Wie Gemeinden, Kantone und Bundesstellen ihre Güter und Dienstleistungen möglichst verantwortungsvoll beschaffen können, zeigt die neue Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WöB).
Neue Plattform für das öffentliche Beschaffungswesen: Der Staat setzt beim Einkauf auf Nachhaltigkeit
Text: Kaspar Meuli
Bis zu viermal im Jahr ruft der Bund die Stimmberechtigten an die Urne. Damit sie fundierte Entscheide treffen können, lässt die Bundeskanzlei jeweils rund 5,5 Millionen Exemplare des Bundesbüchleins drucken. Bei einem Umfang von 40 Seiten braucht es dafür 221 Tonnen Papier, das etwa 13 Lastwagen füllt. Um die Umweltbelastung ihrer Druckprodukte möglichst zu reduzieren, setzt die Bundesverwaltung gezielt auf dünnes Recyclingpapier und umweltschonende Druckverfahren.
Gerade bei der öffentlichen Hand sind die Ansprüche an das Beschaffungswesen gross, denn immer stärker soll sie mit gutem Beispiel vorangehen und nachhaltig einkaufen. So wollen es das Bundesgesetz und die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB, IVöB). Beide sind weitestgehend harmonisiert und seit 2021 in Kraft. Sie leiten einen eigentlichen Paradigmenwechsel ein. Neu müssen bei der Beschaffung neben finanziellen Kriterien nämlich verstärkt auch qualitative Aspekte berücksichtigt werden. Dazu gehört auch die Nachhaltigkeit. Die IVöB wird gegenwärtig in den kantonalen Gesetzgebungen umgesetzt.
Nachhaltigkeitsziele erreichen
Die Vereinten Nationen haben sich 17 Ziele für die nachhaltige Entwicklung gesteckt. Bis 2030 sollen alle UNO-Mitgliedsstaaten diese erreichen. Ein Unterziel der Übereinkunft, zu der sich auch die Schweiz verpflichtet hat, lautet: «In der öffentlichen Beschaffung nachhaltige Verfahren fördern.» Demnach gilt es, Güter, Dienst- und Bauleistungen sowie Produktionsformen zu begünstigen, die den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Ansprüchen der Nachhaltigkeit gerecht werden. Wenn die öffentliche Hand bewusst einkauft, hat das nicht nur Vorbildwirkung. Die von Bund, Kantonen und Gemeinden dafür aufgewendeten Beträge können nämlich auch eine grosse Hebelwirkung entfalten. Mit einem jährlichen Beschaffungsvolumen von über 40 Milliarden Franken sind sie ein wichtiger Treiber für die nachhaltige Entwicklung.
Um Einkäuferinnen und Einkäufern diese anspruchsvolle Aufgabe zu erleichtern, hat der Bund die Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WöB) geschaffen. Das BAFU war an deren Aufbau massgeblich beteiligt. «Wir wollen die neue Vergabekultur auf allen föderalen Ebenen unterstützen», sagt Ruth Freiermuth Knuchel, Leiterin der Fachstelle ökologische öffentliche Beschaffung im Amt. «Deshalb stellen wir praxisnahe Instrumente für die ökologische und nachhaltige öffentliche Beschaffung zur Verfügung.»
Kunsthaus aus rezykliertem Beton
Das Interesse am nachhaltigen Beschaffungswesen ist gross. An der ersten nationalen Tagung zum Thema, die im Frühling 2021 online stattfand, beteiligten sich 500 Personen. Als «zentrales Einstiegsportal und Nachschlagewerk» wurde am Anlass auch die neue Wissensplattform WöB vorgestellt. Auf grosse Beachtung stiessen dabei Praxisbeispiele aus der Stadt Zürich. Sonja Gehrig, die städtische Expertin für nachhaltige Beschaffung und Kreislaufwirtschaft, berichtete unter anderem, dass Zürich empfehle, grundsätzlich alle öffentlichen Gebäude mit Recyclingbeton zu bauen – auch Prestigebauten, wie dies etwa beim Kunsthaus bereits der Fall war. Im Strassenbau setzt die Stadt zudem möglichst viel Recyclingasphalt ein.
Die Themen Hoch- und Tiefbau haben auch auf der Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WöB) viel Gewicht. «Die grössten Nachhaltigkeitshebel liegen für die öffentliche Hand bei den Themen Bauen und Energie», sagt Ruth Freiermuth Knuchel vom BAFU, «anschliessend folgen die Bereiche Verpflegung und IT.» Eine Analyse der Beschaffung beim Bund – mit einem jährlichen Einkaufsvolumen von über 7 Milliarden Franken – hat ergeben, dass 19 Warengruppen bei der Güterbeschaffung in Sachen Nachhaltigkeit besonders ins Gewicht fallen. Aus dieser Erkenntnis wurde eine sogenannte Relevanzmatrix abgeleitet, die nun auch Teil der WöB ist. Mit von der Partie sind die Beschaffungskonferenz des Bundes, die Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren, die Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz, der Schweizerische Gemeindeverband sowie der Schweizerische Städteverband. Bei der Entwicklung der WöB werden sie vom Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) und vom BAFU unterstützt.
