Nachhaltig bauen: Die Zukunft baut auf die Natur

Seit Generationen sind Beton und Stahl die Hauptbestandteile unserer Häuser. Aber immer mehr Bauherren und Architektinnen setzen auch auf natürliche Baustoffe wie Holz und Lehm.

Text: Florian Niedermann

Passt sich in die Umgebung ein: Das Besucherzentrum des Schweizerischen Vogelwarte am Ufer des Sempachersees ist aus Stampflehm gebaut.

Der Klimawandel kratzt am Ruf zweier bisheriger Stars der Schweizer Baubranche: Stahl und Beton. Sie sind seit Ende der 1960er-Jahre mengenmässig die wichtigsten Baustoffe, da sich mit ihnen Wohnraum schnell und günstig bauen lässt. Doch nachhaltig ist die aktuelle Bauweise nicht: Zehn Prozent der Treibhausgase in der Schweiz gelangen durch die Herstellung von Baumaterialien und den Rückbau von Bauwerken in die Atmosphäre. «Die Verwendung von Stahl und Beton ist mit grossen Mengen grauer Energie verbunden», erklärt Christian Aebischer von der Sektion Holzwirtschaft und Waldwirtschaft im Bundesamt für Umwelt (BAFU). Mit grauer Energie ist die nicht erneuerbare Energie gemeint, die es braucht, um die Rohstoffe abzubauen, zu bearbeiten, zu transportieren, zu verbauen und am Ende zu verwerten oder abzu­lagern. Deshalb wächst die Nachfrage nach umweltschonenden Alternativen zu Stahl und Beton – nach Baustoffen wie Lehm oder Holz.

Ein Holzhaus als CO2-Speicher 

Holz aus regionalen Beständen und einer verantwortungsvollen Waldwirtschaft könne die Öko­bilanz eines Hauses stark verbessern, sagt Aebischer. Nicht nur sind die negativen Umwelteinflüsse schwächer als bei Stahl und Beton (siehe Grafik), der nachwachsende Rohstoff dient auch als CO2-Speicher. «Holz bindet beim Wachstum pro Kubikmeter rund eine Tonne CO2. Dieses bleibt bis zuletzt im Material, so entlasten Holzhäuser unsere Atmosphäre sogar», sagt der Spezialist für Holzwirtschaft.

Massivholz hat als Baustoff weitere Vorteile: Dank seiner offenen Poren reguliert es etwa die Feuchtigkeit in Innenräumen und es verströmt ein warmes und behagliches Gefühl. Holz ist leicht und kräftig zugleich. Hochgerechnet auf das gleiche Gewicht, trägt es ein Vielfaches mehr als Stahl. Und weil Elemente oder ganze Module in der Werkstatt vorgefertigt werden, kann ein Holzbau auch schneller fertiggestellt werden. Ein Beispiel: In Winterthur entstand bis 2018 der bis dahin grösste Holzbau der Schweiz. Die Wohnüberbauung «Sue & Til» bietet in seinen 20 Gebäuden Platz für mehr als 300 Wohnungen. «Weil viele Bauteile vorgefertigt wurden, waren die ersten Häuser vor dem geplanten Termin bezugsbereit», sagt Christian Aebischer. «Das freute natürlich auch die Investorin, weil die Mieteinnahmen früher flossen.»

 

Auch Stararchitekten bauen mit Stampflehm. Das Ricola Kräuterzentrum in Laufen wurde von Herzog & de Meuron entworfen.

Das Haus, das aus Boden besteht

Nachhaltige Bauelemente entstehen nicht nur aus Holz, sondern auch aus Stroh oder Lehm. Eine der Pionierinnen in diesem Bereich ist die österreichische «Lehm Ton Erde Baukunst GmbH». Die Firma begann vor 30 Jahren damit, den seit Jahrhunderten bekannten Stampflehm wieder als Baustoff zu etablieren. Aufsehenerregende Objekte wie das Ricola Kräuterzentrum in Laufen bei Basel oder das Besucherzentrum der Vogelwarte Sempach errichteten die Mitarbeitenden der Firma in einem selbst entwickelten Verfahren. Dabei verdichten – oder eben stampfen – sie ein Gemisch aus Lehm und Stein maschinell und schneiden es in grosse Blöcke. Einmal ausgetrocknet, verbinden sie diese Blöcke auf der Baustelle wie riesige Ziegel mit Lehmmörtel.

«Stampflehm findet man überall auf der Welt im Boden. Wir nehmen ihn deshalb, wenn immer möglich, direkt aus der Baustelle», sagt Thomas Honermann, Architekt bei der «Lehm Ton Erde Baukunst GmbH». Im Idealfall verarbeitet die Firma den Lehm in einer temporären Feldfabrik direkt vor Ort. So entsteht keine graue Energie beim Transport. Ein weiterer Vorteil des Stampflehms: An seinem Lebensende ist er komplett wiederverwendbar.

