Sauberes Trinkwasser: In der Schweiz halten wir das für selbstverständlich. Doch durch die zunehmende Zersiedelung und die intensive Landwirtschaft steigt der Druck auf unser Grundwasser – so stark, dass wir Massnahmen ergreifen müssen, um es besser als bisher zu schützen.
Text: Florian Niedermann
In der Schweiz sind wir es uns gewohnt, dass wir Wasser aus dem Hahn bedenkenlos trinken können. Wie selbstverständlich fliesst Trinkwasser aus der Dusche, selbst unsere WCs spülen wir damit. Doch sauberes Wasser erhalten wir nicht automatisch – dafür müssen wir zu unserem Grundwasser, aus dem 80 Prozent des Schweizer Trinkwassers stammen, Sorge tragen. Dies wird durch den hohen Siedlungsdruck und die intensive Landwirtschaft zunehmend schwieriger: Aus schierem Platzmangel sind Strassen, Wohngebiete, Industriebetriebe und Landwirtschaftsflächen immer näher an die Grundwasserfassungen gerückt. So gelangt immer wieder Unerwünschtes ins Grundwasser, etwa Fäkalkeime und andere Krankheitserreger, Abbauprodukte von Pestiziden oder Schadstoffe aus Altlasten.
Besonders problematisch sind langlebige Stoffe wie perfluorierte Chemikalien, wie sie etwa in Outdoorkleidung enthalten sind, oder Rückstände aus Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln. Diese Stoffe schaden nicht nur der Natur, sondern auch dem Menschen. Und sind sie erst einmal im Grundwasser drin, lassen sie sich bei der Gewinnung von Trinkwasser kaum mehr daraus entfernen – nur mit grossem Aufwand und teuren Verfahren, wie Corin Schwab von der Sektion Gewässerschutz des BAFU sagt: «Wir müssen verhindern, dass problematische Substanzen überhaupt erst im Grundwasser landen.» Derzeit werden darum politisch die Weichen für einen konsequenten Grundwasserschutz gestellt.
Trend in die falsche Richtung
Doch von Anfang an: Grundwasser entsteht, wenn Regenwasser durch den Boden in Kiesschichten oder Felsspalten unter dem Erdreich sickert und sich schliesslich auf tieferliegendem, dichtem Gestein staut. Auf dem Weg durch den Boden wird das Wasser gefiltert – und dadurch trinkbar. Dieses Wasser entnehmen die landesweit etwa 2000 Wasserversorger schliesslich an rund 18 000 Stellen und bringen es in unsere Haushalte. Behandelt wird das Trinkwasser aus diesen Fassungen in der Regel gar nicht oder nur mit UV-Licht oder Chlor, um für alle Fälle gegen Keime vorzusorgen.Wenn nun Siedlungen und Infrastrukturen den Trinkwasserfassungen zu nah kommen, wenn in ihrer Nähe gebaut wird – sei es für Infrastrukturen oder neue Überbauungen –, dann steigt das Risiko, dass das Wasser durch Bauarbeiten, Leckagen oder Unfälle verunreinigt wird. Im Bewusstsein um diese Gefahren hat der Bund in der Gewässerschutzverordnung das Instrument der Grundwasserschutzzonen verankert. Diese Zonen rund um die Trinkwasserfassungen müssen die Kantone festlegen, um das Trinkwasser zu schützen. So sind dort beispielsweise Grabungen, Bautätigkeiten und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln eingeschränkt oder verboten.
Nur: Die wachsende Nachfrage nach Bauland hat manche Gemeinden dazu bewogen, Bauprojekte dennoch innerhalb der Schutzzonen zuzulassen. Mit teils erheblichen Folgen, wie Michael Schärer, Leiter der Sektion Grundwasserschutz beim BAFU, darlegt: «Viele Gemeinden im Mittelland mussten Trinkwasserfassungen aufgeben, weil die Schutzzonen zu stark bebaut waren.» So bietet die heutige Praxis keinen effektiven Schutz für das Grundwasser. «Wollen wir auch in Zukunft sauberes Trinkwasser, müssen wir diesen Trend, in die Schutzzonen hineinzubauen, stoppen», sagt Schärer.
Der Grundwasserschutz erhält politische Zugkraft
Jüngst setzten sich mehrere parlamentarische Vorstösse durch, um das Grundwasser konsequenter zu schützen. Sie fordern etwa, dass die Schutzzonen eingehalten werden und die Kantone die Bestimmungen zum Schutz des Trinkwassers konsequent umsetzen müssen. Zudem sollen sich Zuströmbereiche neu auch vorsorglich festlegen lassen: Bis 2035 sollen für alle Grundwasserfassungen von regionaler Bedeutung sowie für Fassungen, bei denen die Gefahr einer Verunreinigung besteht, Zuströmbereiche definiert werden. Schliesslich soll auch der Zulassungsprozess von Pflanzenschutzmitteln in Gebieten über Trinkwasser verschärft werden.
