Der Wald: mehr als nur Bäume

Biodiversität, Bauholz, Biketrails – alle wollen etwas vom Wald. In diesem Spannungsfeld muss das BAFU dafür sorgen, dass sich die vielfältige Nutzung des Waldes und sein Schutz nicht in die Quere kommen, sondern im Gleichgewicht bleiben.

Text: Brigitte Wenger

Naherholung: Quartier Gäbelbach
Naherholung: Quartier Gäbelbach in der Stadt Bern
© Coralie Wenger

«Spannungsfeld – das hört sich nach Konflikten an», sagt Michael Reinhard, Chef der Abteilung Wald beim BAFU. «Ich spreche lieber von einem Gleichgewicht.» Allerdings: Um im Gleichgewicht zu bleiben, muss das Ökosystem Wald viele Einflüsse und Belastungen ausbalancieren. Weil dies für uns als Gesellschaft so wichtig ist, steht der Schutz des Waldes in der Bundesverfassung. Artikel 77, Absatz 1: «Der Bund sorgt dafür, dass der Wald seine Schutz‑, Nutz- und Wohlfahrtsfunktionen erfüllen kann.» Wie vielfältig diese Funktionen sind, lassen die elf Ziele der Waldpolitik erahnen: Das Potenzial an nachhaltig nutzbarem Holz soll ausgeschöpft werden, der Wald soll den Klimawandel verlangsamen und im Klimawandel selbst möglichst wenig Schaden nehmen, er soll uns Menschen schützen, etwa vor Lawinen, und selbst vor Schadorganismen geschützt werden, dazu Geld einbringen, artenreicher werden, zur Erholung dienen und vieles mehr.

Natur und Kultur, Schutz und Nutzen des Waldes: Das sind die Extreme. «Sie sind wie zwei Seiten eines Fünflibers, man kann sie nicht trennen», sagt Michael Reinhard. «Mehr noch: Sie beeinflussen sich gegenseitig.» Die Biodiversität ist die Voraussetzung, Holz aus dem Wald nutzen zu können, gleichzeitig kann die richtige Bewirtschaftung die Biodiversität verbessern – oder eine unsorgfältige Nutzung ihr schaden.

Ein Beispiel: Gut für den Klimaschutz wäre viel und schnell wachsendes Holz. Holz, das viel Kohlenstoff speichert, eine nachwachsende Ressource ist und beim Verbrennen CO2-neutrale Energie liefert. Gut für den Klimaschutz – aber nicht unbedingt für die Biodiversität. Denn für einen vielseitigen und damit resilienten Wald braucht es mehr Alt- und Totholz im Wald – das ist für die Biodiversität wichtiger, als dass die Bäume viel CO2 binden.


Video: Michael Reinhard, Abteilungsleiter Wald (BAFU) über Schutz und Nutzung des Waldes


Holz mehrfach nutzen

Es gilt also, verschiedene Funktionen des Schweizer Waldes zu kombinieren. Dabei setzt der Bund bei der Holzproduktion auf die sogenannte Kaskadennutzung: Zuerst wird aus dem Holz hochwertiges Bauholz für Gebäude oder Möbel. Hat es dieses Leben gelebt, kann es für die Herstellung von Span- und Faserplatten verwendet werden. In einem letzten Schritt wird aus den Platten durch Verbrennung Energie gewonnen. «Mehrere Nutzungsstufen steigern die Wertschöpfung, reduzieren den Ressourcenverbrauch und binden das Klimagas CO2 während längerer Zeit», sagt Reinhard.

Zudem achtet der Bund bei der Waldbewirtschaftung auf die drei Klimaleistungen des Waldes, die «3S»: Erstens wandeln die Bäume durch Photosynthese CO2 in Kohlenstoff um und binden diesen in deren Biomasse, also im Holz und in den Blättern (Sequestrierung). Zweitens bleibt der Kohlenstoff nach der Holzernte in Möbeln und Brettern gespeichert (Speicherung). Und drittens kommt der Substitutionseffekt dazu, wenn Holz anstelle fossiler Brennstoffe (energetische Substitution) oder energieintensiver Materialien wie Zement oder Stahl (materielle Substitution) verwendet wird.

«Unsere aktuelle Waldpolitik und unsere ‹Ressourcenpolitik Holz› sind umfassend und multifunktional», sagt auch Paul Steffen, stellvertretender Direktor beim BAFU. «Wir beziehen möglichst alle Funktionen des Waldes und des Rohstoffs Holz mit ein. Doch die zukünftige ‹Integrale Wald- und Holzstrategie 2050› soll noch stärker auf ein Gleichgewicht hinarbeiten. Mit allen Akteuren der Wertschöpfungskette Wald und Holz und insbesondere mit den Waldbesitzerinnen und -besitzern.» Bisher war die Waldpolitik auf Stufe Bundesrat, die «Ressourcenpolitik Holz» aber auf Stufe der Bundesämter angesiedelt. Mit der neuen Strategie wird das ganze Paket zusammen geschnürt und auf dieselbe Ebene wie die Klima- und die Biodiversitätsstrategie angehoben.

Der Wald ist ein komplexes Ökosystem. Oder wie Michael Reinhard sagt: «Für mich ist der Wald Reichtum – und diesem Reichtum müssen wir Sorge tragen.»


Der Wald aus Sicht der Schweizer Bevölkerung

Cover Die Schweizer Bevölkerung und der Wald

Ergebnisse der dritten Bevölkerungsumfrage Waldmonitoring soziokulturell (WaMos 3). 2022


Fazit

Der Wald muss viele Wünsche erfüllen und viele Ansprüche einlösen – unter anderem als Erholungsort, Holzlieferant und Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Die Aufgabe des BAFU ist es zu schauen, dasssich Schutz und Nutzen des Waldesim Gleichgewicht halten.

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Letzte Änderung 27.03.2024

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