägender Faktor für nachhaltiges Verhalten ist. Diese Naturverbundenheit wird von der Wissenschaft als Umweltidentität bezeichnet. «Die meisten Menschen behaupten spontan, sie fühlten sich der Natur nahe. Folglich wird ihnen eine relativ stark ausgeprägte Umweltidentität zugeschrieben, erklärt Sandor Czellar. Wie aber beeinflusst diese Identität die alltäglichen Handlungen? «Zeigt sich die Umweltidentität etwa, wenn man im Supermarkt ein biologisch produziertes statt ein anderes Gemüse wählt?», veranschaulicht Czellar. Noch mehr als die Umweltidentität selbst zähle deren Aktivierung.

Der Forscher schlägt vor, mithilfe von Kommunikationsinstrumenten die Umweltidentität der Konsumentinnen und Konsumenten gezielt anzusprechen. «Allein durchs Nachfragen kann diese Aktivierung ausgelöst werden», sagt Czellar. «Wenn man den Menschen die Natur als Teil ihrer Umgebung in Erinnerung ruft, kann man einiges erreichen. Bringt man sie aber dazu, ihre eigene Beziehung zur Natur zu hinterfragen, so ist die Chance noch grösser, dass sie ihre Lebensweise nachhaltiger gestalten.»

Wie der Wald für uns da ist – und bleibt

Welchen Platz nehmen die Wälder in einer nachhaltigen Wirtschaft ein? Dieser Frage gehen Roland Olschewski, Tobias Schulz and Esther Thürig von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf (ZH) nach. Denn der Wald erbringt als Pfeiler des ökologischen und ökonomischen Gleichgewichts eine Reihe von Leistungen: Er versorgt uns mit Holz, stabilisiert die Böden, schützt vor Steinschlag und Lawinen, speichert CO2 und bietet Ruhe und Erholung.

«Die Ergebnisse unserer drei Forschungsprojekte machen deutlich, dass es ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz braucht», erklärt Schulz. «Entscheidend wird zum Beispiel sein, Waldeigentümerinnen und -bewirtschaftern Alternativen zum Holzschlag zu bieten, die verstärkt auf den Schutz des Klimas und der Biodiversität ausgerichtet sind und so darauf abzielen, dass die Wälder auch in Zukunft als Kohlenstoffsenken dienen.»

Durch eine proaktive Bewirtschaftung lässt sich zudem die Schutzwirkung der Wälder vor Steinschlag und Lawinen stärken. Olschewski beschäftigt sich etwa mit einer Art Versicherungsmodell, welches für Waldeigentümerinnen Anreize schafft, die Schutzleistungen ihres Waldes zu verbessern. «Unsere Befragungen unter Waldeigentümern haben gezeigt, dass die Zahlungsbereitschaft für einen besseren Schutz gross ist. Eine der zentralen Herausforderungen besteht darin, die kritische Masse für eine dauerhafte Sicherung dieser Schutzleistung zu erreichen.»

Neun Schwerpunkte

Für das Nationale Forschungsprogramm (NFP) 73 «Nachhaltige Wirtschaft» wurden die folgenden Themenschwerpunkte definiert:

  • Forstwirtschaft
  • Kreislaufwirtschaft
  • Finanzwesen
  • Wohnen und Bauen
  • Städte und Mobilität
  • Nachhaltiges Verhalten
  • Governanz
  • Landwirtschaft und Ernährung
  • Lieferketten

Fazit

Weniger Wohnraum beanspruchen, um die Energieeffizienz zu steigern, das Design von Gegenständen überdenken, um sie wiederverwertbar zu machen, oder das Konzept der Umweltidentität besser verstehen: Die 29 Arbeiten des Nationalen Forschungsprogramms NFP73 erforschen Wege, um den Ressourcenverbrauch und den Kohlenstoffausstoss zu drosseln.

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Letzte Änderung 15.03.2023

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