Biozidprodukte: Das Dilemma mit dem Rattengift

Bei der Zulassung von Biozidprodukten arbeitet die Schweiz eng mit den europäischen Ländern zusammen. Behörden, Produzenten und Anwender stehen gemeinsam in der Pflicht, um die Risiken für Mensch und Umwelt so gering wie möglich zu halten.

Text: Lukas Denzler

Artikel_4_mag-4-18
© Key

Rebekka Baumgartner kommt eben aus Brüssel zurück. An einem Workshop haben Teilnehmende aus ganz Europa die Weiterentwicklung einer Umweltsoftware besprochen, die bei der Zulassung und Risikoabschätzung von Bioziden eingesetzt wird. Die Umweltnaturwissenschaftlerin arbeitet in der Sektion Biozide und Pflanzenschutzmittel des BAFU. Es ist die Aufgabe des Bundesamtes, zusammen mit den europäischen Ländern Biozidprodukte bezüglich ihrer Risiken für Mensch und Umwelt zu beurteilen.

Privatpersonen und professionelle Anwender setzen Biozidprodukte für verschiedenste Zwecke ein. Oft dienen sie der Bekämpfung von Schadorganismen. «Das können Pilze, Algen, Mäuse, Ameisen oder andere Insekten sein», erläutert Rebekka Baumgartner. Die Konsumenten und Konsumentinnen würden Biozide auch rund um Gebäude einsetzen, beispielsweise um Fassaden sauber zu halten, als Bestandteil von Lasuren für Holzteile oder auf Terrassen und Sitzplätzen gegen herumkrabbelnde Schaben oder Ameisen.

Rattengift: schlecht abbaubar

Nicht ganz unproblematisch ist der Einsatz von Bioziden zur Bekämpfung von Mäusen und Ratten. Zugelassen sind sie, weil sich die Nager nicht immer mit Fallen fangen lassen. Bloss: Biozidprodukte enthalten hochgiftige Wirkstoffe, die sich in der Umwelt schlecht abbauen. Fressen Katzen oder Füchse vergiftete Ratten oder Mäuse oder gar die Giftköder, nehmen sie diese Substanzen auf und können daran verenden. Deshalb dürfen in der Schweiz nur ausgebildete Fachleute Rattengift im Freien einsetzen.

Biozidprodukte gegen Spinnen und Ameisen hingegen sind auch Privatpersonen zugänglich – und sie werden in unerwarteten Situationen angewandt. Vor zwei Jahren stellten die Kantone beispielsweise fest, dass einige Produkte grossflächig auf Fassaden aufgetragen wurden, um Spinnen zu bekämpfen. Da die verwendeten Insektizide als umweltgefährlich eingestuft sind, hat das BAFU inzwischen Einschränkungen für deren Anwendung erlassen. So dürfen die Produkte an Hausfassaden nur noch punktuell, etwa in Ritzen, eingesetzt werden. Die behandelten Stellen dürfen zudem nicht der Witterung ausgesetzt sein, damit die Stoffe nicht mit dem Regenwasser in die Gewässer oder die Kanalisation gelangen. Auch bei den Produkten gegen Ameisen gelten Einschränkungen. Oft handelt es sich bei diesen Mitteln nämlich um unspezifische Insektengifte, die unter Umständen auch Bienen oder andere Nützlinge schädigen. Deshalb sind sie direkt im Ameisennest oder bei dessen Eingang anzuwenden. Die behandelten Stellen müssen abgedeckt werden, damit keine Bienen mit den Bioziden in Kontakt kommen können. Dies ist nur eine der zahlreichen Massnahmen einer vom BAFU entwickelten Risikominderungsstrategie. Eine weitere ist, die Produktpackungen zu verkleinern. Damit soll der unsachgemässen Entsorgung von Resten vorgebeugt werden. Letztlich aber sind die Anwenderinnen und Anwender selbst für den korrekten Einsatz von Bioziden verantwortlich.

Europäische Zusammenarbeit

Bei der Zulassung von Biozidprodukten arbeitet die Schweiz eng mit der Europäischen Union zusammen; Grundlage dafür bilden die bilateralen Verträge I mit der EU. Ein Hersteller kann auswählen, in welchem europäischen Land er die Zulassung für ein Produkt beantragen will. Dieses Land ist dann federführend, und alle anderen Staaten werden informiert und können sich zum Antrag äussern. Die Liste der genehmigten Wirkstoffe gilt automatisch für alle Länder, die nationalen Zulassungen der Produkte hingegen müssen zuerst auf andere Länder übertragen werden. Ein Prozess, bei dem die Schweiz den Mitgliedsstaaten der EU gleichgestellt ist. Jährlich werden mehrere Hundert Gesuche für neue Produkte eingereicht. Die damit verbundenen Überprüfungen lassen sich nur durch eine europaweite Zusammenarbeit bewältigen.

Die Beurteilungsstellen in ganz Europa prüfen bei Biozidprodukten zuerst die Wirkstoffe. «Besonders kritisch sind krebserregende Stoffe oder solche, die schlecht abbaubar sind, andere Lebewesen schädigen und sich in der Nahrungskette anreichern», erläutert Rebekka Baumgartner. Produkte mit derartigen Wirkstoffen werden nicht zugelassen. Eine Ausnahme ist das Rattengift, weil es dafür noch keine geeignete Alternativen gibt. In einem zweiten Schritt werden die Produkte selbst beurteilt. Unter anderem werden für jedes Biozidprodukt die Risiken abgeschätzt. Für den Umweltbereich bedeutet dies: Falls die zu erwartenden Konzentrationen von Wirkstoffen in der Umwelt schädliche Auswirkungen auf andere Lebewesen zur Folge haben, wird ein Produkt nicht bewilligt. Zugelassen werden Produkte übrigens nur, wenn sie für den vorgesehenen Zweck auch tatsächlich wirksam sind.

Alternativen prüfen

Ganz ohne Risiko für die Umwelt ist der Einsatz von Biozidprodukten allerdings nie. Es sei deshalb wichtig, betont Christoph Moor, Chef der Sektion Biozide und Pflanzenschutzmittel im BAFU, dass Biozide nur dann eingesetzt würden, wenn es auch wirklich nötig sei. Anwenderinnen und Anwender seien aufgefordert, immer Alternativen zu prüfen – ganz gleich ob privat oder im Beruf. Gebe es keinen Ersatz, müssten Biozidprodukte verantwortungsvoll eingesetzt und die Gebrauchsanweisungen strikt beachtet werden. «Bei starkem und wiederkehrendem Befall durch unerwünschte Organismen», erklärt Christoph Moor, «empfehlen wir zudem, Fachleute mit der Schädlingsbekämpfung zu beauftragen.»  

Weiterführende Informationen

Kontakt
Letzte Änderung 28.11.2018

Zum Seitenanfang

https://www.bafu.admin.ch/content/bafu/de/home/themen/thema-chemikalien/chemikalien--dossiers/magazin2018-4-dossier/das-dilemma-mit-dem-rattengift.html