Die Website www.woeb.swiss ist ein umfassendes Nachschlagewerk zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung, das unter anderem technische und rechtliche Referenzdokumente, Hintergrundinformationen sowie Faktenblätter anbietet. Aufgeteilt auf die zwei Bereiche «Güter und Dienstleistungen» sowie «Bau und Immobilien» – und selbstverständlich dreisprachig.
Wie komplex die Materie ist, wird dem Laien etwa beim Blick ins Dokument «Nachhaltiges Beschaffen im Bau – Teil Infrastruktur» klar. Schritt für Schritt ist hier thematisiert, wie die verantwortlichen Behörden bei der Ausschreibung eines Auftrags vorgehen sollen, damit die Nachhaltigkeit bei den Eignungs- und Zuschlagskriterien ein besonderes Gewicht erhält. Die diskutierten Aspekte reichen von der Optimierung der Materialtransporte bis zum Nachhaltigkeitskonzept, das zur Auswahl eines geeigneten Planers führen kann.
Harmonisierung in Gang gebracht
Ziel der Beschaffungsplattform ist nicht zuletzt der Wissenstransfer. «Wir wollen, dass die nachhaltige Beschaffung eine möglichst grosse Wirkung erzielt», sagt Ruth Freiermuth. «Dazu muss das vorhandene Wissen verstärkt gemeinsam geteilt und genutzt werden.» Kommt hinzu: Die Revision des Bundesgesetzes und der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen hat zugleich die Harmonisierung des öffentlichen Beschaffungswesens in den Kantonen in Gang gebracht. Damit wird der Austausch von Wissen und Erfahrungen noch einfacher.
Die Zusammenarbeit macht aber nicht an der Landesgrenze halt. So tauscht sich die Fachstelle ökologische öffentliche Beschaffung beim BAFU regelmässig auch mit internationalen Gremien aus. Um das Potenzial der Einkäufe durch die öffentliche Hand als Treiberin von nachhaltigen Innovationen besser ausschöpfen zu können, haben sich verschiedene Länder im Circular & Fair ICT Pact (CFIT) zusammengeschlossen – darunter auch die Schweiz. Das Ziel dieser internationalen Partnerschaft besteht darin, gemeinsam Kriterien für fair produzierte und kreislauffähige Laptops und Smartphones zu entwickeln und anzuwenden. Dadurch soll eine grosse öffentliche Nachfrage für nachhaltige Produkte entstehen. Das beträchtliche Beschaffungsvolumen macht es für Produzenten und Lieferanten interessant, ihre Geschäftsmodelle schneller den ökologischen Erfordernissen anzupassen. Dies kommt letztlich auch der Privatkundschaft zugute.
Werkbank für Einkaufsverantwortliche
Mit der neuen Plattform WöB würden nicht nur Bund, Kantone und Gemeinden angesprochen, sondern auch Firmen und bei gewissen Kaufentscheiden sogar Privatpersonen, sagt Ruth Freiermuth. Entscheidend dafür, wie gut vom neuen Angebot Gebrauch gemacht wird, ist die Benutzerfreundlichkeit. Deshalb können Interessierte ein Benutzerkonto für personalisierte Suchergebnisse einrichten und mittels Filterfunktionen recherchieren. Die laufend ausgebaute Plattform wird bei den angesprochenen Fachleuten gezielt bekannt gemacht. Der Kanton Genf etwa stellt die WöB an seinen Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema nachhaltige Beschaffung vor. Direkt an den Bedürfnissen von Gemeinden und Kantonen orientiert sich die «Toolbox Nachhaltige Beschaffung Schweiz» als Teil der Wissensplattform. Sie führt in aktualisierter Form die bewährten Beschaffungsinstrumente «Guide des achats professionnels responsables» und «Kompass Nachhaltigkeit» zusammen. Die Toolbox liefert Grundlagen, behandelt Instrumente und Methoden und führt Empfehlungen für Beschaffungskriterien auf, die sich als Textbausteine in eine Ausschreibung integrieren lassen. Nicht zu vergessen sind die laufend ergänzten zahlreichen Praxisbeispiele von bereits durchgeführten nachhaltigen Beschaffungen durch Gemeinden und Kantone.
Treiber von Innovationen
Vorbilder für Innovationen im Beschaffungswesen gibt es viele: Die Stadt Uster (ZH) beispielsweise hat einen Beschaffungsleitfaden erarbeitet, der sich an die Verwaltung, aber auch an das lokale Gewerbe richtet. Firmen können sich für Offerten auf diese Leitlinien stützen und sich mit nachhaltigen Produkten einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Oder Lancy: Die drittgrösste Gemeinde des Kantons Genf engagiert sich seit Längerem für die nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Grünflächen. In den Treibhäusern der Stadt werden jährlich rund 55 000 Pflanzen unter dem Label Bio Suisse gezüchtet. Und schliesslich La Chaux-de-Fonds (NE): Die Stadt hat ein eigenes Produkt entwickelt, das die vereisten Trottoirs sicherer macht, ohne die Umwelt zu schädigen. Es nennt sich Stop Gliss Bio und wird aus Holz hergestellt.
Häufig sind bei der öffentlichen Beschaffung aber nicht nur neue Ideen gefragt, sondern zuerst einmal gründliche Analysen. Sie können durchaus zum Ergebnis führen, dass Neukäufe nicht immer die beste Lösung sind.
Video: Relevanzmatrix
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Letzte Änderung 24.02.2022