Ökologisch wohnen: Nachhaltig bis unters Dach

Ein ungewöhnliches Gebäude oberhalb von Sainte-Croix (VD) weist den Weg in Sachen nachhaltiges Wohnen. Hier werden Ökologie und das Teilen im Alltag gelebt. Ein Augenschein.

Text: Cornélia Mühlberger De Preux

Daniel Béguin und Jacqueline Menth haben ihr nachhaltiges Heim selbst entworfen. 15 Jahre lang nahmen sie Hürde um Hürde, bis DomaHabitare stand.
© Annette Boutellier/Lunax

An diesem brütend heissen Nachmittag im Juli 2022 treffen wir nur eine Handvoll Bewohnerinnen und Bewohner des Mehrfamilienhauses DomaHabitare an. Aber Jacqueline Menth und Daniel Béguin sind da, die treibenden Kräfte dieser Wohngenossenschaft. Sie hatten die Idee für dieses Vorhaben bereits 2003. Nachdem zahlreiche Hürden und Abenteuer bestanden waren, nahm das Gebäude schliesslich Gestalt 2018 an. Das im Selbstbau errichtete Haus entspricht bestimmten ökologischen und sozialen Kriterien: Abfälle werden hier auf ein Minimum reduziert, Nachhaltigkeit und Energieeinsparungen werden konsequent gefördert, jedes Bauteil ist sorgfältig in Bezug auf seinen Lebenszyklus von der Produktion bis zum Abbruch geprüft. Zudem fördern ein naturnah bewirtschafteter Garten und Nistkästen für Mauersegler die Biodiversität.

Eine solch nachhaltige und vorausschauende Bauweise funktioniert aber nicht nur im Kleinen. Auch die ganz Grossen der Architekturbranche planen und bauen zunehmend ökologisch. Etwa Herzog & de Meuron beim Projekt Hortus in Allschwil bei Basel: Auch hier dachte man beim Bau bereits an den Rückbau. Das Bürogebäude wurde so konzipiert, dass die graue Energie für seine Errichtung nach ungefähr 30 Jahren kompensiert sein wird. Zudem kann nach dem Rückbau jedes einzelne Bauteil wiederverwendet werden.

40 Kilometer vom Baum zum Bauholz

Auch bei DomaHabitare wurde von Anfang an auf nachhaltiges Baumaterial geachtet: Naturstein für die Stützmauer, aus Aushubmaterial hergestellte Lehmziegel für die Innenwände und Holz aus der Region für die Rahmenkonstruktion, die Schindelverkleidung der Fassade und einen Teil der tragenden Wände. «Das Bauholz hat vom Wald über die Zimmerei bis zur Baustelle nicht mehr als 40 Kilometer zurückgelegt», sagt Daniel Béguin.

Ebenso wichtig war den Projektinitiantinnen und -initianten die Idee der Kreislaufwirtschaft, darum sind Fenster, Türen, Bodenbeläge und gewisse Sanitärausstattungen aus zweiter Hand. Fast die Hälfte der Glasfassaden-Fläche besteht aus wiederverwendeten Fenstern. «Wir hatten beim Bau den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes bis zu seinem Abbruch im Auge: Das Haus lässt sich wie eine Meccano-Modellkonstruktion zerlegen, die ungebrannten Lehmziegel sind nicht vermauert, sondern ähnlich wie Legosteine übereinandergelegt», fügt Béguin hinzu. Nicht nur die Wiederverwertung von Materialien, auch eine geringerer Verbrauch von grauer Energie ist eines der Hauptanliegen der Genossenschaft DomaHabitare.

Auch punkto erneuerbare Energieversorgung wurde viel unternommen. «Wir nutzen die Energie der Sonne gleich dreifach», sagt Béguin. Solarthermie-Panels sorgen für warmes Wasser, Photovoltaik erzeugt fast 80 Prozent des Strombedarfs des gesamten Gebäudes, und Gänge und Veranden werden durch die Glasfassaden hindurch von der Sonne aufgewärmt. «Dank diesen temperierten Pufferzonen können wir auf fossile Energieträger verzichten – ausser auf das Gas zum Kochen.» Die sorgfältige Isolierung des Hauses – Holzwolle, Stroh und Dreifachverglasung – macht eine Zentralheizung überflüssig. Wenn es draussen kalt ist, sorgen Holzöfen für Wärme.

