Schlafrhythmus: «Selbst dem Menschen wird die Nacht zu hell»

Künstliches Licht kann nicht nur der Natur, sondern auch dem Menschen schaden. Betroffen ist unter anderem der Schlaf-Wach-Rhythmus. Durch einen bewussten Umgang mit Beleuchtung im Aussen und Innenraum lassen sich negative Auswirkungen mildern.

Text: Maja Schaffner

«Meistens bekommen wir tagsüber zu wenig Licht und dafür am Abend zu viel», sagt Christian Cajochen vom Zentrum für Chronobiologie in Basel. Mit seinem Team untersucht er, wie künstliches Licht den Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen beeinträchtigt.
© Severin Bigler/Lunax

Eine betroffene Person berichtet, dass ihr die Aussenbeleuchtung des Nachbarn immer heller in Garten, Küche und Esszimmer leuchtet. Eine andere leidet darunter, dass das erneuerte Eingangslicht der Nachbarn wie ein Scheinwerfer sowohl ihren Aussensitzplatz wie auch die Innenräume bestrahlt. Eine Dritte klagt, dass die neuen Aussenleuchten einer Firma blendendes Licht in ihr Schlafzimmer werfen. Das sind drei Fälle aus E-Mails, Briefen oder Telefonaten, die das BAFU regelmässig erreichen. «Wir bekommen etwa eine Bürgeranfrage pro Woche zum Thema Licht», berichtet David Kretzer, Mitarbeiter der Sektion Nichtionisierende Strahlung (NIS) beim BAFU. Die Betroffenen fühlen sich durch nächtliches künstliches Licht gestört und belästigt. Sie erzählen von uneinsichtigen Nachbarn und fragen, ob sie das störende Licht einfach hinnehmen müssen. Sie bitten um Hilfe und erkundigen sich, was sie tun und wohin sie sich wenden können, um Lösungen zu finden.

Wie Studien zeigen, nimmt ein beträchtlicher Teil der Schweizer Bevölkerung nächtliches Licht als Umweltbelastung wahr. «Als störend werden in der Nacht vor allem Lichtquellen im Aussenraum empfunden, die blenden oder den Wohnraum unangenehm aufhellen», fasst Alexander Reichenbach, Leiter der Sektion NIS, zusammen.

Beanstandet werden unter anderem Leuchtreklamen, Strassenleuchten, Beleuchtungen von Gebäuden oder auch von Sportanlagen, wie abends beleuchtete Sportstadien, Fussball- und Tennisplätze oder Freibäder. Im Gegensatz zu Blendungen am Tag, bei denen spiegelnde Oberflächen die Sehfähigkeit stark einschränken können, führen nächtliche Blendungen kaum je zu klar messbaren Beeinträchtigungen. Dennoch können helle Lichtquellen in dunkler Umgebung Menschen stark stören und deren Wohlbefinden beeinträchtigen.

Für konkrete Problemfälle sind kantonale Fachstellen und die Gemeinden zuständig. Dass das Thema zunehmend ernst genommen wird, zeigen vielerorts existierende Lichtkonzepte (Plans lumière, siehe S. 43) oder lichtspezifische Vorgaben in Bau-, Nutzungs- oder Zonenordnungen beziehungsweise -plänen. Bei grossen Bauvorhaben wie Sportplätzen müssen Bauherrschaften heute Beleuchtungskonzepte vorlegen.

Licht, wo es nicht hingehört

Unangenehm sind dem Menschen – in der Reihenfolge zunehmender Störung – nächtliches gelbes, weisses, grünes, rotes und blaues statisches Licht sowie blinkendes Licht, wie die Vollzugshilfe «Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen» des BAFU festhält. Störend wirkt insbesondere auch, wenn Beleuchtung im Aussenraum die Innenräume erhellt – im schlimmsten Fall so stark, dass diese nur noch eingeschränkt nutzbar sind. So kann die Aufhellung von Wohnräumen insbeson­dere den Schlaf von Betroffenen beeinträchtigen.

Doch aufgepasst: Künstliches Licht, das durch die Fenster in Gebäude dringt, kann zwar ausserordentlich stören – die Beleuchtung in den Innenräumen selbst beeinflusst den Menschen aber mindestens ebenso stark. Vor allem dann, wenn Licht, beziehungsweise Beleuchtung, nicht mit dem natürlichen Verlauf des Tageslichts übereinstimmt. «Meistens bekommen wir tagsüber zu wenig Licht und dafür am Abend und in der Nacht zu viel», sagt Christian Cajochen, Leiter des Zentrums für Chronobiologie an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Basel. Das kann den Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinanderbringen.

