Mitwirkung der Bevölkerung: «Neue Technologien als Triebfedern der Partizipation»

Organisation von Kundgebungen via soziale Netzwerke, Onlinebeiträge zu wissenschaftlichen Projekten, Bereitstellung von Geodaten: Die Bevölkerung beteiligt sich zunehmend am Klimaschutz – aktiv wie passiv.

Text: Patricia Michaud

Gemeinsam wissenschaftliche Früchte ernten
Gemeinsam wissenschaftliche Früchte ernten
© BAFU

Bunte Plakate, aufgeräumte Stimmung trotz nasskaltem Wetter, laute Sprechchöre: Die Klimastreiks der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sorgten im Winter 2018/19 in zahlreichen Schweizer Städten für Leben in den Strassen. In der Vergangenheit vermochten höchstens Fasnachtsumzüge, so viele Jugendliche an einem Wochentag zu mobilisieren. Die Vehemenz dieser kollektiven Kampfansage gegen die Klimaerwärmung hinterliess bei den Erwachsenen, und nicht zuletzt bei den Politikern, einen bleibenden Eindruck.

Die Organisatoren konnten sich dabei auf ein äus­serst schlagkräftiges Medium verlassen: die sozialen Netzwerke. «Ohne diese wäre eine landesweite Mobilisierung schwierig gewesen», sagt Cloé Dutoit, Klimastreik-Aktivistin an der Universität Neuenburg. In den verschiedenen Kantonen wurden WhatsApp-Diskus­sionsgruppen eingerichtet. «Über diese Gruppen wurden die wichtigsten Informationen zu den Streiks sowie Links zu Untergruppen an den Gymnasien und Universitäten verbreitet. Daneben gab es Gruppen, die sich konkreten Aufgaben gewidmet haben, etwa der Logistik oder den Kontakten zu den Behörden.» Aber warum so viele getrennte Informationskanäle? «Um zu vermeiden, dass wichtige Informationen in der Mitteilungsflut untergingen.»

Auch Leïla Rölli, Gründerin der Website «En Vert Et Contre Tout», schätzt die sozialen Medien als sensationelles Instrument zur Mobilisierung der Bevölkerung für den Kampf gegen den Klimawandel. «Ohne die sozialen Netzwerke wären meine Kolumnen und Kampagnen kaum wahrgenommen worden.» Die bevorzugten Kommunikationskanäle der jungen Aktivistin sind Facebook, Instagram, Twitter und YouTube. «Für die Kampagne ‹Février sans supermarché› (Februar ohne Supermarkt) habe ich zum Beispiel regionale Facebook-Seiten erstellt.» Bei der Aktion «Papaille» – sie ruft zum Verzicht auf Plastik-Trinkhalme in Bars und Cafés auf – setzt Rölli unter anderem auf die Veröffentlichung von Bildern von «Musterschülern» auf Instagram.

Smartphones sei Dank

Bei der Mobilisierung der Bevölkerung im Kampf für die Umwelt werden die neuen Technologien jedoch längst nicht nur dazu genutzt, um Botschaften über soziale Netzwerke grossräumig zu verbreiten. Wer auch immer ein Smartphone besitzt, kann einen Beitrag zur Klimaforschung, der Grundlage für politische Entscheide, leisten. Laut Tiina Stämpfli, stellvertretende Direktorin der Stiftung Science et Cité, ist die Citizen Science – also die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die wissenschaftliche Forschung – an sich keine Begleiterscheinung der Digitalisierung. «Von jeher versorgen interessierte Laien die Forschenden mit Daten aus eigenen Beobachtungen, die sie zum Beispiel mit dem Fernglas oder dem Thermometer gemacht haben.» Allerdings verleihen die technischen Möglichkeiten der Smartphones dieser Praxis einen enormen Schub.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche wissenschaftliche Projekte angestossen, die auf von der Bevölkerung gesammelten Daten beruhen. Dank der App CrowdWater, die von der Universität Zürich bereitgestellt wird, können die Bürgerinnen und Bürger selbst Messungen an Schweizer Flüssen und Bächen durchführen und die Daten per Smartphone an ein Forscherteam übermitteln, das Hochwasser- und Trockenheitsvorhersagen modelliert. Der Verein STOPPP wiederum motiviert Freiwillige dazu, ihre Beobachtungen mittels einer App namens Marine LitterWatch festzuhalten. Die so gesammelten Daten flossen 2018 in den Swiss Litter Report ein. Dieser zeigte auf, dass auch die Schweizer Gewässer zunehmend durch Plastikabfälle belastet sind.

Globales Problem, globale Projekte

Parallel zum Boom von Citizen-Science-Projekten auf lokaler Ebene ist, wie Tiina Stämpfli erfreut feststellt, auch bei den transnationalen Kampagnen ein Aufschwung zu beobachten. «Die Klimaerwärmung ist ein globales Problem, das mit globalen Projekten angegangen werden muss. Und gerade die neuen Technologien ermöglichen eine Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg.» So etwa im Rahmen des Programms Global Mosquito Alert, das über die Technologieplattform Environment Live Beobachtungen von Tausenden von Wissenschaftlern und Freiwilligen auf allen Kontinenten verfügbar macht. Ziel des Programms ist es, wirksamer gegen die Ausbreitung problematischer Stechmücken vorzugehen, die durch die Klimaerwärmung begünstigt wird.

Während die Citizen Science die aktive Mitwirkung der Bevölkerung voraussetzt, ermöglichen die neuen Technologien auch eine andere, in diesem Fall passive Form des Engagements für den Umweltschutz: «Wer ein Smartphone besitzt, gibt eine enorme Menge an Informationen preis – manchmal ohne sich dessen bewusst zu sein», erklärt Geo­datenspezialist Raphael Rollier. Diese Daten bergen ein enormes Potenzial im Hinblick auf die nachhaltige Entwicklung. «Mit der Gratis-App von Moovit beispielsweise lassen sich Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Tausenden von Städten in aller Welt planen. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Moovit setzen die Zustimmung der Nutzerinnen und Nutzer voraus, geolokalisiert zu werden, auch wenn die App nicht aktiv ist.» Dank der Verknüpfung dieser Informationen mit Open-Source-Daten und Beobachtungen von 500 000 Freiwilligen weltweit kann Moovit massgeblich zum Modal Shift – also zur Verlagerung des Verkehrs auf andere Verkehrs­träger – beitragen.

Die Nutzung von Informationen, die von Smartphones und Tablets generiert werden, ist jedoch aus Sicht des Datenschutzes äusserst problematisch. «Die Menschen sind nach wie vor sehr naiv, was Big Data anbelangt», kommentiert Raphael Rollier. Dem kann Tiina Stämpfli nur zustimmen: «Es braucht zwingend einen strikten Rahmen für die Verwendung der Daten. Das gilt auch für nicht kommerzielle Projekte. Wer bereit ist, Informationen für eine gute Sache zur Verfügung zu stellen, will nicht unbedingt, dass eine Maschine jederzeit den Aufenthaltsort kennt!»

Weiterführende Informationen

Kontakt
Letzte Änderung 04.09.2019

Zum Seitenanfang

https://www.bafu.admin.ch/content/bafu/de/home/themen/bildung/dossiers/magazin2019-3-dossier/mitwirkung-der-bevoelkerung.html