Was bringt Carsharing? Leere Autos, volle Strassen - die Lösung liegt im Teilen

Unsere Verkehrswelt ist im Grunde genommen eine immense Verschwendung: Millionen von Autos stehen tagein und tagaus ungenutzt auf dem Parkplatz, und wenn sie mal fahren, bleiben die meisten Sitzplätze leer. Durch das Teilen und schlaue Verknüpfen verschiedener Verkehrsmittel lassen sich Kapazitäten viel besser ausschöpfen – und die Umweltbelastungen reduzieren.

Text: Nicolas Gattlen

Schlau und ökologisch unterwegs: Per Handy-App lassen sich Sharing-Angebote wie Autos oder Velos mit ÖV-Reisen verknüpfen.
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Eigentlich verfügt unser Land schon lange über erprobte Lösungen für eine nachhaltige Mobilität: Das kommerzielle Carsharing etwa hat seine Wurzeln in der Schweiz. Im Jahr 1987 schlossen sich in Stans (NW) acht Personen zur ATG AutoTeilet Genossenschaft zusammen. Sie brauchten alle gelegentlich ein Auto, wollten sich aber keine Privatwagen kaufen. Nicht allein das Budget sprach dagegen – es war die Zeit der Diskussionen über den sauren Regen und das Waldsterben, die Zeit, als Umweltthemen zunehmend in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden. Die Gruppe entschied sich für den Kauf eines gemeinsamen Wagens:eines knallroten Opel Kadett. Nur wenige Wochen später wurde in Zürich-Seebach unabhängig von der ATG die Genossenschaft Sharecom gegründet.1997 fusionierte sie mit der ATG zur Mobility Carsharing Genossenschaft.«Unser Antrieb war es, das Verkehrsvolumen auf den Strassen zu senken und gleichzeitig eine bewusst gestaltete Mobilität zu ermöglichen», erinnert sich Conrad Wagner, Mitbegründer der ATG und Experte für neue Mobilitätskonzepte.

Die Strategie von Mobility war von Beginn an darauf ausgelegt,ein flächendeckendes Angebot für die Schweiz zu schaffen. Und das gelang erstaunlich rasch. Innerhalb weniger Jahre war Mobility in allen grösseren Städten präsent. Heute stehen den rund 250 000 Mitgliedern über 3000 Fahrzeuge an 1500 Standorten zur Verfügung, und es gibt keine Gemeinde mit 5000 und mehr Einwohnern, die nicht bedient wird. Obschon das Autosharen in der Schweiz noch nicht Mainstream ist, kann Mobility beachtliche Erfolge ausweisen: Nirgends auf der Welt hat sich eine stationsbasierte Carsharing-Organisation so flächendeckend etabliert wie in der Schweiz.

Die Mobilität wird variabler

Ein Erfolgsfaktor ist zweifellos die enge Verzahnung mit dem öffentlichen Verkehr. Früh schon ging Mobility Kooperationen mit dem Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) und der SBB ein, entwickelte mit den Partnern attraktive Angebote für Nutzungskombinationen und bekam Parkplätze an besten Lagen. Denn Mobility und seine Partner waren überzeugt, dass die Mobilität der Zukunft multimodal ist; dass der uralte Antagonismus ÖV versus Individualverkehr einer smarten Kombination der verschiedenen Angebote weichen wird. Dazu zählen auch Veloverleihe wie Rent a Bike. Vor 35 Jahren gegründet,ist Rent a Bike heute dank Kooperationen mit der SBB und verschiedenen Privatbahnen an allen grösseren Schweizer Bahnhöfen und in allen Tourismusregionen präsent. Das Besondere an diesem Dienst: Die E-Bikes und Velos können an anderen Bahnhöfen als dem Mietbahnhof zurückgegeben werden.Zudem sind heute an vielen Bahnhöfen, Bus- und Tramhaltestellen Stationen für Selbstverleihvelos – etwa von PubliBike, Pick-E-Bike oder Nextbike – sowie Leih-Scooter zu finden. Die ersten Experimente mit solchen Verleihen, etwa «100 rote Coiffeur-Velos» in Basel (1988) waren noch gescheitert, weil viele Velos beschädigt oder gestohlen wurden. Dank neuer Technologien konnte sich das Sharen von Velos, E-Bikes und E-Scootern dann aber rasant in den Städten etablieren.

