Objektschutz: «Ist Ihr Gebäude gut geschützt?»

Erdbeben, Hochwasser, Felsstürze oder Schlamm- und Schneelawinen können massive Schäden an Gebäuden anrichten und Menschenleben gefährden. Mit vorbeugenden Massnahmen und relativ geringem Aufwand lassen sich Schäden verhindern.

Text: Lucienne Rey

In Genf nutzte man die Aufstockung des Wohnblocks Sécheron aus den 1950er-Jahren, um die Erdbebensicherheit des gesamten Gebäudes zu verbessern.
© Joël Tettamanti

Der Schlamassel ereilte die jungen Eigentümer unversehens: Kaum ins neue Haus bei Rain (LU) eingezogen, mussten sie den Keller wieder räumen – und zerstörtes Inventar entsorgen. Ein Starkregen hatte dazu geführt, dass der zwar nur wenige Zentimeter hohe, aber ein ganzes Feld bedeckende Wasserfilm oberflächig dem Gefälle gefolgt war und sich über Lichtschächte und den Kellerabgang in das Untergeschoss des Neubaus ergossen hatte. Auf rund 130 000 Franken belief sich der Schaden am Gebäude; hinzu kamen noch etwa 80 000 Franken für das verwüstete Mobiliar.

Verheerender Oberflächenabfluss

Was die Hauseigentümer überrascht hatte, kam indes für Antoine Magnollay von der Sektion Hochwasserschutz im BAFU nicht ganz unerwartet. Denn Wasserabfluss an der Oberfläche ist eine weit verbreitete und häufige Erscheinung: «30 bis 50 Prozent der Schäden durch Überschwemmungen sind auf Oberflächenabfluss zurückzuführen.» Dieser mag zwar weniger spektakulär aussehen als ein über die Ufer getretener Fluss, doch in seiner Wirkung ist er für die Betroffenen ebenso verheerend. Die gute Nachricht: Er lässt sich mit relativ wenig Aufwand grösstenteils in die Schranken weisen.

Ein wertvolles Hilfsmittel für den Umgang mit Oberflächenabfluss ist die seit 2018 für die ganze Schweiz verfügbare Gefährdungskarte Oberflächenabfluss. Sie zeigt die Flächen, die bei Starkniederschlägen potenziell von solchen Abflüssen gefährdet sind. Der Kanton Luzern wirkte bei der Entwicklung und den Tests der Karte mit und schaltete sie bereits im Jahr 2016 auf. «Die Karte bildet die natürliche Topografie ab und illustriert, wohin das Wasser hinfliessen wird», erklärt Markus Wigger von der Gebäudeversicherung Luzern.

Gebäudefachleute nutzen die Oberflächenabflusskarte ergänzend zu den Gefahrenkarten (Hochwasser, Rutschungen, Sturzprozesse und Lawinen), um ein allfälliges Überschwemmungsrisiko von Bauprojekten abzuklären und mögliche Schutzmassnahmen vorzuschlagen. Für eine Überbauung kann dies bedeuten, Korridore vorzusehen, die das Wasser kontrolliert um- oder ableiten. «Diese Geländemodellierungen kann man durchaus attraktiv gestalten, sodass sie auch der Biodiversität etwas bringen», erläutert Markus Wigger. Sofern sie rechtzeitig eingeplant werden, fallen die Kosten für solche Massnahmen kaum ins Gewicht und sind allemal viel tiefer als jene für eine Sanierung nach eingetretenem Schaden.

Als im Jahr 2015 das Baugesuch für die Siedlung in Rain eingereicht wurde, stand die Oberflächenabflusskarte noch nicht bereit. Die nach dem Schaden errichteten Schutzmassnahmen beliefen sich auf 12 000 Franken – ein Bruchteil der Kosten, die die Überschwemmung verursacht hatte. Ein sogenannter Stellriemen, permanent an der Grundstücksgrenze zum Feld aufgebaut, hält nun allfälliges Oberflächenwasser auf und leitet es an der Wohnsiedlung vorbei ab. Die kleine ­Betonmauer fällt kaum auf, beeinträchtigt Gebäude und Grundstück weder optisch noch funk­tional und lässt die Hausbewohnerinnen und ­-bewohner bei starken Regenfällen wieder beruhigt schlafen.

Wenn es darum geht, Gebäude vor den zerstörerischen Einwirkungen von Erdbeben zu bewahren, sind bei Neubauten die Schutzmassnahmen in aller Regel unauffällig – und zwar nicht nur im Hinblick auf das Erscheinungsbild einer Immobilie, sondern auch im Budget, sofern die Erdbebensicherheit von Anfang an in enger Zusammenarbeit von Architektur- und Ingenieurbüro geplant wird. «Die Aufwendungen für erdbebensichere Vorkehrungen bei Neubauten belaufen sich auf maximal ein Prozent der gesamten Baukosten», weiss Friederike Braune von der Sektion Störfall- und Erdbebenvorsorge im BAFU, die zahlreiche Merkblätter und Leitlinien zum Thema veröffentlicht hat.