Stoffe, die Jahrzehnte bleiben
Besonders problematisch sind Stoffe, die der Boden nicht filtern kann und die sich nur sehr langsam abbauen. Die wichtigsten davon: Abbauprodukte von Pflanzenschutzmitteln sowie Nitrat aus Gülle und anderen Düngemitteln. Sie gelangen mit dem Niederschlag ins Grundwasser und so auch in unser Trinkwasser. Seit den Neunzigerjahren erfasst das BAFU in der Nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA den Zustand und die Entwicklung der Grundwasserressourcen an mehr als 600 Messstellen in der Schweiz. Seither hat die Landwirtschaft bereits Massnahmen zum besseren Schutz des Grundwassers beschlossen. So wurden diverse Pflanzenschutzmittel eingeschränkt, die das Grundwasser verschmutzten. Beispielsweise ist das Fungizid Chlorothalonil seit Ende 2020 schweizweit verboten. «Die Rückstände im Wasser sinken teilweise erst nach Jahrzehnten wieder unter die vorgeschriebenen Grenzwerte», sagt Corin Schwab.
Damit solch langlebige Verschmutzungen nicht ins Grundwasser gelangen, genügen die Schutzzonen alleine nicht. Denn das Grundwasser sammelt sich aus unterirdischen Strömen weit über die Schutzzonen hinaus. Man spricht bei einem Gebiet, aus dem rund 90 Prozent des Wassers einer Fassung stammt, auch vom Zuströmbereich. Solche Bereiche zu ermitteln und festzulegen, ist im Gewässerschutz schon seit 1998 vorgesehen. Wenn bei einer Fassung Grenzwerte einer Substanz überschritten werden, beispielsweise Nitrat, dann müssen die Behörden im Zuströmbereich Massnahmen vorschreiben, um die Belastungen zu senken. So dürften Landwirtinnen und Landwirte beispielsweise den Boden weniger umgraben und müssten ihn im Winter begrünen, damit Pflanzen dafür sorgen, dass der Regen Pflanzenschutzmittel und Dünger nicht mehr so leicht auswaschen kann.Nur gilt auch hier: Dieses bestehende Instrument wird nicht konsequent genutzt. Zurzeit ist erst ein Bruchteil der Zuströmbereiche definiert, die erforderlich wären. Nun will die Politik diese fehlende Konsequenz mit einer Reihe von Vorstössen angehen (siehe Box). Für deren Umsetzung will das Parlament den Kantonen Fristen setzen. Damit erhielte der Bund eine Handhabe, um die Massnahmen durchzusetzen. Auf diese Weise lassen sich Trinkwasserfassungen erhalten. So kann eine gute Qualität des Grundwassers auch in Zukunft sichergestellt werden
«Auch die Landwirtschaft ist auf gutes Trinkwasser angewiesen»
Kurt Seiler, warum ist es so wichtig, unser Grundwasser zu schützen?
Wenn wir das Grundwasser schützen, können wir es direkt nutzen – ohne aufwendige Aufbereitung. So profitieren wir zu günstigen Preisen von einem naturnahen Gut.
Wie lässt sich verhindern, dass es zu chemischen Verunreinigungen kommt?Indem wir nur noch gut abbaubare Stoffe zulassen. So gäbe es keine Belastung der Umwelt. Da wir davon aber weit entfernt sind, müssen wir das Grundwasser besser schützen, indem wir beispielsweise Zuströmbereiche festlegen und dort Massnahmen erlassen.
Unter anderem können Pflanzenschutzmittel unser Grundwasser verschmutzen. Müsste man nicht schlicht die Landwirtschaft in die Pflicht nehmen?
Das ist zu einfach. Nicht alle Verunreinigungen sind auf die Landwirtschaft zurückzuführen. Zudem müssen sich die Bäuerinnen und Bauern auf die Vorgaben punkto Pflanzenschutzmittel verlassen können: Wenn sie sich daran halten, darf das Grundwasser nicht verschmutzt werden. Doch beispielsweise der Einsatz des giftigen Fungizids Chlorothalonil war ja während Jahrzehnten erlaubt. Und: Nicht nur bei der Zulassung von Chemikalien gibt es Handlungsbedarf, sondern auch bei den Direktzahlungen.
Wie das?
Wenn wir Auswaschungen von Nitrat ins Grundwasser reduzieren wollen, dann müssen wir eine weniger intensive Landwirtschaft fördern. Doch die Kantone haben es schwer, entsprechende Massnahmen durchzusetzen, wenn der Bund nicht auch die richtigen Anreize bei den Direktzahlungen setzt.
Sie sind im Kanton Schaffhausen der oberste Chemiker und zuständig für das Grundwasser. Was tun Sie für seinen Schutz?
Wir haben vor Kurzem den ersten Zuströmbereich bestimmt, weitere werden folgen. Doch so eine Ausscheidung braucht seine Zeit. Schön zu sehen ist, dass die Bauernbetriebe mit uns kooperieren. Ihnen ist bewusst, dass auch die Landwirtschaft auf gutes Trinkwasser angewiesen ist.
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Letzte Änderung 13.09.2023