Interview: «Gegen invasive Pilze haben unsere Bäume kaum Abwehrkräfte»

21.12.2022 - In der Schweiz machen sich immer mehr gebietsfremde Arten breit, darunter auch Pilze – manche davon sind schädlich. Umweltingenieur Jonas Brännhage hat an der aktualisierten Übersicht zu den gebietsfremden Arten mitgearbeitet. Im Interview erzählt er unter anderem, weshalb neue gebietsfremde Pilzarten häufig in Gärten zu finden sind.

Text: Kaspar Meuli

Jonas Brännhage ist Mitautor der Publikation «Gebietsfremde Arten in der Schweiz» und arbeitet als wissenschaftlicher Assistent bei SwissFungi, dem nationalen Daten- und Informationszentrum zur Dokumentation, Förderung und Erforschung der Schweizer Pilze. SwissFungi ist Teil des Schweizerischen Informationszentrums für Arten (InfoSpecies) und gehört zur Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Zudem ist Jonas Brännhage als Pilzkontrolleur tätig.
© Aurélien Barrelet/Large Network

Jonas Brännhage, zum Anfang bitte eine Klärung: Was ist der Unterschied zwischen etablierten gebietsfremden und invasiven gebietsfremden Arten?

Der Hauptunterschied ist der Schaden, den sie in der Umwelt anrichten. Der aus Australien eingeschleppte Tintenfischpilz zum Beispiel ist eine etablierte gebietsfremde Art, die in der Schweiz verbreitet vorkommt, allem Aschein nach aber unproblematisch ist für die Umwelt. Ein Gegenbeispiel ist das Falsche Weisse Stengelbecherchen. Dieser invasive Kleinpilz wurde aus Ostasien eingeschleppt, ist sehr aggressiv und für das Eschentriebsterben verantwortlich, das bereits zum Absterben zahlreicher Eschen geführt hat und ihre Population in Europa ernstlich bedroht.

Gibt es noch weitere solch schädliche invasive Pilze?

Heikel sind vor allem parasitische Pilze, die einheimische Baumarten befallen und stark schwächen oder gar töten können. In die Schweiz gelangen sie unter anderem durch die Einfuhr von Bäumen aus anderen Weltregionen. Diese können von Kleinpilzen befallen sein, die für uns unsichtbar im Pflanzengewebe leben. Im Fall des Eschentriebsterbens war das vermutlich die Mandschurische Esche aus Nordostasien. Wenn es die Parasiten dann schaffen, bei uns auf nah verwandte Bäume überzuspringen, wie im Fall des Eschentriebsterbens auf die Gemeine Esche, besitzen die einheimischen Baumarten häufig nur schwache Abwehrkräfte gegen den neuen Pilz, was verheerende Folgen haben kann.

Geht es bei invasiven Pilzen vor allem um die negativen Folgen für Ökosysteme oder gibt es weitere Probleme?

Auch die ökonomischen Schäden fallen ins Gewicht. Die Esche zum Beispiel war für die Waldwirtschaft ein wichtiges Holz, etwa für Möbel oder Böden, und fällt nun durch die Folgen des Eschentriebsterbens praktisch weg. Im Extremfall können ganze Waldökosysteme durch die massenhafte Ausbreitung eines invasiven Pilzes destabilisiert werden. Das geschah zum Beispiel im Osten der USA beim Kastanienrindenkrebs, der die dort heimische und einst sehr bedeutende Amerikanische Kastanie innerhalb von 40 Jahren beinahe zum Aussterben gebracht hat.

Wie landen gebietsfremde Pilzarten in der Schweiz?

Hauptgrund für die Einschleppung ist die Globalisierung und der damit verbundene Warenverkehr. Unsere Analyse hat ergeben, dass die meisten Pilze aus Nordamerika und Asien in die Schweiz gelangen. 

Sie werden hauptsächlich über Baumschulen eingeschleppt, die Bäume aus fremden Gebieten importieren. Auch Zierpflanzengärtnereien spielen eine wichtige Rolle. Dazu kommen Verpackungsmaterial sowie Bau- und Möbelholz, das ungenügend behandelt wurde und mit holzzersetzenden Pilzen befallen sein kann.

Sie haben mitgeholfen, die Übersicht zu den gebietsfremden Arten in der Schweiz zu aktualisieren. Wie wurden die Daten dafür erhoben?

Gewisse Angaben – etwa zum ersten Funddatum eines Pilzes in der Schweiz – konnten wir der Datenbank von SwissFungi entnehmen, dem nationalen Datenzentrum der Schweizer Pilze. Viele Angaben haben wir auch in der wissenschaftlichen Literatur recherchiert. Und wir haben stichprobenartig gewisse Gebiete untersucht, wo wir besonders viele gebietsfremde Pilze vermuteten.

