Versicherungen: «Notgroschen fürs Restrisiko»

Die Schweiz setzt beim Umgang mit Naturgefahren auch auf die Versicherungen. Sie stehen gerade, wenn es allen Vorsorgemassnahmen zum Trotz zu Schäden kommt. Dabei ist die Solidarität unter allen Versicherten und Landesteilen zentral. Eine Ausnahme bilden Schäden durch Erdbeben. Hier besteht keine Absicherung.

Text: Kaspar Meuli

© Pixabay/annca

Es geht um Geld. Viel Geld. Das Unwetter vom August 2005 zum Beispiel richtete in der Schweiz rekordhohe Schäden von über 3 Milliarden Franken an. Im Durchschnitt verursachen Hochwasser, Murgänge, Rutschungen und Sturzprozesse Schäden von jährlich 305 Millionen Franken. Es geht aber auch um viel Leid. Seit 1945 kamen in der Schweiz über 700 Menschen durch die oben genannten Naturereignisse sowie durch Lawinen ums Leben.

Viel Leid und Schäden konnten in den vergangenen Jahrzehnten dank wirksameren Schutzbauten, einer vorausschauenden Raumplanung, strengeren Bauvorschriften und einer gut organisierten Notfallplanung verhindert werden. «Die Schweiz tut, was planerisch, technisch, organisatorisch und finanziell möglich ist, um die Risiken auf ein vertretbares Mass zu reduzieren», erklärt Roberto Loat, Naturgefahrenspezialist beim BAFU. Die verbleibenden Risiken würden – mit Ausnahme des Erdbebenrisikos – im Fall eines Schadens von den Versicherungen abgedeckt. Alain Marti, Vize­direktor der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen (VKG) präzisiert: «Die Versicherung ist kein Ersatz für andere Massnahmen. Wir sind Teil des integralen Risikomanagements, das die Schweiz seit 30 Jahren betreibt.»

Neue Philosophie

Hinter dem Fachbegriff Risikomanagement versteckt sich ein fundamentaler Wandel, den die Schweiz im Umgang mit Naturkatastrophen durchgemacht hat. Auslöser war das Jahrhunderthochwasser von 1987, das Dämme durchbrach und die ganze Reussebene unter Wasser setzte. «Vor diesem Ereignis war man der Meinung, man könne den Bedrohungen mit möglichst viel Stahl und Beton Herr werden», sagt Roberto Loat, «inzwischen ist klar, dass wir mit Naturgefahren nachhaltiger umgehen müssen.» Gefragt ist ein Umgang mit Risiken, der sich nicht nur auf Schutzbauten beschränkt, sondern auch planerische und organisatorische Massnahmen umfasst.

Verantwortung für den Schutz vor Naturgefahren müssen zahlreiche Akteurinnen und Akteure tragen. Eine wichtige Rolle spielen im Rahmen dieser Philosophie neben den Behörden auch die Hauseigentümer, Architektinnen und Architekten, Bauherrschaften – und die Versicherungen. «Die öffentlich- und privatrechtlichen Versicherungen arbeiten seit Jahren eng mit der öffentlichen Verwaltung zusammen», betont Alain Marti. «Wir stimmen unsere Massnahmen aufeinander ab.»
Ein Resultat des gemeinsamen Vorgehens ist beispielsweise die 2018 fertiggestellte Gefährdungskarte Oberflächenabfluss (siehe Artikel Objektschutz).

Die Schweiz ist stolz auf ihr weltweit einzigartiges System zur finanziellen Absicherung von Naturereignissen. Diese Elementarschaden-Versicherung beruht auf dem Solidaritätsgedanken – nur so können sich Menschen in besonders gefährdeten Gebieten zu tragbaren Konditionen versichern. Das Prinzip: Alle zahlen gleich viel, und weil das Risiko auf sehr viele Versicherte verteilt ist, sind die Prämien tief. Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) begründet diesen Grundsatz in einer Broschüre so: «Die Risiken der Naturgefahren sind in der Schweiz ungleich verteilt – im Mittelland ist eher mit Überschwemmungen, Hagel oder Sturm zu rechnen, in Berggebieten kommt es eher zu Steinschlag, Felssturz, Erdrutsch oder Lawinenniedergängen. Doch weil die Elementarschaden-Versicherung für neun verschiedene Naturgefahren gilt, profitieren von ihr alle versicherten Privatpersonen und Unternehmen gleichermassen.»

