Instabiler Permafrost führt zu häufigeren Bergstürzen

31.08.2017 - In der Schweiz sind die Folgen der Klimaerwärmung spürbar: Die Gletscher schmelzen, Trocken- und Hitzeperioden werden häufiger, die Stabilität des Permafrosts nimmt ab. In jüngster Zeit ist es in den Alpen zu mehreren Fels- und Bergstürzen gekommen. Am Piz Cengalo im bündnerischen Bergell stürzten mehrere Millionen Kubikmeter Felsen zu Tal. Anschliessend floss ein riesiger Murgang bis ins Dorf Bondo. Am Aletschgletscher ist der Hang der Moosfluh in Bewegung und bröckelt. Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel bekommen zunehmend mehr Bedeutung.

Bondo 2
© BAFU / Hugo Raetzo

Der Bergsturz von Bondo im Bergell (GR) ist einer der grössten der letzten 100 Jahre in der Schweiz. Am 23. August 2017 stürzten vom Piz Cengalo 3 bis 4 Millionen Kubikmeter Gesteinsmaterial zu Tal und türmten sich meterhoch auf. Die Bergsturzmasse vermischte sich sehr rasch mit Wasser, das aus den schmelzenden Gletschern und aus dem Untergrund stammte. Möglicherweise wurden auch Eismassen mobilisiert. Es entstand trotz schönem Wetter ein so genannter Murgang, der schnell durch das Bondascatal bis ins Dorf Bondo floss.

Am 25. August brachte ein weiterer Murgang – nochmals bei trockenem Wetter - viel Gesteinsmaterial ins Tal. Vorab bei starken Niederschlägen ist mit weiteren Murgängen zu rechnen. Am Piz Cengalo (3369 m ü. M.) hatte es schon im Jahr 2011 einen Felssturz gegeben, im Jahr 2012 flossen Murgänge bis zum Dorf Bondo. Seither wird das Gebiet von Fachleuten überwacht. Beim Bergsturz hat auftauender Permafrost (Höhe über 2500 m ü.M.) - und damit auch die Klimaerwärmung - eine Rolle gespielt.


Frühwarnsystem und Alarmierung verhinderten Opfer im Dorf

Aufgrund der früheren Felsstürze hatten die kantonalen und kommunalen Behörden Präventionsmassnahmen getroffen: Unter Mitfinanzierung des Bundes wurde ein Auffangbecken, ein so genannter Geschieberückhalteraum, erstellt, um im Falle eines Murgangs Platz für das Material zu schaffen. Der Campingplatz in diesem Gebiet wurde aufgehoben und die Behörden richteten ein Frühwarnsystem beim Wildbach ein. Diese Massnahmen waren erfolgreich: Am 23. August wurden bei der Alarmierung automatisch Strassen gesperrt (Rote Ampel) und die Räumung des Dorfes veranlasst. Durch den Geschieberückhalteraum konnte der grösste Teil des Dorfes Bondo geschützt werden. So wurden im Dorf selber Opfer vermieden.

Da die Lage noch immer unsicher ist, durften Einwohnerinnen und Einwohner bislang noch nicht in ihre Häuser zurückkehren. Die Gemeindebehörden hatten -Warntafeln an den Wanderwegen aufgestellt und die Besitzer der Maiensässe per Brief über den drohenden Bergsturz informiert. Bedauerlicherweise wurden trotz der Massnahmen acht Wanderer Opfer des Bergsturzes.

Rutschgebiete in der Schweiz

In der Schweiz beläuft sich der flächenmässige Anteil instabiler Gebiete (inklusive aller Rutschgebiete) insgesamt auf 6 bis 8%. Diese Gebiete liegen hauptsächlich im voralpinen und alpinen Raum, finden sich aber auch im Jura und Mittelland. Die Kantone sind zuständig für die Beurteilung des Risikos im Gelände. Felsstürze und Rutschungen können sehr grosse Kräfte freisetzen. Sicherungsmassnahmen wie Schutzbauten sind deshalb technisch schwierig und teuer. Deshalb gilt es den Gefahren möglichst auszuweichen. Nur dort, wo die Gefahr nicht gemieden werden kann, müssen zum Teil auch aufwändige Massnahmen ergriffen und die Situation überwacht werden.

Murgang-Warnanlagen

In der ganzen Schweiz gibt es rund ein Dutzend der Murgang-Warnanlagen, wie sie in Bondo GR im Einsatz ist. Zuständig für die Einrichtung und den Betrieb sind die Kantone. Die erste und bekannteste wurde zu Forschungszwecken im Illgraben im Pfynwald bei Leuk VS eingerichtet. Dort würde im Ernstfall sofort der Campingplatz und ein Teil des Dorfes evakuiert. Weitere Anlagen stehen im Bielzug, Gemeinde St. Niklaus VS, oder im Spreitgraben BE.

Allerdings können solche Anlagen nicht überall aufgestellt werden, da gewisse Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Es braucht etwa eine Engstelle, wo die losgelösten Gesteinsmassen passieren müssen und man die Messgeräte sicher installieren kann. Zudem muss die Warnanlage weit genug vom Siedlungsgebiet aufgestellt sein, damit genügend Zeit für eine Evakuierung bleibt.

Angesichts des Klimawandels bekommen Präventionsmassnahmen zunehmend Bedeutung. Deshalb werden etwa bei der Überwachung von Hängen neue Wege erprobt. So beteiligt sich das BAFU im Rahmen von Pilotprojekten an der Weiterentwicklung von neuen Methoden (z.B. grossflächiger Messmethoden, Radar- oder Laser-Scans). Ziel ist die frühzeitige Erkennung und die Quantifizierung von Bewegungen, damit bei Bedarf gewarnt werden kann. In einem Pilotprojekt im Wallis werden neben terrestrischen Systemen auch Satellitendaten verwendet.