Jährlich bis 30 Beben

Seit 2003 müssen bei Neubauten Erdbebeneinwirkungen berücksichtigt werden. Bestehende Bauten gilt es auf ihre Erdbebensicherheit hin zu überprüfen und, wenn diese nicht genügt, nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu verbessern. Denn die Erde kann in der ganzen Schweiz beben, wenngleich sehr starke Erdstösse wie etwa in Italien seltener auftreten. Bis zu 1500 seismische Erschütterungen werden hierzulande jährlich registriert. Für die Bevölkerung spürbar sind laut dem Schweizerischen Erdbebendienst (SED) die jährlich 20 bis 30 Beben mit einer Stärke ab 2,5 auf der Magnitudenskala.

Die neue Wohnüberbauung auf dem Hanro-Areal in Liestal (BL) zeigt, dass erdbebengerechtes Bauen weder bei der Ästhetik noch bei der Wahl der Materialien Abstriche erfordert. Ein sanft gebogenes Langhaus, in dem 40 Wohnungen Platz finden, wurde gar mit einem für Mehrfamilienhäuser wenig gebräuchlichen Baustoff erstellt: Die Wände bestehen aus Holzrahmen, die beidseitig mit Holzwerkstoffplatten verklammert wurden. Dank dieser sogenannten Beplankung erhält der Bau die erwünschten statischen Eigenschaften. Trennwände, die senkrecht durch alle Stockwerke laufen, sorgen für die Stabilisierung quer zum Objekt. Besonders innovativ ist die Aussenwand in Gestalt einer Lochfassade mit zahlreichen
kleineren Fenstern sowie Balkon- und Wohnungszugängen.

«In der Standardbauweise gewährleisten jeweils die Wandelemente ohne Öffnungen die Aussteifung für Wind- und Erdbebeneinwirkungen», erklärt Martin Geiser, der als Professor für Erdbebeningenieurwesen an der Berner Fachhochschule (BFH) das Erdbebenverhalten von Holzbauten erforscht. «Die Lochfassade ist rund um die Fenster verstärkt, sodass nun die ganze Wand als Versteifung dient und nicht nur die Elemente ohne Öffnungen», so der Spezialist, der die Stabilität der neuen Wand im Labor der BFH in Biel prüfte.

Ästhetischer Schutz

Bei bestehenden Immobilien eröffnen in erster Linie Instandsetzungs- oder Umbauarbeiten die Möglichkeit, Defizite in der Erdbebensicherheit zu beheben. In Genf nutzte man die Aufstockung eines Wohnblocks aus den 1950er-Jahren, um die Erdbebensicherheit des gesamten Gebäudes zu verbessern (siehe Bild). Die Tragstruktur der drei neuen Geschosse aus Stahlverbunddecken mit einer Holzdachkonstruktion sorgt zunächst für ein möglichst geringes Zusatzgewicht der Auf­sto­ckung. Hof- wie auch strassenseitig brachte man Rahmen aus geleimtem Brettschichtholz vor die bestehenden Fassaden an und verankerte sie mit den bestehenden Decken. Das stabilisiert die Struktur des gesamten Gebäudes und schützt es damit vor den Folgen von Erdstössen.

«Durch die Aufstockung des Wohngebäudes konnten wir nicht nur seine Lebensdauer verlängern und die Raumqualität verbessern, sondern auch die Erdbebensicherheit erhöhen», betont der beauftragte Bauingenieur Giovanni Accardo von INGENI SA. Das Gebäude wurde im Rahmen einer Preisverleihung von der Stiftung für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen lobend erwähnt – und es zeigt, dass sich auch bei bestehenden Gebäuden dank enger Zusammenarbeit der Projektverantwortlichen gelungene Architektur mit Erdbebenschutz in Einklang bringen lässt.

Hilfe bei Schutzmassnahmen

Wer ein Gebäude gegen gravitative Naturgefahren wie Überschwemmungen, Lawinen oder Murgänge absichern möchte, kann teilweise auf Unterstützung der öffentlichen Hand zählen. Verschiedene Kantone gewähren Finanzierungshilfen und übernehmen 20 bis 50 Prozent der Kosten für den Schutz bestehender Objekte. Voraussetzung dafür ist, dass die jeweilige Gebäudeversicherung die geplanten Massnahmen geprüft und für gut befunden hat. Eine interaktive Karte auf schutz-vor-naturgefahren.ch/bauherr/unterstuetzung/fachstellen.html zeigt für alle Kantone die Fachstellen auf, die weiterhelfen können. Auch einige Versicherungen bieten Beitragslösungen an. Für Massnahmen zugunsten der Erdbebensicherheit besteht derzeit keine Förderung.

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Letzte Änderung 03.06.2020

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