Eine Elementarschaden-Versicherung ist übrigens nicht etwa Privatsache, sondern für Haus­eigentümerinnen und -eigentümer Pflicht. In 19 Kantonen ist mit den nicht gewinnorientierten kantonalen Gebäudeversicherungen auch gleich die Versicherungsgesellschaft vorgeschrieben. Anders präsentiert sich die Situation in den Kantonen Genf, Uri, Schwyz, Tessin, Appenzell Innerrhoden, Wallis und Obwalden. Dort werden die Gebäudeschäden von Privatversicherungen abgedeckt, die Höhe der Prämien gibt allerdings der Bund vor. Wichtig zu wissen: Die Elementarschaden-Versicherung kommt nur für Schäden an Gebäuden auf. Wenn Dritte geschädigt werden – etwa durch Ziegel, die von einem Sturm vom Dach gerissen werden und ein Auto beschädigen – haften die Hauseigentümerinnen und -eigentümer. Für diesen Fall existieren spezielle Gebäudehaftpflichtversicherungen.

Versicherungen: mehr Prävention

Die Versicherungen begnügen sich aber nicht mit dem Abwickeln von Schäden. Im Rahmen des integralen Risikomanagements kümmern sie sich immer mehr auch um die Prävention. «Mit Blick auf den Klimawandel wird sich unsere Rolle in diesem Bereich weiter verstärken», erklärt Gunthard Niederbäumer. Die Folgen des sich verändernden Klimas, so der Leiter des Bereichs Schaden- und Rückversicherung beim SVV, würden die Gefahrensituation verändern. «Durch unser Engagement bei der Prävention wollen wir zusammen mit unseren Partnern die Resilienz der Schweiz stärken.»

Die Versicherungswirtschaft ist in unterschiedlichen Bereichen der Prävention tätig. Zu den Massnahmen gehören einerseits die Beratung für Hauseigentümerinnen und -eigentümer – mit Tipps zur Montage von sturmsicheren Storen oder zum Schutz von Kellerfenstern gegen Oberflächenabfluss – und andererseits finanzielle Anreize. Allein die kantonalen Gebäudeversicherungen fördern sogenannte Objektschutzmassnahmen mit rund 80 Millionen Franken im Jahr. Daneben engagieren sich verschiedene Versicherungen in Präventionsprojekten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Zurich etwa bietet ihrer Kundschaft einen Naturgefahren-Radar an, mit dem sich eine «fundierte Standort- und Liegenschaftsanalyse» durchführen lässt. Die Helvetia fördert die Aufforstung von Schutzwald (seit 2011 wurden 170 000 Bäume in 16 Gebieten gepflanzt), und die Mobiliar finanziert ein Forschungszentrum an der Universität Bern –das Mobiliar Lab für Naturrisiken. Es befasst sich unter anderem mit der Verletzlichkeit von Gebäuden und mit Grundlagen für Warnungen. Zudem arbeiten die im Gebäudeschutz beteiligten Partner eng zusammen und betreiben beispielsweise gemeinsam die Plattform «www.schutz-vor-naturgefahren.ch» oder das Hagelregister.  

Ausnahmefall Erdbeben

Dass Erdbeben auch in der Schweiz eine Naturgefahr darstellen, ist der Öffentlichkeit kaum bewusst – und noch weniger bekannt ist, dass Erdbebenschäden nicht über die Gebäudeversicherung gedeckt sind. Eine Ausnahme stellt der Kanton Zürich dar, wo es eine limitierte Erdbebenversicherung gibt. Für den Ernstfall eines grossen Bebens haben sich 18 kantonale Gebäudeversicherungen 1978 zum schweizerischen Pool für Erdbebenversicherung zusammengeschlossen. Er ist mit 2 Milliarden Franken ausgestattet (bei einem versicherten Gebäudewert in der Schweiz von insgesamt 2000 Milliarden Franken) und funktioniert wie ein Hilfswerk für die beteiligten Kantone. Der Versuch, auch für Erdbeben eine schweizweite obligatorische Versicherung einzuführen, ist im Parlament wiederholt gescheitert. So lassen sich denn entsprechende Schäden weiterhin nur privat versichern.

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Letzte Änderung 03.06.2020

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