Basisdemokratisches Essen: Die Ernährung der Zukunft formt sich in Städten

In der ganzen Schweiz bilden sich Netzwerke, die wie ihre Vorbilder in englischsprachigen Ländern für eine lokale, nachhaltige und faire Ernährung eintreten. Sie spielen auf der politischen Bühne eine immer wichtigere Rolle.

Text: Patrcia Michaud

Drei Gänge, zwei Köche und eine Köchin von grossem Renommee, ein gemeinsames Ziel: mehrere Hundert Kilogramm Lebensmittel retten, die in der Gastronomie normalerweise verschmäht werden. Es war ein besonderes Bankett, das im September auf dem Bürkliplatz am Zürichsee angerichtet wurde. Die Küchenbrigade wurde speziell für das «Foodsave-Bankett Zürich» zusammengestellt und bereitete mehrere hundert Menüs aus Gemüse und Früchten zu, die den üblichen Verkaufskriterien nicht oder nicht mehr genügten. Die Veranstaltung ist eines der Projekte, die vom Ernährungsforum Zürich mitgetragen werden. Die Vision des Forums: die Bevölkerung der grössten Schweizer Stadt zu informierten Konsumentinnen und Konsumenten bilden und ihnen Zugang zu lokalen und nachhaltigen Nahrungsmitteln bieten, die fair sind – und zwar für alle Beteiligten der Lebensmittelkette.

Das 2018 gegründete Ernährungsforum Zürich ist ein rasch wachsendes Netzwerk mit über 200 Mitgliedern vor allem aus der Landwirtschaft und der Gastronomie. Der gemeinnützige Verein orientiert sich an den Food Policy Councils (FPC), sogenannten Ernährungsräten, die in den letzten 20 Jahren in den englischsprachigen Ländern immer zahlreicher geworden sind. Allein in den USA gibt es über 300 solcher Plattformen, die meist auf kommunaler Ebene angesiedelt sind. Sie wollen die Lebensmittelkette umweltfreundlicher, gerechter und widerstandsfähiger gestalten, indem sie lokale Akteurinnen und Akteure vernetzen, die regionale Produktion aufwerten und die Bevölkerung informieren. Sie versuchen auch, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger für Ernährungsfragen zu sensibilisieren.

Vom Samenkorn auf den Teller

Die Ernährungsräte haben mittlerweile weltweit Nachahmer gefunden. In der Schweiz gibt es sie bereits seit rund zehn Jahren. «Ein wichtiger Impuls dafür war die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die der Bundesrat 2015 verabschiedete und in der die Städte eine besonders wichtige Rolle spielen», sagt Daniel Lang­meier, Politikberater bei der Stiftung Biovision. Zur gleichen Zeit wurden mehrere grosse Skandale in der Lebensmittelbranche bekannt, was lokale Interessengruppen dazu veranlasste, gemeinsam zu handeln. Daraus sind städtische Netzwerke für eine nachhaltige und für alle zugängliche Ernährung entstanden, darunter der Ernährungsrat Luzern, das Ernährungsforum Bern und Urban Agriculture Basel.

In Genf ging im Jahr 2018 aus mehreren Treffen zwischen kleinbäuerlichen Betrieben das Mouvement pour une agriculture paysanne et citoyenne (MAPC) hervor. Getreu dem Motto «Vom Samenkorn auf den Teller» bringt diese Bewegung die Bevölkerung mit allen Beteiligten der lokalen Lebensmittelketten zusammen, um die gemeinsamen Werte zu vertreten: eine hochwertige, ökologische und faire Ernährung für alle. MAPC organisiert unter anderem Ausstellungen, Vorträge und Workshops für Gross und Klein, um auf seine Anliegen aufmerksam zu machen.

Die Botschaft nach oben vermitteln

Solche Netzwerke, die sich an der Struktur der Ernährungsräte orientieren, haben vor allem eines gemeinsam: Sie bemühen sich um eine enge Beziehung zu den Behörden und zur Politik. Im Lokalen anzusetzen ist deshalb von Vorteil, «da man auf kommunaler Ebene zwangsläufig auf die eine oder andere Weise mit den Behörden in Kontakt kommt», sagt Daniel Langmeier. Die Netzwerke können aber weit über den regionalen Bereich hinaus wirken. «Wenn es ihnen gelingt, ihre Botschaft über lokale Politikerinnen und Politiker auf die Kantons- und dann auf die Bundesebene zu bringen, können sie eine wesentliche Rolle spielen bei der Umgestaltung der Schweizer Ernährungspolitik», präzisiert er. «Und genau darin liegt vielleicht ihre grösste Herausforderung.» 

Fazit

Ernährungsräte wollen die Lebensmittelkette umweltfreundlicher und gerechter gestalten, indem sie lokale Akteurinnen und Akteure vernetzen, die regionale Produktion aufwerten und die Bevölkerung informieren. Auch in der Schweiz gibt es seit rund zehn Jahren Vereinigungen, die sich an die ursprünglich angelsächsischen Ernährungsräte anlehnen, etwa in Luzern, Bern, Basel oder Zürich. So hat etwa das Ernährungsforum Zürich jüngst im «Foodsave-Bankett» Hunderte Kilogramm Lebensmittel gerettet.

Weniger Lebensmittelverschwendung 

Richtig konkret werden Klima- und Umweltmassnahmen auf der Ebene der Kantone und vor allem der Gemeinden. Beispiel Zürich: Die Stadt hat in einer Volksabstimmung beschlossen, ihre CO2-Emissionen so weit zu reduzieren, dass Zürich bis 2040 das Netto-Null-Ziel erreicht. Das betrifft auch die Ernährung. Denn jährlich werden in Zürich pro Kopf zwei Tonnen CO2 durch die Ernährung ausgestossen. 

«Ein wichtiger Hebel, um die Emissionen zu reduzieren, ist die Vermeidung von Food Waste», sagt Rainer Zah, Leiter des Geschäftsbereichs Umwelt der Stadt Zürich. Dazu brauche es ein ganzes Arsenal von Massnahmen. So servieren die städtischen Betriebe – darunter etwa die rund 50 Pflegeheime – einen Nachschlag, anstatt von Beginn weg grosse Portionen aufzutischen. Zudem setzt die Stadt sich für klimafreundliches Kochen mit weniger Fleisch ein und hat dazu eine Datenbank mit Rezepten eingerichtet. «Idealerweise werden Menus mit weniger Fleisch zu einem Food Trend», sagt Zah. Gefördert wird auch das Food Sharing: Nicht benötigte Lebensmittel können Quartierbewohnerinnen und -bewohner in die öffentlichen Kühlschränke des Vereins Madame Frigo bringen – und selbst mitnehmen, was sie brauchen.

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Letzte Änderung 21.12.2022

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