Gerüstet bei Starkniederschlag: Die neue Gefährdungskarte Oberflächenabfluss Schweiz

03.07.2018 - Regnet es lange oder heftig, kann der Boden das Wasser nicht mehr aufnehmen. Es fliesst ab und flutet zum Beispiel Gärten, Keller oder Garagen. Dieser Oberflächenabfluss ist verantwortlich für Schäden in Millionenhöhe. Der Bund hat darum zusammen mit Versicherungspartnern die neue nationale Gefährdungskarte erarbeitet. Sie zeigt, welche Flächen in der Schweiz vom Oberflächenabfluss betroffen sind. Damit können Gefahren frühzeitig erkannt, Schutzmassnahmen ergriffen und Schäden verhindert werden.

Am 8. Juli 2017 entlädt sich über Zofingen im Kanton Aargau ein heftiges Gewitter. Innerhalb von zwei Stunden entleeren sich vier Niederschlagszellen mit heftigen Schauern und Hagelstürmen über der Region. An einzelnen Stellen regnet es mehr als während des ganzen Monats Juli. Unterführungen, Keller und Tiefgaragen werden geflutet, Hänge geraten ins Rutschen, Fassaden werden durch die Wassermengen weggespült. Auch das Stromnetz wird über weite Teile lahmgelegt. Das Ausmass der Schäden ist enorm, die Summe liegt in Millionenhöhe.

Irma Jordi, Leiterin des Alterszentrums Blumenheim in Zofingen, hat das Unwetter vom 8. Juli 2017 dort miterlebt. Im Video-Kurzinterview erzählt sie, wie sie im Zentrum vom Wasser überrascht wurden und welche Schäden die heftigen Niederschläge anrichteten.


Zu viel Wasser für den Boden

Auch 2018 gab es an verschiedenen Orten in der Schweiz bereits ähnliche Ereignisse. So drang in Lausanne im Kanton Waadt am 11. Juni nach ausserordentlich intensivem Regen Oberflächenwasser in den Bahnhof. In Frauenfeld im Kanton Thurgau setzte Gewitterregen am 8. Juni unter anderem eine Turnhalle und ein Feuerwehrdepot unter Wasser. Und am 27. Mai standen in der Region Bern nach sintflutartigem Regen zahlreiche Keller ebenfalls unter Wasser.

Klimatische Bedingungen führen immer wieder zu heftigen Wetterereignissen. Gerade in den Sommermonaten häufen sich Starkniederschläge und Gewitter. Fallen innert kurzer Zeit grosse Wassermengen an, können diese nicht mehr im Boden versickern und fliessen von den Hängen ab. Dieses Oberflächenwasser sammelt sich in flacherem Gelände und es kann in Gebäude eindringen und dort grosse Schäden anrichten. Nicht nur Infrastrukturen wie Häuser, Strassen oder Leitungen, sondern auch Menschen kann Oberflächenwasser gefährden

Kanton Schaffhausen, Mai 2013
© Kanton Schaffhausen

Gemeinsam Schäden vorbeugen

Um künftig für ein Szenario wie jenes in Zofingen oder Lausanne gerüstet zu sein, hat das Bundesamt für Umwelt BAFU zusammen mit dem Schweizerischen Versicherungsverband SVV und der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen VKG die «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss Schweiz» lanciert. Durch dieses Public-Private-Partnership-Projekt wurde eine nationale Karte entwickelt, die aufzeigt, welche Flächen in der Schweiz vom Oberflächenabfluss potenziell betroffen sind.

Damit erhalten Betroffene wie Bauherren, Planungs- und Architekturbüros, Baubehörden, Naturgefahrenfachstellen, der Bevölkerungsschutz, Versicherungen und viele weitere Akteure und Akteurinnen eine Grundlage, die ihnen hilft, die Gefahr frühzeitig zu erkennen und mit geeigneten Massnahmen Schäden zu verhindern.

 

Die Gefährdungskarte ist online frei zugänglich. Sie hilft, sich für das wärmere Klima mit mehr und heftigeren Wetterereignissen (z.B. Gewitter, Starkregen, Sturm) zu rüsten. Auf Oberflächenwasser vorbereitet zu sein ist besonders wichtig, weil es sehr plötzlich auftreten kann.

BAFU-Vizedirektor Paul Steffen: «Eine Pionierleistung dank vereinten Kräften»

Die nationale Gefährdungskarte Oberflächenabfluss ist eine Pionierleistung. BAFU-Vizedirektor Paul Steffen sagt im Interview, wie das Projekt entstanden ist, was es nützt und ob er auch seine eigenen vier Wände in Zukunft vor Oberflächenabfluss schützt.

Paul Steffen, Vizedirektor BAFU
Paul Steffen, Stv. Direktor BAFU

Weshalb wurde eine Gefährdungskarte zum Oberflächenabfluss in der Schweiz entwickelt?