Wo gibt es denn besonders viele davon?

Rund um die grossen Städte in tiefen, warmen Lagen. Das sind die Handelszentren und dort werden auch besonders viele Zierpflanzen kultiviert. Sehr interessant sind Gärten, sie stellen eine Art Frühwarnsystem dar, denn viele gebietsfremde Pilze findet man zuerst dort. Schliesslich schaffen es zum Glück nur relativ wenige der eingeschleppten Pilze, sich in der freien Natur auszubreiten.

Was lässt sich denn gegen das Einschleppen von gebietsfremden Pilzen tun?

Da gibt es zum Beispiel den Pflanzenschutz. Pflanzen, die in die Schweiz eingeführt werden, müssen zumindest stichprobenartig auf Symptome untersucht werden, die auf einen aggressiven Pilz hindeuten könnten. Doch genau hier liegt oft das Problem: Eine Wirtspflanze und ihr Pilz sind aneinander angepasst und so sind für uns oft keine äusseren Symptome sichtbar. 

Hinzu kommt, dass viele eingeschleppte Pilze der Wissenschaft völlig unbekannt sind. Man muss also Ausschau halten nach etwas, das man nicht kennt. Eine andere Massnahme wäre, den Import von Pflanzen einzuschränken und nur noch die Einfuhr von Samen zu erlauben. Diese sind zwar auch nicht gänzlich pilzfrei, das Risiko von Einschleppungen könnte dadurch aber sicherlich gesenkt werden.

Das tönt nicht nach einfachen, wirksamen Lösungen ...

Im Grunde genommen müsste man den Pflanzenhandel einschränken. Verglichen mit dem letzten Überblick des BAFU im Jahr 2006 haben gebietsfremde Pilze stark zugenommen. Das hat aber nicht nur mit vermehrten Einschleppungen zu tun, sondern besonders damit, dass man die Pilze viel besser dokumentiert hat als in der Vergangenheit. Früher wurden die Pilze etwas stiefmütterlich behandelt; man hat ihnen nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie eigentlich verdienen.

Wie gut sind denn die einheimischen Pilze erforscht?

Auch sie sind noch nicht restlos erforscht. In der Datenbank von SwissFungi gibt es Funde zu knapp 10 000 Arten. Jährlich werden 100 bis 200 neue Pilzarten entdeckt.

Aufdatiertes Wissen über gebietsfremde Arten

Kürzlich hat das BAFU eine aktualisierte Übersicht über die gebietsfremden Arten und ihre Auswirkungen in der Schweiz publiziert. Heute sind über 1300 gebietsfremde Tiere, Pflanzen und Pilze bekannt, die sich in der Schweiz etabliert haben – und deren Anzahl nimmt stetig zu. Sorge bereiten besonders die invasiven gebietsfremden Arten, denn diese können Mensch und Umwelt gefährden. Aktuell werden 197 dieser Problemarten gezählt – 85 Tiere, 89 Pflanzen und 23 Pilze. 

Der aktualisierte Bericht zeigt, woher diese Arten stammen und auf welchen Wegen sie in die Schweiz gelangten. Der grösste Teil dieser invasiven gebietsfremden Arten – rund 50 Prozent – wurde absichtlich eingeführt und entwich anschliessend unbeabsichtigt in die Umwelt. Andere wurden durch Verunreinigungen etwa in Saatgut oder Futtermitteln eingeschleppt – etwa Ambrosia-Samen in Vogelfutter – oder absichtlich freigelassen, etwa der Asiatische Marienkäfer für die biologische Schädlingsbekämpfung in Frankreich.

Im Mai 2016 verabschiedete der Bundesrat die Strategie der Schweiz zu invasiven gebietsfremden Arten. Deren Ziel: zu verhindern, dass solche Arten Mensch und Umwelt gefährden und die biologische Vielfalt sowie Ökosystemleistungen und deren nachhaltige Nutzung beeinträchtigen. «Als Grundlage für die Umsetzung der in der Strategie vorgesehenen Massnahmen mussten die Wissensgrundlagen aktualisiert werden», erklärt Lea Amacher von der Abteilung Biodiversität und Landschaft des BAFU. Künftig soll diese Datengrundlage periodisch aktualisiert werden. 

Das zusammengetragene Wissen soll helfen, invasive Arten zu erkennen, deren Auswirkungen zu verstehen und mögliche Gegenmassnahmen zu finden.

 

Gebietsfremde Arten in der Schweiz

Cover Gebietsfremde Arten in der Schweiz

Übersicht über die gebietsfremden Arten und ihre Auswirkungen. Stand 2022

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Letzte Änderung 21.12.2022

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