Die dunkle Seite des Lichts

Die Erfindung von künstlichen Lichtquellen brachte der Menschheit Wohlstand und bis dahin unbekannte Freiheiten. Zu viel Kunstlicht schadet allerdings dem Ökosystem. Deswegen braucht es einen verantwortungsbewussten Umgang mit Beleuchtungsanlagen.

Text: Andres Eberhard

In der Schweiz sieht es gar nicht düster aus – doch das ist keine gute Nachricht, denn die zunehmende Lichtverschmutzung bedroht die Ökosysteme. Intelligent eingesetzte Beleuchtung hilft aber, die Artenvielfalt, die Bestäubung und das menschliche Wohlbefinden zu schützen. Wir zeigen mögliche Lösungen.
© Martin Kober/Mauritius Images/Keystone

«Es werde Licht.» So lautet es an prominenter Stelle in der Bibel. Im Christentum, aber auch in anderen Religionen steht Licht für das Gute. Schliesslich wird Leben erst durch Licht möglich. Licht spendet Wärme und Energie für das Wachstum aller Lebewesen, und es trägt zur Fotosynthese der Pflanzen bei. Im Licht, so die Vorstellung über Kulturgrenzen hinweg, offenbart sich das Wahre, wohingegen Dunkelheit für das Böse – eben Finstere – steht. Entsprechend feiern Gläubige mit Licht: Kerzen oder Lampen werden nicht nur in der christ­lichen Kultur zu Weihnachten oder bei Laternen­umzügen angezündet, sondern auch am jüdischen Lichterfest Chanukka oder zu Beginn des Schabbats, in hinduistischen Ritualen, bei buddhistischen Zeremonien sowie im Islam als Brauch während des Fastenmonats Ramadan.

Von der Kerze zur Glühlampe

Bis der Mensch das Feuer als Wärme- und Lichtquelle entdeckte, war die Sonne seine einzige Lichtquelle. Die Erfindung von hellen künstlichen Lichtquellen ist eine noch relativ junge Errungenschaft der Menschheit: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stand Gaslicht zunehmend zur Verfügung, später hat sich Petroleum verbreitet und ab den 1880er-Jahren elektrisches Licht. Fortan war es nicht mehr Gott, der Licht ins Dunkel brachte, sondern der Mensch selbst. Ganz im Sinne der Aufklärung trat Wissen an die Stelle mystischer Vorstellungen – bezeichnenderweise wird das Zeitalter im Französischen auch «Siècle des Lumières» genannt.

Heute ist es selbstverständlich, dass wir abends ein Buch lesen, im Restaurant essen gehen, in hellen Läden einkaufen oder auf beleuchteten Plätzen Sport treiben. Wie unser Leben ohne künstliche Beleuchtung oder nur mit spärlichem Kerzen- oder Laternenschein aussehen würde, ist kaum vorstellbar. Genau so war es aber während Jahrtausenden. Wer nachts draussen unterwegs war, orientierte sich an den Sternen und am Mond. Drinnen war nur so viel Licht verfügbar, wie man es sich leisten konnte. Während Ludwig XIV. in Versailles bereits im Jahr 1688 insgesamt 24 000 Wachskerzen verbrannte, stand in vielen ärmeren Haushalten noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bloss eine einzige Petroleumlampe zur Verfügung. Im Buch «Als das Licht kam» von Viktoria Arnold schildert ein Mädchen sein Leben, bevor 1923 die Elektrifizierung ins Dorf kam: «Wenn Mutter in der Küche hantierte, nahm sie die Lampe natürlich mit, und wir Kinder (…) waren indessen in unserer einzigen Stube im Finsteren, was uns aber gar nichts ausmachte, da wir ja nichts anderes kannten.»

Natürlich lässt sich die Entwicklung hin zu einer 24-Stunden-Gesellschaft, in der wir alles zu jeder Zeit haben können oder wollen, durchaus kritisch hinterfragen. Doch sie brachte ökonomischen Fortschritt und verringerte die Armut, wie Peter Boyce vom Lighting Research Center in New York in einem 2019 Fachartikel betont. «Die Nutzung von Licht in der Nacht ist mit sehr grund­legenden menschlichen Motivationen verbunden», schreibt Boyce. Das künstliche Licht nahm als Treiber der Industrialisierung eine entscheidende Rolle ein. Denn Menschen konnten – und mussten – jetzt unabhängig vom Tageslicht arbeiten. Und in ihrer Freizeit machten sie mit zunehmendem Wohlstand die Nacht zum Tag.
 

Lichtverschwendung schadet dem Klima

Ein verantwortungsvoller Umgang mit künstlichem Licht bringt nicht nur Tieren, Pflanzen und Menschen aufgrund der reduzierten Lichtemissionen direkte Vorteile. Er hilft auch, Energie zu sparen. Dadurch werden die Kosten und die CO2-Belastung gesenkt.

Der Anteil der Beleuchtung am gesamten Stromverbrauch der Schweiz betrug im Jahr 2017 12 Prozent. Die Beleuchtungsbranche hat sich in einer Vereinbarung das ehrgeizige Ziel gesetzt, den aktuellen Wert von rund 7 Terawattstunden bis 2025 durch neue Technologien, intelligente Lichtplanung und moderne Steuerungen zu halbieren. Die Auswirkungen: Grob gerechnet würden die 3,5 Terawattstunden Differenz bei Stromproduktion im Inland mindestens 140 000 Tonnen CO2 einsparen – je nach Region. Eine Halbierung des Konsums hat eine Halbierung der Kosten zur Folge.