Klimawandel bringt besonders in Permafrostgebieten neue Herausforderungen

Die Klimaerwärmung bringt mehr und heftigere Ereignisse, zum Beispiel häufiger starken Regen oder Gewitter, was wiederum zu häufigeren Hochwasserereignissen führen kann. Naturgefahrenprävention ist ein wichtiger Aspekt der Klimaanpassung, auch weil die Menschen immer mehr Fläche immer dichter besiedeln und mehr und teurere Infrastruktur entsteht. Damit steigen Risiko und Schutzbedarf deutlich. Es ist besser und günstiger, sich bereits heute auf den Klimawandel vorzubereiten, anstatt nachträglich die Schäden zu beheben, die durch ihn verursacht werden.

Das wichtigste Instrument im Kampf gegen die Klimaerwärmung ist aber die massive Senkung des Ausstosses von Treibhausgasen, zu dem sich auch die Schweiz im Klimaübereinkommen von Paris verpflichtet hat. Gemäss der vom Bundesrat verabschiedete Anpassungsstrategie koordiniert der Bund die Anpassungsmassnahmen und stellt die notwendigen Grundlagen und das Wissen bereit.

Die potenzielle Verbreitung des Permafrost kann mit Computer- und Höhenmodellen berechnet werden. Generell befindet sich Permafrost oberhalb von 2500 m ü.M. Permafrost ist gemäss der folgender Hinweiskarte am Piz Cengalo möglich:

Schutz vor Naturgefahren ist eine Verbundaufgabe

Um die Naturgefahrenrisiken zu senken, begleitet und finanziert der Bund - im Verbund mit den Kantonen und Gemeinden - Massnahmen des Integralen Risikomanagements Naturgefahren. Die Zuständigkeit für Massnahmen wie die Erarbeitung der Gefahrenkarten, die Errichtung von Schutzbauten, Warnungen oder Alarmierungen liegt bei den Kantonen, Gemeinden und auch bei Privaten. Der Bund ist verantwortlich für methodische Vorgaben und die Publikation von Vollzugshilfen.

Der Bund erhebt auch Daten für Warnungen und Alarmierungen der kantonalen Einsatzkräfte (Gemeinsame Informationsplattform GIN) und für die Information der Bevölkerung über das Naturgefahrenportal bei überregionalen oder national relevanten Situationen. Der Bund erstellt zudem Ausbildungsgrundlagen für lokale Naturgefahrenberater und -beraterinnen, die die Einsatzkräfte vor Ort unterstützen.

Die Bundesgesetze über den Wasserbau und den Wald verpflichten die Kantone, Gefahrenkarten zu erstellen und diese in der Richt- und Nutzungsplanung sowie bei allen raumwirksamen Tätigkeiten zu berücksichtigen. Es gibt verschiedene Präventionsmassnahmen: Bauliche (Schutzbauten), organisatorische und planerische, zu denen Umsiedlungen gehören.

Bondo
Dank des Geschieberückhalteraums konnte der grösste Teil des Dorfes Bondo geschützt werden.
© BAFU / Hugo Raetzo

Für Massnahmen an Wanderwegen (Warntafeln, Sperrungen usw.) sind Kantone und Gemeinden zuständig. Wanderer und Bergsteigerinnen sollten sich vor einer Tour bei den lokalen Behörden, bei Bergführern oder Hüttenwarten nach der Situation erkundigen. Bei allen Outdooraktivitäten ist von einem höheren Mass an Selbstverantwortung auszugehen. Den Anweisungen der lokalen Behörden ist unbedingt Folge zu leisten.

Weitere Informationen sind in der Broschüre des Bundesamts für Strassen ASTRA und der Schweizer Wanderwege beschrieben. Neben Behörden und Institutionen spielt auch jede einzelne Person eine wichtige Rolle. Jeder und jede kann durch richtiges Verhalten dazu beitragen, dass es möglichst keine Opfer und Sachschäden gibt.

Verteilung der Kosten

Der Bund zahlt an Schutzbauten 35 bis 45 Prozent der Kosten. Grundlage sind das Wasserbau- und das Waldgesetz. An Gefahrengrundlagen, wie z.B. Gefahrenkarten, beteiligt sich der Bund mit 50 Prozent. Die Kantone zahlen ebenfalls einen Beitrag an Präventionskosten, der oft ähnlich hoch ist wie der Bundesbeitrag, und auch die Gemeinden beteiligen sich. Schliesslich finanzieren in gewissen Fällen auch Dritte wie Tiefbauämter, Bahnbetreiber (SBB, RhB, etc.) oder andere Firmen mit.

Weiterführende Infos

News

28.08.2017

Schweiz muss sich an den Klimawandel anpassen

In der Schweiz sind die Folgen der Klimaerwärmung bereits spürbar: Die Gletscher schmelzen, Trocken- und Hitzeperioden werden häufiger, die Stabilität des Permafrosts nimmt ab. «Die Schweiz muss nicht nur ihre Treibhausgasemissionen senken, sondern sich auch an den Klimawandel anpassen, um die Risiken zu reduzieren», erklärte Marc Chardonnens, Direktor des Bundesamts für Umwelt BAFU, am 28. August 2017 anlässlich einer Medienkonferenz in Bern.

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Letzte Änderung 31.08.2017

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