Beim Bau arbeitete die Genossenschaft mit lokalen Gewerbebetrieben zusammen. Gefragt waren Fachleute aus traditionellen Berufen wie Trockensteinmaurer, Schindelmacherinnen und Gewölbemaurer – für die Treppen und den unterirdischen Gewölbekeller. Ihre einfachen Werkzeuge und natürlichen Materialien sind weniger mit grauer Energie belastet als andere Bauweisen. Zudem sind fast alle Baustoffe für die Wohnräume mineralischen oder pflanzlichen Ursprungs: Pigmente, Leinöl, Kasein, Marmormehl – aber kein Formaldehyd, keine Lösungsmittel und keine Kunststoffe. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Steckdosen.

Dem Standard voraus

Eine weitere lokale Ressource, die genutzt wird, ist das Regenwasser. Es wird in zwei Zisternen mit einem Fassungsvermögen von insgesamt 40 Kubikmetern gespeichert und fliesst gefiltert aus den Wasserhähnen. Nur bei anhaltender Trockenheit wird der Bedarf durch die kommunale Wasserversorgung gedeckt. Aufs Klo geht man im Haus auf Trocken­toiletten. Ausscheidungen werden in Kompost umgewandelt, der im Garten ausgebracht wird. «Und wir übertreffen den Minergie-Standard und nähern uns dem Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) an», erklärt Béguin. 

Hier leben übrigens mehrere Generationen unter einem Dach. Jacqueline Menth stellt klar: «Wer hier wohnen möchte, sollte Lust haben, anderen Menschen zu begegnen und sich aktiv zu beteiligen, sei es bei der Reinigung der Gemeinschaftsräume, im Garten oder beim Leeren der Kompostiergruben.» Verschiedene Gemeinschaftsräume stehen allen Bewohnerinnen und Bewohnern zur Verfügung: ein Gästezimmer, ein Versammlungsraum mit Küche, Klavier und Nähmaschine, eine Waschküche, ein Gemüsekeller, eine Schreinerwerkstatt sowie ein 300 Quadratmeter grosser Gemüsegarten. «Wir bei DomaHabitare haben gelernt, Ressourcen optimal zu nutzen», sagt Menth. «Wasch­maschinen lassen wir nur laufen, wenn die Sonne scheint, die Wäsche hängen wir in den Gängen Trocknen auf und bevor wir Kompost ausbringen, beobachten wir, wie sich die Fruchtbarkeit der Böden im Garten entwickelt.» 

Fazit

Künftig sollen Schweizer Städte mehr zu sogenannten Schwammstädten werden. Etwa durch weniger Asphalt und mehr durchlässige Böden wie Kies oder Wiese können Starkregenfälle und Trockenperioden besser aufgefangen werden.

Stärkung der schweizer Gebäudelabels

Eine Harmonisierung von vier bestehenden Gebäudelabels soll helfen, die Ziele der schweizerischen Energie- und Klimapolitik zu erreichen. Es handelt sich dabei um das Minergie-Label, den Gebäudeenergieausweis der Kantone (GEAK), den Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) und das Zertifikat für 2000-Watt-Areale.

Letzteres wird ab 2024 durch zwei neue Labels ersetzt, nämlich Minergie-Areal und SNBS-Areal. Die bestehenden Kategorien des Minergie-Standards (Minergie, Minergie-P, Minergie-A, Minergie-Eco, Minergie-P-Eco und Minergie-A-Eco) werden unverändert beibehalten. Für bestehende 2000-Watt-Areale oder solche, die sich in Entwicklung befinden, bieten die beiden neuen Areal-Labels Anschlusslösungen.

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Letzte Änderung 21.12.2022

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