Mit der Initiative «energylight» setzt die Branche die Vereinbarung zusammen mit dem Bundesamt für Energie in die Praxis um. Damit will sie gemäss eigenen Angaben dazu beitragen, dass die Energiestrategie 2050 des Bundes realisiert werden kann. Diese will unter anderem den Pro-Kopf-Stromverbrauch in der Schweiz bis 2035 um 43 Prozent reduzieren. Allerdings stieg der gesamte Stromverbrauch in der Schweiz im Jahr 2021 um 4,3 Prozent. Ein erhebliches Einsparpotenzial besteht jedenfalls im öffentlichen Raum: LED-Leuchten in Kombination mit intelligenten Steuerungssystemen können den Verbrauch massiv senken.

Privathaushalte sind für etwas mehr als ein Drittel des gesamten Stromverbrauchs verantwortlich, davon entfallen rund zehn Prozent auf die Beleuchtung. Wer privat Lichtenergie sparen will, sollte darauf achten, nur wenn nötig, nicht länger als nötig und nur so hell wie nötig zu beleuchten. Das bedeutet: unnötige Lichtquellen ausschalten und auf energieeffizientere Technologien umstellen. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass dafür neue (Aussen-)Bereiche wie Gärten oder Hausfassaden vermehrt beleuchtet werden.

Zu viel Licht

Die Lichtnutzung in der Nacht nimmt bis heute weiter zu, und es gibt wenige, die freiwillig darauf verzichten wollen. Neben den Vorteilen, dass Arbeit und Freizeitaktivitäten auch in der Nacht möglich sind, sorgt Licht für mehr Sicherheit bei komplexen Verhältnissen im Strassenverkehr. Auch bei der Prävention von Kriminalität kann Licht unter bestimmten Umständen einen positiven Einfluss haben. Und gemäss Untersuchungen wird durch Beleuchtungen von dunklen Wegen oder Quartieren das Gefühl von Sicherheit gestärkt.

So hat künstliches Licht viele Vorteile. Zu viel davon ist jedoch schädlich. Denn die Immissionen können die Artenvielfalt genauso wie das menschliche Wohlbefinden beeinträchtigen. Konkret tragen sie beispielsweise zu einem Rückgang von Insekten bei, die von künstlichem Licht gestört, angezogen oder gar versengt werden, zur Gefährdung von Lebensräumen etwa von Fledermäusen, Fröschen oder Amphibien und zum Orientierungsverlust von Zug­vögeln oder Fischen. Kunstlicht kann auch das Gedeihen von Pflanzen beeinträchtigen: Beispielsweise verlieren Bäume, die von Strassenleuchten direkt angeschienen werden, im Herbst später ihr Laub, was zu Frostschäden führen kann. Schliesslich ist auch der Mensch betroffen: Zu viel oder zu grelles künstliches Licht kann zu Schlafstörungen führen.

Um die schädlichen Auswirkungen von Lichtimmissionen zu reduzieren, helfe es jedoch nicht, die Nutzung von Licht in der Nacht zu verteufeln, schreibt Beleuchtungsforscher Boyce. Zu sehr hätten wir uns an die Allzeit-Verfügbarkeit von künstlichem Licht und dessen Vorteile gewöhnt. Vielmehr müsse Kunstlicht intelligent und zu geringstmöglichen ökologischen Kosten bereitgestellt werden. Tatsächlich lässt sich dank neuer Technologien wie Sensoren die steigende Nutzung von künstlichem Licht abfedern. Auch der Einsatz von energieeffizienteren Leuchtmitteln hilft – allerdings nur dann, wenn sie nicht wegen ihres geringen Energieverbrauchs umso häufiger eingesetzt werden. Wichtig ist in jedem Fall eine stärkere Sensibilisierung dafür, dass zu viel Licht schädlich ist für das Ökosystem und für uns selbst. 

Schutz vor Lichtimmissionen: Rechtliche Instrumente 

Bereits 1979 machte der Bundesrat in seiner Erklärung zum Entwurf des Umweltschutzgesetzes (USG) darauf aufmerksam, dass Menschen, Tiere und Pflanzen vor den schädlichen und lästigen Einwirkungen von künstlichem Licht zu schützen sind. Heute ist im USG festgelegt: Diese Einwirkungen sind im Sinne der Vorsorge frühzeitig so weit wie möglich zu begrenzen (Art. 1 Abs. 2 USG). Auch weitere Gesetze wie das Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) ordnen Massnahmen zum Erhalt von Lebensräumen und Arten an, die auch den Schutz vor Störungen durch Licht umfassen. Im Gegensatz zu Lärm oder Luftverschmutzung wurde der Schutz vor Lichtimmissionen jedoch nie mit einer Verordnung oder mit Grenzwerten konkretisiert.

Damit Mensch und Natur dennoch geschützt sind, stützen sich Behörden oder Gerichte bei Bewilligungen oder Beschwerdefällen direkt auf das USG, das NHG oder andere Erlasse. Um den zuständigen Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden dabei zu helfen, hat das BAFU die «Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen» publiziert.

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Letzte Änderung 28.09.2022

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