Leitungswasser – eine Selbstverständlichkeit

Selbst wenn es aus der Schweiz kommt, hat gekauftes Mineralwasser einen 1500-mal grösseren CO2-Fussabdruck als Leitungswasser. Wird es importiert, wird der Unterschied noch grösser. Den – bisweilen sehr exotischen – Wasserflaschen, die sich auf den Supermarktregalen aneinanderreihen, sollten wir also aus ökologischer Sicht den Rücken kehren.

Text: Patricia Michaud

Hübsch und bunt sind sie, eine kreativer gestaltet als die andere: die PET- und Glasflaschen in den Getränkeabteilungen der Supermärkte. Die Herkunftsländer auf den Etiketten sind so vielfältig wie exotisch, der Inhalt der Flaschen sieht immer gleich aus: durchsichtig. Würde man Konsumentinnen und Konsumenten darauf hinweisen, dass dieses Mineralwasser die Umwelt 3000-mal mehr verschmutzt als Leitungswasser, würden sie die Flasche, die sie gerade in den Einkaufswagen gelegt haben, wohl schnell wieder ins Regal stellen – und sich stattdessen eine leere Wasserkaraffe kaufen. Diese beunruhigend hohe Zahl geht aus einer Ökobilanz hervor, die die Firma Quantis im Jahr 2021 berechnet hat. Konkret: Pro Liter Mineralwasser, das per LKW über eine Strecke von 1800 km transportiert wird, fallen 302 g ausgestossenes CO2 an. Dagegen sind es beim Leitungswasser nur 0,1 g. Dabei hat Sébastien Humbert von Quantis, der die Berechnungen durchgeführt hat, den ganzen Lebenszyklus der Wasserflaschen berücksichtigt, von der Produktion über den Vertrieb bis zum Recycling.

Die nächstgelegene Quelle

«Wir haben mehrere Szenarien mit unterschiedlichen Distanzen und Transportmitteln untersucht. Leitungswasser wies jedes Mal eine bessere Ökobilanz auf», sagt Humbert. Selbst wenn Mineralwasserflaschen nur 100 km innerhalb der Schweiz reisen, bleibt das Ergebnis ernüchternd:    154 g CO2-Ausstoss pro Liter. Das sind 1540-mal mehr als bei Leitungswasser. Allerdings wurden bei der Studie die Unterschiede, die sich aus dem Material der Flaschen ergeben, Glas oder PET, nicht berücksichtigt. Jedes Szenario beruht auf dem Lebenszyklus einer einzelnen PET-Flasche. «Wenn wir bei unseren Berechnungen auch das Flaschenmaterial miteinbezogen hätten, wären die Ergebnisse sicherlich nuancierter ausgefallen», räumt Humbert ein. Julien Boucher, Gründer der Firma EA - Environmental Action und Spezialist für Ökodesign, erklärt: «Im Vergleich zu Glas belastet die Herstellung von Plastik die Umwelt weniger. Auch dessen Transport ist umweltschonender, weil es leichter ist.» Doch Glas hat auch Vorteile. So lässt es sich beispielsweise einfacher recyceln und wieder in der Lebensmittelproduktion verwenden und wird weniger häufig einfach draussen liegengelassen. «Letztendlich belasten sowohl die Herstellung wie auch der Transport und das Recycling die Umwelt, egal bei welcher Verpackung», sagt Sébastien Humbert. «Aus ökologischer Sicht ist es darum völlig abwegig, Mineralwasser zu importieren und zu exportieren.» 

Dennoch, in manchen Situationen sei Pragmatismus angezeigt. «Wenn Sie vier Stunden mit dem Zug unterwegs sind und nicht genug zu trinken mitgenommen haben oder in einer Hütte im Hochgebirge übernachten, werden Sie zwangsläufig eine Flasche Wasser kaufen.» In solchen Fällen sollte indessen eine möglichst lokale Marke gewählt werden. «Aber Vorsicht, ‹lokal› muss nicht unbedingt heissen aus der Schweiz», betont Humbert. «Genferinnen und Genfer sollten besser Wasser aus dem benachbarten Frankreich als aus dem Bündnerland trinken.» Die Grundregel ist einfach: Man sollte sich für die jeweils geografisch nächste Quelle entscheiden. Dass zum Beispiel auf der Getränkekarte vieler Restaurants nur importiertes Mineral­wasser steht, kann der Ökobilanz-Spezialist nicht nachvollziehen.

Take-away im Visier

Würden wir in der Schweiz unseren Verbrauch von importiertem oder sogar einheimischem Flaschenwasser reduzieren, hätte das einen grossen Effekt. Würde gar nur Leitungswasser konsumiert, bräuchten wir jährlich 790 Millionen PET-Flaschen weniger und würden unseren CO2-Fussabdruck um 330 000 Tonnen CO2-Äquivalente schrumpfen lassen. Dies ergab eine Studie, die vom Schweizerischen Fachverband für Gas, Wärme und Wasser SVGW in Auftrag gegeben wurde. Die Studie zeigte ebenfalls, dass eine Person ein Leben lang täglich zwei Liter Leitungswasser trinken kann, ohne dabei die Umwelt mehr zu belasten als eine einzige Autofahrt von Genf nach Chur.Allerdings ist der Konsum von Mineralwasser in der Schweiz beliebt. Zahlen des Verbands der Schweizer­ischen Mineralquellen und Soft-Drink-Produzenten zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung im Jahr 2020 fast 940 Millionen Liter Mineralwasser getrunken hat, von denen über 450 Millionen importiert waren. Seit 2019 ist die Tendenz steigend. Gleichzeitig haben Schweizerinnen und Schweizer eine hohe Meinung von ihrem Leitungswasser: Laut einer Umfrage des SVGW schätzen neun von zehn der Befragten dessen Qualität als «mindestens gut» ein. Für mehr als die Hälfte der Befragten ist sie sogar «sehr gut».

Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären – in einer Zeit, in der das Umweltbewusstsein in der Gesellschaft zunimmt? «Beim Wasserverbrauch wirkt sich die zunehmende Bedeutung von Take-away-Essen aus, leider entgegen des ökologischen Bewusstseins», stellt Sébastien Humbert fest. Wer sich Take-away holt, bestellt häufig auch ein Flaschengetränk mit. Julien Boucher von Environmental Action ergänzt: «Diese Flaschen landen dann regelmässig im normalen Abfall statt im Recycling – ein zusätzliches Umweltproblem.»

Der Trinkglas-Effekt

Wie Humbert – und mit ihm eine wachsende Zahl von Behörden und Konsumentenorganisationen – fordert auch Julien Boucher die Schweizer Bevölkerung auf, mehr Leitungswasser und weniger Flaschenwasser zu trinken. Er weist aber darauf hin, dass auch das Trinkglas Auswirkungen auf die Umwelt hat. «Wenn Sie Ihr Leitungswasserglas andauernd mit heissem Wasser und Seife spülen, wird dessen CO2-Fussabdruck bedenklich nahe an jenen herankommen, der entsteht, wenn Sie gekauftes Wasser direkt aus der Flasche trinken.» Sein Tipp? «Trinken Sie den ganzen Tag aus demselben Glas und spülen Sie es bei Bedarf mit kaltem Wasser. Erst wenn es wirklich schmutzig ist, sollte es abgewaschen werden, am besten nicht von Hand, sondern in der – mit erneuerbarem Strom betriebenen – Abwaschmaschine. Das ist die umweltfreundlichste Variante.»

Was ist der Unterschied zwischen Leitungs-, Mineral- und Quellwasser?

Für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten ist Leitungswasser das günstigste und umweltfreundlichste Trinkwasser. Punktuell kann man jedoch abgefülltem Wasser den Vorzug geben, egal ob es sich dabei um natürliches Mineralwasser, Tafelwasser oder Quellwasser handelt. Aber wo liegt hier der Unterschied? Mineralwasser ist jahrealtes Regenwasser, das sich während der Zeit in der Erdkruste mit Mineralien angereichert hat. Die Bezeichnung «natürliches Mineralwasser» darf nur Wasser aus einer Quelle tragen, die bestimmte Kriterien erfüllt. So muss die Mineralisierung des Wassers stabil sein, das heisst, der Gehalt an Mineralsalzen und Spurenelementen darf nur natürlichen Schwankungen unterworfen sein. Selbstverständlich muss es zudem mikrobiologisch einwandfrei und nicht chemisch behandelt worden sein. Tafelwasser dagegen ist Trinkwasser, das mit natürlichem Mineralwasser versetzt oder mit Mineralsalzen angereichert ist. Quellwasser schliesslich enthält im Gegensatz zu Mineralwasser nicht unbedingt einen Mindestgehalt oder eine gleichbleibende Menge an Mineralien.

Nun könnte man annehmen, dass Leitungswasser weniger Mineralien enthält als Flaschenwasser. Das ist aber nicht unbedingt der Fall. Da die Bezeichnung «natürliches Mineralwasser» keinen Mindestgehalt an Mineralsalzen vorsieht, bieten manche Marken ein Wasser mit sehr geringem Mineralgehalt an. So zeigte ein Test des Konsumentenmagazins «Bon à Savoir» aus dem Jahr 2014, dass das Leitungswasser der Stadt Zürich mehr Kalzium enthielt als 4 der 20 meistverkauften Mineralwasser in der Schweiz und mehr Magnesium als fünf dieser Mineralwasser. Zur Erinnerung: Mineralstoffe (Kalzium, Magnesium, Natrium, Kalium, Bikarbonate) und Spurenelemente (Fluor, Selen, Silizium) sind für den Aufbau von Körpergewebe und für die Funktionen des Organismus unerlässlich.

Verschiedene Mineralwasser unterscheiden sich also im Grad ihrer Mineralisierung. Je nach individuellen Bedürfnissen kann es sinnvoll sein, sich für ein bestimmtes Mineralwasser zu entscheiden. Allerdings sollten besonders mineralhaltige Wasser nicht allzu regelmässig konsumiert werden. Es lohnt sich, die Zusammensetzung auf dem Etikett zu überprüfen. Übrigens sollten Kinder und Erwachsene, die nicht an Mangelerscheinungen leiden, im Allgemeinen eher Wasser mit niedrigem Mineralgehalt trinken, vor allem, um Natriumüberschüsse zu vermeiden.

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Letzte Änderung 28.09.2022

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