Ungenutztes Potenzial bei E-Trottinetts

Die Hoffnung, dass diese Selbstverleihdienste dazu beitragen, das Auto aus der Stadt zu verdrängen, hat sich indessen bisher nicht erfüllt. Eine aktuelle Studie der ETH Zürich zeigt, dass Fahrten mit E-Trottinetts und E-Velos vor allem Wege zu Fuss sowie Fahrten mit Tram und Bus ersetzen, aber kaum Autofahrten. Zudem fällt die Ökobilanz der E-Scooter ziemlich schlecht aus, weil viele Modelle nach nur zwei Betriebsjahren ersetzt werden müssen: Viele Mietende tragen zu wenig Sorge zu den Scootern. Entscheidend für die Lebensdauer ist aber auch eine gute Qualität, Reparaturfähigkeit und ein austauschbarer Akku. Die ETH-Forschenden verstehen ihre Studie denn auch als «Aufruf an die Betreiber, ihre Systeme zu verbessern». Sie sehen durchaus Potenzial in Sharing-Diensten, etwa, wenn geteilte E-Scooter oder E-Bikes das Einzugsgebiet des ÖV vergrössern. Denkbar wäre etwa, dass sie in den Aussenquartieren die «erste und letzte Meile» zur Bahn oder zum Bus erschliessen. «Ob sich das Potenzial umsetzen lässt, hängt davon ab, wie wir Mikromobilität in Zukunft nutzen», erklärt Daniel Reck, Co-Autor der Studie.

Das stationsbasierte Carsharing hingegen trägt nachweislich zu einer nachhaltigeren Mobilität bei. Denn viele Nutzerinnen und Nutzer verzichten auf den Kauf eines Autos oder schaffen das bestehende Auto ab und verteilen ihre Wege fortan auf verschiedene Verkehrsmittel. So zeigte eine Untersuchung des EU-Forschungsprojekts STARS 2018, dass die Motorisierungsquote von Haushalten nach der Anmeldung bei einem stationsbasierten Carsharing-Dienst wie Mobility von 0,65 Autos pro Haushalt auf 0,22 sank. Eine Befragung des Forschungsinstituts Interface von 2020 kommt zum Schluss, dass sich jeder fünfte Mobility-Privatkunde sowie jeder zweite Mobility-Firmenkunde mindestens ein zusätzliches Auto anschaffen würde, wenn es diesen Dienst nicht gäbe. Rund 35 500 Autos werden also eingespart, das heisst: Ein Mobility-Auto ersetzt elf Privatautos. Zudem legen die Mobility-Mitglieder ein Drittel weniger Kilometer mit dem Auto zurück als der Rest der Bevölkerung, weil sie das ÖV-Angebot stärker nutzen. Pro Jahr werden damit rund 31 000 Tonnen CO2–Emissionen vermieden.

Das Handy ortet den Leihwagen

Weniger gut fällt die Umweltbilanz des Freefloating Carsharings aus.Bei Freefloating-Diensten stehen die Autos irgendwo in der Stadt auf beliebigen Parkplätzen; Nutzerinnen und Nutzer orten und buchen sie über eine Handy-App. In den letzten Jahren sind zahlreiche solcher Angebote entstanden, zuerst in deutschen Städten, etwa car-2-go oder Drive Now, und in den USA. Jüngst fand sich das Angebot auch in Genf und Basel, mit dem inzwischen wieder eingestellten Mobility-Go, ehemals Catch a car. Eine Untersuchung in Deutschland mit Daten aus STARS kommt zum Schluss, dass diese Angebote hauptsächlich als Taxi-Ersatz genutzt werden – ähnlich wie die Fahrdienste von Uber. Ihr Auto und ihre Mobilitätsgewohnheiten geben die meisten Nutzerinnen und Nutzer solcher Angebote nicht auf.

Das aber könnte sich ändern, so glauben die Studienautoren, wenn das Angebot weiterwächst. In Deutschland, wo grosse Autoverleiher (Hertz, Sixt) und Autohersteller (VW, Daimler, Citroen oder Ford) ins Sharingbusiness eingestiegen sind, zeichnet sich ein solcher Trend ab: In den letzten zehn Jahren stiegen dort die Nutzerzahlen und die Freefloating-Flotten exponentiell an. Inzwischen nutzen in deutschen Städten über 2,6 Millionen Private und Firmen Freefloating-Dienste. Populärer wird auch das Peer-to-Peer-Carsharing. Dabei stellen Anbieter Online-Plattformen zur Verfügung, auf denen Private ihr Auto mit anderen Leuten teilen können. In der Schweiz ist seit 2021 der dänische Anbieter GoMore aktiv.