Zudem schreibt man Lehmwänden gute Eigenschaften für das Raumklima zu: Sie sorgen für optimale Luftfeuchtigkeit, setzen keinen Schimmel an, reinigen die Luft und haben wegen der hohen Dichte gute Temperatur-Speichereigenschaften. Was die Tragfähigkeit angeht, können Lehmwände mit Stahlbeton mithalten, nur bei Zugkräften nicht. Deshalb kombiniert man Lehm meist mit Beton- oder Holzkons­truktionen – wie beim Gebäude der Vogelwarte Sempach.

Einen Nachteil hat Lehm allerdings: Bei Feldfabrik-Bauten ist der Preis pro Quadratmeter Wand rund dreimal so hoch wie bei einer Betonwand. «Das Verfahren ist noch sehr arbeitsintensiv», erklärt Honermann. Durch Vorfertigung und technische Weiterentwicklung werde man aber künftig günstiger bauen können.

Der Boden ist ein rares Gut

Auch wenn natürliche Baustoffe laufend weiterentwickelt werden – für Christian Aebischer vom BAFU ist klar: «Man wird im Bauwesen weiterhin auf Beton und Stahl angewiesen sein. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sollte man aber dafür sorgen, dass diese Gebäudeteile und alle anderen nicht nur rezykliert, sondern vermehrt auch direkt wiederverwendet werden.»

Das gilt auch für den Boden, auf dem ein Haus steht. Die oberste, belebte Schicht der Erde ist Grundlage für die meisten Ökosysteme und wächst nur sehr langsam nach – etwa einen Zentimeter in 100 Jahren. Wer bei einer Baustelle Erdreich entfernt, hat deshalb seit 2016 gemäss der Abfallverordnung des Bundes zu untersuchen, ob es verwertet werden muss. Beispielsweise indem es in geschädigte Böden eingearbeitet oder aufgetragen wird, um deren Fruchtbarkeit zu verbessern oder um neue Lebensräume zu schaffen.

Weil der Boden eine derart knappe natürliche Ressource ist, entstanden in der Schweiz Online-Tauschbörsen, auf denen Private ihre Bodengesuche oder -angebote auf einer Karte eintragen konnten. Doch laut Corsin Lang von der Sektion Boden des BAFU zeigte sich schnell, dass dort kaum Angebote eingingen. «Eine praktikable Lösung wären hingegen Hinweiskarten, die darstellen, auf welchen Flächen Boden sinnvoll verwertet werden kann.» Solche Karten würden den Baufirmen anzeigen, wo sie ihren abgetragenen Boden hinbringen können. Diese Lösung könnte sich bald schweizweit durchsetzen: Sie ist eine der Forderungen im Sachplan Fruchtfolgeflächen, den der Bundesrat im Jahr 2020 mit dem Ziel verabschiedete, die besten Ackerböden vor Überbauung zu schützen.

Fazit

Natürliche und wiederverwendbare Baustoffe wie Holz, Lehm oder Stroh sind in der Baubranche immer gefragter. Vorfertigung und technologische Weiterentwicklungen senken die vormals höheren Kosten gegenüber Stahl und Beton. Ganz werden Stahl und Beton wohl nicht zu ersetzen sein. Ziel muss jedoch sein, auch diese Materialien zu rezyklieren und den Rohstoffkreislauf zu schliessen.

Natur pur: Strassenbeleuchtung aus Pflanzen

Holz, Lehm, Stroh: Naturbasierte Lösungen sorgen beim Häuserbau für Furore – aber nicht nur. Auch die Strassenbeleuchtung der Zukunft könnte sich natürlicher Träger bedienen. Ingenieurinnen und Ingenieure des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben es nämlich geschafft, spezielle Nanopartikel in Pflanzenblätter einzubetten. Die Partikel kann man mittels einer LED für zehn Sekunden aufladen, worauf die Pflanze für einige Minuten lang hell leuchtet. Danach nimmt die Lichtstärke über eine Stunde hinweg allmählich ab. «Das ist ein grosser Schritt in Richtung Pflanzenbeleuchtung», erklärte Michael Strano, Professor für Chemieingenieurwesen am MIT, gegenüber dem Online-Magazin «The Brighter Side of News». Ziel der Versuche ist es laut den Forschenden, die nicht nachhaltige elektrische Strassenbeleuchtung in unseren Städten dereinst durch eine pflanzenbasierte Lösung zu ersetzen.

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Letzte Änderung 21.12.2022

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