Dinge neu denken: Wie spekulatives Design nachhaltige Innovation fördert

Das Konzept des «Speculative Design» lädt zu Überlegungen über die Art und Weise ein, wie die Welt ökologisch, politisch oder technologisch gestaltet und weiterentwickelt werden kann. Warum?

Text: Erik Freudenreich

Welche archäologischen Spuren werden wir nach dem digitalen Zeitalter hinterlassen? Dieser Frage widmete sich das waadtländische, auf spekulatives Design spezialisierte Kollektiv Fragmentin. Sein Werk «Global Wiring» entstand 2022 im Wallis in einem Atelieraufenthalt bei der Stiftung Verbier 3D und drückt die Spannung zwischen dem Klimawandel und der zunehmenden Technologisierung aus.
© Fragmentin

Was haben ein für bestäubende Insekten optimierter Garten, Betonplatten, die den Pflanzen Raum zum Wachsen lassen, und ein Kunstwerk, das die archäologischen Überreste einer digitalen Gesellschaft darstellt, miteinander zu tun? Allen diesen Projekten ist gemeinsam, dass sie vom spekulativen Design inspiriert werden. Mit diesem Denkansatz lassen sich die wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen – etwa die Verknappung der natürlichen Ressourcen oder der Klimawandel – mithilfe von Prozessen thematisieren, die aus dem Design stammen. Entwickelt wurde der Ansatz vom britischen Designduo Anthony Dunne und Fiona Raby. In ihrem Buch «Speculative Everything: Design, Fiction and Social Dreaming» (MIT Press, 2013) entwerfen sie mit dem «United Micro Kingdom» ein imaginäres Vereinigtes Königreich der Zukunft, das in vier Grafschaften aufgeteilt ist, in denen jeweils unterschiedliche politische Ansätze und Verkehrssysteme dominieren. Auf diese Weise wägt das Projekt Kompromisse für eine nachhaltige Mobilität gegeneinander ab: etwa zwischen freiem Zugang und Zugangskontrolle oder unendlich verfügbarer Energie und der Beschränkung des Bevölkerungswachstums. Dies schafft die Gelegenheit für eine kritische Diskussion über die Risiken neuer Technologien und über wünschenswerte gesellschaftliche Entwicklungen.

Greifbare Vorstellungen

«Die Objekte des spekulativen Designs wollen in erster Linie eine Veränderung des Denkens bewirken», erklärt Karin Fink, Co-Leiterin des Masterstudiengangs für ökosoziales Design an der Hochschule Luzern und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BAFU. «Diese Objekte sollen zuvor undenkbare Möglichkeiten greifbar machen, um eine öffentliche Debatte darüber anzustossen. Später finden sie vielleicht Ausdruck in konkreten Anwendungen und tragen zu Lösungen bei.» Nachhaltig Innovationen schaffen ist heute wichtiger denn je. Aber wie lässt sich das erreichen? «Spekulatives Design stellt die Zusammenarbeit der verschiedenen Wissensdomänen in den Mittelpunkt», sagt Karin Fink. Unsere Art, die Dinge zu sehen, ist durch unser eigenes Fachwissen geprägt und es fällt uns schwer, Dinge komplett neu zu denken. Daher sei es wichtig, verschiedene Ansätze zu integrieren, zum Beispiel, indem Künstlerinnen und Künstler mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gemeinsam in einem Projekt arbeiten. Inspirierend sei es auch, sich Sammlungen von guten Ideen aus den unterschiedlichsten Wissensbereichen anzulegen und diese im Kontext eigener Aufgaben zu denken.

Brainstorming und herantasten

Experimentieren – ob im Brainstorming oder mithilfe physischer Prototypen – ist ein weiterer wichtiger Teil im spekulativen Gestaltungsprozess. «Hier spielen die FabLabs eine zentrale Rolle», sagt Fink. «Diese Werkstätten ermöglichen freien Zugang zu den neusten Technologien wie 3-D-Druckern, Laserschneidegeräten oder Arduino-Programmierkits. Ausserdem kommen dort zahlreiche Menschen zusammen, die ihre besonderen Fähigkeiten einbringen, um bei der Konkretisierung eines Projekts mitzuhelfen.»

Oft verwischt spekulatives Design die Grenzen zwischen Kunst und Design. «Wir haben zwei Designer an eine Konferenz über Digitalisierung eingeladen, um verschiedene Roboterwerkzeuge vorzustellen, die dazu dienen, mit wilden Tieren zu kommunizieren», erzählt Karin Fink. «Zum Beispiel könnten Wale so vor einem nahenden Walfangschiff gewarnt werden.» Die zwei jungen Designer haben sich als Gründer eines Start-ups vorgestellt, und am Ende der Präsentation fragten sich viele im Publikum, ob es sich um ein ernst zu nehmendes Projekt handle oder nicht vielmehr um eine Performance – eine gewollte Unschärfe. «Dieses Vorgehen hat danach eine sehr anregende Diskussion zu den ethischen Aspekten ermöglicht, die im Umgang mit den neuen Technologien auftauchen.»

Fazit

Mit spekulativem Design lassen sich wichtige gesellschaftliche Herausforderungen mithilfe von experimentellen Prozessen thematisieren. Solche Projekte helfen dabei, Dinge, Prozesse oder Probleme anders zu denken. So kann spekulatives Design zuvor undenkbare Möglichkeiten greifbar machen, öffentliche Debatten anstossen und zur Lösung neuer Probleme beitragen.

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Letzte Änderung 21.12.2022

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