Selbstfahrende Autos und Busse

In Zukunft dürften gar selbstfahrende Autos das Sharing-Angebot erweitern: Robotaxis suchen die Kundschaft selbstständig auf, bringen sie zum gewünschten Ziel und fahren dann zur nächsten Buchung. «On-demand»-Shuttle-Busse nehmen unterwegs Fahrgäste an Bord, deren Fahrtwünsche und -ziele miteinander kompatibel sind. Dabei übernimmt ein Algorithmus die Bündelung der Fahrtwünsche und die Routenplanung des Busses. In verschiedenen europäischen Städten testen Mobilitäts-Start-ups wie CleverShuttle, Mobileye und door2door zurzeit solche Systeme. Simulationen aus den USA zeigen, dass die Anzahl der benötigten Pkw gegenüber heute um bis zu 90 Prozent gesenkt werden könnte, wenn der gesamte Individualverkehr durch selbstfahrende Sammeltaxis bewältigt würde. Studien der ETH für den Grossraum Zürich bestätigen dieses Ergebnis, weisen aber darauf hin, dass es entsprechende Rahmenbedingungen braucht, etwa eine räumliche Beschränkung und einen Mindestpreis.

Chancen eröffnen sich auch für den ÖV: Ein Bericht im Auftrag des Bundesrats führt etwa die Ab­deckung der «ersten und letzten Meile» als Vorteil auf sowie eine effizientere Erschliessung des ländlichen Raums. In den letzten Jahren haben die SBB, die PostAuto AG und verschiedene Städte etwa ein Dutzend Pilotprojekte mit fahrerlosen Shuttle-Bussen durchgeführt. In einem Quartier in Sion etwa setzte PostAuto zwei vollautomatisierte Shuttle-Busse ein, die im «On-demand»-Betrieb auf öffentlichen Strassen verkehrten – zwischen Wohnsiedlung, Schule, Einkaufszentrum, Seminarhotel und Bahnhof.

Bedarfsorientierte Mobilität

«Mobilität für alle …auf Knopfdruck»: In seinem Buch vom März 2022 skizziert Andreas Herrmann, Professor am Institut für Mobilität der Universität St. Gallen, eine Zukunft, in der das Privatauto zum Auslaufmodell wird und dafür der ÖV viel flexibler als heute ausgestaltet ist – ohne fixe Fahrpläne und vordefinierte Liniennetze. Stattdessen wird Mobilität zu einem Service, der sich bei Bedarf auf Knopfdruck buchen lässt. Über eine Mobilitätsplattform werden Bahnen, Busse, Shuttles, Autos, Scooter und Velos zu einer funktionierenden und komfortablen Reisekette verbunden. Laut Andreas Herrmann haben diese neuen Ansätze das grösste Potenzial, die Mobilität nachhaltig zu verbessern. Mit einer verkehrsträgerübergreifenden Vernetzung von Mobilitätsdaten würden die Infrastrukturen und Angebote besser genutzt, der Verkehr würde ressourcen- und energieeffizienter und die Umwelt entlastet. Dafür will der Bundesrat eine Mobilitätsdateninfrastruktur aufbauen.

Tatsächlich ist die heutige Verkehrswelt unglaublich verschwenderisch: 70 Prozent der ÖV-Leistung sind ungenutzt; Privatautos stehen im Schnitt 23 Stunden am Tag auf einem Parkplatz. Und wenn das Auto mal fährt, ist es im Schnitt nur mit 1,6 Personen besetzt. In der Schweiz gibt es 4,7 Millionen Pkws, oder 16 bis 20 Millionen Sitze – für acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Um das seit Jahrzehnten bestehende Mobilitätssystem und die Verhaltensmuster zu ändern, brauche es «Zuckerbrot und Peitsche», erklärt Hermann in einem Interview mit der Coopzeitung: Die Peitsche ist «die Umgestaltung der Verkehrs­situation mit Benachteiligung des Individualverkehrs» wie es etwa in Kopenhagen gemacht wurde: «Die Spuren für E-Scooter und Velos sind dort heute breiter als diejenigen für Autos, und die Leute steigen um.» Der Zucker ist das Smartphone. Gerade bei der jüngeren Generation lasse sich damit ein Gefühl von Macht und Kontrolle erwecken – ein Gefühl, das lange über das Lenkrad eines Pkw erfolgte.