Wie künstliches Licht die innere Uhr beeinflusst

Wie alle Lebewesen haben Menschen einen genetisch festgelegten, ungefähr 24 Stunden dauernden Tagesrhythmus. Dieser circadiane Rhythmus muss ständig durch Licht geeicht werden. Dazu melden spezielle Lichtrezeptoren im Auge die Lichtverhältnisse an die zuständige Hirnregion, den sogenannten suprachiasmatischen Nucleus. Zu wenig Tageslicht und zu viel Licht am Abend und in der Nacht können diesen Rhythmus durcheinanderbringen. Insbesondere künstliches Licht mit hohem Blaulichtanteil kann die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin unterdrücken und damit verhindern, dass wir müde werden. Gerät der Schlaf-Wach-Rhythmus so aus dem Takt, können unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit leiden. Intensiv erforscht wird der Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen. Bekannt ist, dass ein oft und stark verschobener Rhythmus zu chronischen Schlafstörungen führen und das Risiko für Krebserkrankungen erhöhen kann. Gut untersucht ist dies vor allem in Zusammenhang mit Schichtarbeit.

Verschobener Schlaf-Wach-Rhythmus

Zwar ist dieser sogenannte circa­diane Rhythmus des Menschen genetisch ungefähr auf einen 24-Stunden-Zyklus programmiert. Geeicht wird er aber – neben den Zeitpunkten der Nahrungsaufnahme und sozialen Interaktionen – vor allem durch Licht. Dafür ist Tageslicht, das sich im Tagesverlauf verändert und am Abend erlischt, ideal geeignet. Um nachts gut zu schlafen, empfiehlt Cajochen tagsüber möglichst viel Tageslicht. In der Nacht hingegen hilft Dunkelheit. «Künstliches Licht am Abend und in der Nacht kann den ganzen Schlaf-Wach-Rhythmus verschieben», erklärt Cajochen. Ob und wie stark das geschieht, hängt davon ab, zu welcher Uhrzeit und wie lange wir dem Licht ausgesetzt sind, wie hell es ist und welche Farbe es hat. Empfindlichen Menschen kann es je nach abendlicher Lichteinwirkung schwerfallen, einzuschlafen und am nächsten Morgen zur gewünschten Zeit wieder wach zu werden.

Das wachsende Wissen über den Schlaf-Wach-Rhythmus und seine Einflussfaktoren beginnt bereits in die Planung von Beleuchtung in Innenräumen einzufliessen. Cajochen berichtet von einem Altersheim, in dem die Begegnungszonen mit einer dynamischen Beleuchtung versehen wurden, die sich über den Tag wie natürliches Tageslicht verändert. Ausserdem wurden in der Demenzabteilung die Fenster stark vergrössert, um möglichst viel Tageslicht einzulassen. «Speziell im Alter ist es wichtig, den circadianen Rhythmus zu eichen», betont der Chronobiologe. Seine Forschungsgruppe untersucht unter anderem auch das optimale Licht bei Schichtarbeit. «Ideal wäre eine Beleuchtung, die zwar wach genug zum Arbeiten macht, jedoch den circadianen Rhythmus möglichst wenig beeinflusst», erklärt er. Etwa in Spitälern, wo heute zum Beispiel auf Intensivstationen meist Tag und Nacht helles Licht brennt, liesse sich laut Cajochen die Beleuchtung möglicherweise optimieren.

Die richtige Beleuchtung zur richtigen Zeit

Auch in den eigenen vier Wänden macht es Sinn, für das richtige Licht zu sorgen: Gegen zu viel Licht von aussen können verdunkelnde Jalousien helfen. Allerdings sperren diese auch das Licht am Morgen aus. Bei der nächtlichen Beleuchtung lohnt es sich, auf Helligkeit und Lichtfarbe zu achten. In der Regel macht helles, kaltes, blaues Licht deutlich wacher als gedämpftes, warmes, gelbliches bis rötliches. Besonders LED-Lampen mit kaltweissem Licht wirken durch den grossen Blauanteil stark auf die innere Uhr ein.

Deshalb sollten abends genutzte Räume und vor allem Schlafzimmer möglichst mit warmweissem Licht und nur so hell wie nötig erleuchtet werden, empfiehlt Cajochen. «Empfindliche Personen sollten zudem direkt vor dem Schlafen­gehen keine LED-Bildschirme wie Fernsehgeräte, Computer oder Smartphones mehr benutzen oder zumindest deren Helligkeit reduzieren.» Blaulichtfilter, die sich in Smartphone, Tablet oder Computer aktivieren lassen und den Blauanteil des Bildschirmlichts reduzieren, findet er sinnvoll. Er weist aber auch darauf hin, dass noch untersucht wird, wie sich die dadurch weiter geöffneten Pupillen auswirken. Wie viel abendliches oder nächtliches Licht nötig ist, um die innere Uhr aus dem Takt zu bringen – daran wird noch geforscht. Christian Cajochen sagt: «Dafür braucht es weniger als zunächst angenommen.» 

Fazit

Viele Menschen fühlen sich von nächtlichen Lichtemissionen gestört – manchmal so stark, dass sie nicht mehr schlafen können oder krank werden. Etwa Strassen­leuchten, Leuchtreklamen und Beleuchtungen von Gebäuden oder Sportanlagen können Innenräume
so stark erhellen, dass diese nur noch eingeschränkt benutzbar sind.

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Letzte Änderung 28.09.2022

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