Die Wetterereignisse vom Juni 2018 in Lausanne, in Frauenfeld oder im Bernbiet, aber auch die Überschwemmung von Zofingen im Juli 2017 haben es uns wieder deutlich vor Augen geführt: Der relativ plötzlich auftretende Oberflächenabfluss kann zu grossen Schäden in Millionenhöhe führen. Die Schweiz ist ein dicht besiedeltes Land und der Wert von Infrastrukturen wie Verkehrswege, Leitungen oder Gebäude steigt stetig. Zudem müssen wir mit dem wärmeren Klima damit rechnen, dass es tendenziell mehr und heftigere Wetterereignisse gibt. Aufgrund dieser Beobachtungen und Überlegungen ist die Idee für die neue Gefährdungskarte Oberflächenabfluss Schweiz entstanden. Wir wollen auch bei dieser Naturgefahr möglichst gut vorbeugen.

Was ist der Nutzen der Gefährdungskarte?

Die Karte Oberflächenabfluss hat einen grossen Nutzen gegen diese bisher unterschätzte Wassergefahr. Die Karte leistet einen wichtigen Beitrag, indem sie anzeigt, an welchen Stellen der Boden bei Starkniederschlägen das Wasser nicht mehr aufnimmt und an der Oberfläche abfliesst. Damit schaffen wir die Möglichkeit, Präventionsmassnahmen zu ergreifen. Wer zum Beispiel ein Gebäude besitzt, kann dank der Karte Risiken erkennen, Massnahmen ergreifen und Schäden verhindern. So sparen die Eigentümer Kosten - und Ärger. Die Gefährdungskarte Oberflächenabfluss Schweiz deckt eine Lücke im Schutz vor Hochwasser und trägt zur Sicherheit aller bei.

Wie ist das gemeinsame Projekt von Bund und Versicherungen entstanden?

Der Schutz vor Naturgefahren ist eine grosse Aufgabe für die Schweiz. Sie ist als Alpenland besonders exponiert. Als Gemeinwesen haben wir ein Interesse, die Sicherheit vor diesen Gefahren zu gewährleisten und so die Wohlfahrt der Schweiz zu sichern. Damit wir diese Herausforderung bewältigen können, braucht es hier die Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und den Versicherungen, denn gemeinsam sind wir stark. So wurde die Erarbeitung der Gefährdungskarte Oberflächenabfluss als ein gemeinsames Projekt, als ein Public-Private-Partnership-Vorhaben geführt. Dank der guten Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Versicherungsverband SVV und dem Verband der kantonalen Gebäudeversicherungen ist ein Produkt entstanden, das auch international als Pionierleistung angesehen wird.

Werden Sie die Gefährdungskarte auch im privaten Gebrauch benutzen?

Auf jeden Fall! Als Hauseigentümer liegt es in meinem Interesse, mein Eigenheim und meine Familie vor Risiken und Schäden zu schützen. Besonders jetzt im Sommer kann das warme Wetter zu Gewittern und Regenfällen führen. Die Karte hilft auch mir, mich auf solche Ereignisse vorzubereiten. Ich bin überzeugt, dass die gesamte Bevölkerung von der nationalen Karte profitieren wird.

Kanton Schaffhausen, Mai 2013
© Kanton Schaffhausen

Zusammenarbeit mit Versicherungen: Grosses Interesse – grosses Schadenspotenzial

Schadenanalysen von Versicherungen zeigen, dass bei Starkniederschlägen der Oberflächenabfluss für bis zu 50 Prozent der Hochwasserschäden verantwortlich ist. Dies entspricht rund 140 Millionen Franken pro Jahr. Bis heute fehlten flächendeckende Grundlagen, um Gebäude und Infrastruktur präventiv vor Oberflächenabfluss zu schützen und damit die möglichen Schäden zu begrenzen.

Auch wenn einzelne Kantone über Karten verfügen, die die Gefahrenherde sowie die Fliessrichtung von Oberflächenwasser darstellen, fehlte bislang eine nationale Beurteilung des Oberflächenabflusses. Kantone, Gemeinden und Versicherungen zeigen grosses Interesse an solchen Informationen, insbesondere weil sie als Grundlage für Objekt- und Flächenschutzmassnahmen dienen. Die neue Gefährdungskarte Oberflächenabfluss trägt dem nun Rechnung.

Alfred Eggg

Alfred Egg, Präsident des Ausschusses Schaden beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV: «Gegen die Risiken von Oberflächenabfluss sind wir in der Schweiz mit der neuen Gefährdungskarte bestens gerüstet. Hinzu kommt, dass wir uns durch die Elementarschaden-Versicherung gegen die Folgen von Oberflächenabfluss gut absichern können und damit über ein weltweit einzigartiges Modell verfügen.»

Dölf Käppeli

Dölf Käppeli, Direktor Gebäudeversicherung Luzern GVL / PLANAT: «Die neue Gefährdungskarte Oberflächenabfluss ist eine Dienstleistung für die Allgemeinheit. Die Gefahr durch Oberflächenwasser wird ersichtlich und bildet eine fundierte Grundlage für gezielte Objektschutzmassen an Gebäuden. Oft können mit kleinen baulichen Massnahmen teure Schäden verhindert werden.»

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Letzte Änderung 21.01.2020

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