Apps weisen den Weg zur nachhaltigen MobilitätEine zentrale Rolle kommt vernetzenden Apps zu. In den letzten Jahren wurden die Entwicklungen vehement vorangetrieben: Etwa mit Sojo oder ZüriMobil für die Urban­region Zürich lassen sich die verfüg­baren Mobilitätsangebote – ob Tram, Bus, Zug, Taxi, Velo, E-Bike, E-Scooter oder Carsharing – in der aktuellen Umgebung ausfindig machen und zu einer Route bündeln. Das kann die schnellste Route sein, die günstigste oder die nachhaltigste. Pilotprojekte der SBB in den Städten Bern, Basel und Zürich mit einer ähnlich konzipierten App namens youmuv und einem Abo, das Mobilitätsangebote verschiedener Anbieter umfasst, zeigten, dass die App zu einer stärkeren Nutzung des ÖV beitrug. Nun prüfen die SBB, wie sich das Modell auf die ganze Schweiz übertragen lässt. Gar über die Ländergrenzen hinaus zielt das Projekt LinkingAlps: Künftig sollen Fahrgäste auf einem einzigen Dienst Echtzeit-Informationen über Mobilitätsangebote im gesamten Alpenraum erhalten. Ziel ist es, Reisenden den Umstieg vom Privatauto auf Bahnen, Busse und Velos zu erleichtern. 

Fazit

Werden Verkehrsmittel geteilt und schlau miteinander verknüpft, lassen sich deren Kapazitäten besser ausschöpfen und die Umweltbelastungen reduzieren. Heute gibt es für manche urbanen Regionen Handy-Apps, die die verfügbaren Angebote – ob Tram, Bus, Zug, Taxi, Velo, E-Bike oder Carsharing – zu einer Route bündeln.

Operation am Herzen der Elektrofahrzeuge

Elektroautos haben zwei grosse Vorteile: Sie sind energieeffizient und fahren emissionsfrei. Doch: «Wie gross der Umweltvorteil von Elektroautos ist, hängt auch vom Abbau der Rohstoffe, vom eingesetzten Strom und von der Rezyklierbarkeit der Batterien ab», sagt Isabel Junker, Chefin der Sektion Siedlungsabfälle beim BAFU. Es ist daher unerlässlich, sich mit den Herzstücken der Elektrofahrzeuge, der Lithium-Ionen-Batterien, zu befassen. Diese müssen am Ende ihrer Lebensdauer entsorgt oder recycelt werden – in energieintensiven Prozessen, die die Umwelt belasten.

Nun will das Projekt CircuBAT unter der Leitung der Berner Fachhochschule die Nachhaltigkeit der Batterien verbessern. «Wir wollen für Lithium-Ionen-Batterien aus der Elektromobilität ein zirkuläres Geschäftsmodell etablieren», sagt CircuBAT-Projektleiter Andrea Vezzini. «Dafür suchen wir in allen Lebensabschnitten der Batterien nach nachhaltigeren Lösungen, nicht nur im Recycling.»

Unter anderem geht es darum, die Lebensdauer der Batterien zu verlängern. Einerseits werden im Projekt neue Lade- und Entlademethoden gesucht, die die Batterien weniger belasten. Andererseits sollen sie als stationäre Energiespeicher für Wind- oder Solarkraftwerke wiederverwendet werden. Weiter arbeiten Forschende an der automatisierten Demontage von Batterien, damit sich Komponenten wie Steuergeräte oder elektromechanische Trennschalter einfacher rückgewinnen lassen.

An CircuBAT beteiligt ist auch das Unternehmen Kyburz Switzerland, das unter anderem das dreirädrige, gelbe Post-Fahrzeug herstellt. Die Zürcher Firma wendet ein von der Empa mitentwickeltes Recycling-Verfahren für Lithium-Ionen-Batterien an, mit dem sich über 90 Prozent der Ausgangsmaterialien zurückgewinnen und für neue Batterien verwenden lassen. Dazu gehören Aluminium- und Kupferplatten, Lithium-Eisen-Phosphat, Graphit und Teile des Plastik-Gehäuses. Derzeit werden rund 1000 Batterien jährlich recycelt – gemäss Kyburz ein wirtschaftlich rentabler Prozess.

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Letzte Änderung 21.12.2022

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