Seit über 150 Jahren werden in der Schweiz Flüsse vermessen und Querprofile erstellt. Neue Techniken ermöglichen heute auch flächenhafte Vermessungen. Damit liefern sie eine wichtige Grundlage für die Gefahrenbeurteilung sowie für Planungen von Massnahmen zu Hochwasserschutz und Revitalisierung.
Text: Nicolas Gattlen
Am 22. März 2018 kreist eine Cessna des Typs «Turbo Stationair» im Luftraum bei Brugg (AG) auffallend langsam und auf konstanter Höhe rund 700 Meter über dem Boden. Das Kleinflugzeug ist auf einer besonderen Mission: Es vermisst mit einem Laserscanner den Uferbereich der Aare zwischen Brugg und dem flussabwärts gelegenen Vogelsang und
nimmt gleichzeitig Luftbilder auf. Dazu ist die Cessna leicht modifiziert und mit speziellen Navigationsinstrumenten ausgerüstet.
Eigentlich hätte das Flugzeug bereits einige Wochen früher über dem «Wasserschloss der Schweiz» unterwegs sein sollen. Denn damals waren die Wasserstände etwa einen Meter tiefer, und grössere Teile des Ufers lagen offen. Doch das schlechte Wetter machte den Vermessern einen Strich durch die Rechnung. Nun müssen sie zusätzliche Erhebungen vornehmen, um eine vollständige Aufnahme der Aare auf dem 4,7 Kilometer langen Abschnitt erstellen zu können. Während die Datenerhebung aus dem Flugzeug die Uferzone abdeckt, erfassen die für später geplanten Fächerecholot-Messungen von einem Boot aus den Bereich unter Wasser. Dazwischen wird jedoch eine Lücke klaffen, weil das Boot nicht nahe genug am Ufer fahren kann. Deshalb werden Fachleute die Tiefen in diesem Grenzbereich mit terrestrischen Methoden wie dem Theodolit mit elektronischer Distanzmessung ermitteln.
Dank der Kombination dieser Verfahren können die Ingenieure schliesslich eine umfassende Topografie des Flusses erstellen, die bei herkömmlichen Querprofilmessungen eine sehr grosse Anzahl Profile in engen räumlichen Abständen erfordern würde. Dies ist jedoch nicht mehr wirtschaftlich, denn bei solchen Aufnahmen beschränkt man sich auf Querschnitte, die meist im Abstand von etwa 200 Metern erhoben werden.
Einst mit Messdraht und Messlatte
Bereits 1868 begannen die Behörden in der Schweiz mit der systematischen Vermessung grösserer Fliessgewässer. Damals wurde noch mit Messdraht und Messlatte gearbeitet. Im frühen 20. Jahrhundert bestand für die Aufnahme der Querprofile eine eigens dafür zusammengestellte Arbeitsequipe. Inzwischen hat sich vieles verändert: Einerseits erfolgt die Vermessung heute im Auftrag des BAFU durch spezialisierte Büros, andererseits stehen den Vermessern moderne technische Hilfsmittel – wie Tachymeter, Echolot oder satellitengestützte Verfahren – zur Verfügung.
Wozu aber vermessen wir unsere Flüsse? «Im Vordergrund steht die Sicherheit der Menschen und ihrer Güter», erklärt Bertrand Jeanguenat von der Sektion Risikomanagement beim BAFU. Schon vor langer Zeit war man sich bewusst, dass die Gewässer natürlichen Veränderungen unterliegen. Angesichts der grossen Flusskorrektionen im 18. und 19. Jahrhundert war zudem klar, dass solche Eingriffe die Morphologie oder Struktur der Fliessgewässer stark umgestalten. Diese Veränderungen waren gewollt, und so wurde auch versucht, sie mit den damaligen Möglichkeiten abzuschätzen. Doch weil das Wissen und damit die Güte der Vorhersagen begrenzt waren, ging man dazu über, die Auswirkungen systematisch zu beobachten. Das «Monitoring» sei also keine neue Erfindung, sagt Bertrand Jeanguenat. Es zeuge vielmehr von der Verantwortung und Sorgfalt, die bereits frühere Generationen an den Tag legten.
Berechnungsmodelle verbessern
Mithilfe der Vermessungsdaten lassen sich auch die morphologischen und hydrologischen Vorgänge besser verstehen. Was passiert, wenn ein Flussufer verbaut wird? Wie verändert sich die Sohle bei Hochwasser oder bei Wasserentnahmen? Die Wissenschaft nutzt solche Daten, um ihre Berechnungsmodelle stetig zu optimieren. Deren Nutzen ist vielfältig: Sie dienen zu kurzfristigen Hochwasserprognosen, zur Erstellung von Gefahrenkarten, zur Planung von Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekten oder zu Langzeitvorhersagen bezüglich der Auswirkungen von grösseren Bauvorhaben.
Zuständig für den Hochwasserschutz und für Revitalisierungen sind die Kantone. Somit obliegt ihnen auch die Überwachung der Gewässer. Der Bund unterstützt sie aber dort, wo ein gesamtschweizerisches Interesse besteht, etwa bei grossen Flüssen, die mehrere Kantone durchqueren, oder bei internationalen Fliessgewässern. Dabei erfolgt die Vermessung in der Regel alle zehn Jahre oder nach bedeutenden morphologischen Veränderungen. «In den Flüssen gibt es auch kurzfristige Veränderungen, die etwa ein einziges, starkes Hochwasser verursachen können», erklärt Bertrand Jeanguenat. «Daneben aber finden sehr langsame Veränderungen statt wie Eintiefungen um wenige Millimeter pro Jahr. Vor allem diese Vorgänge bedingen eine Beobachtung über ausgedehnte Zeiträume.»
Langsame Veränderungen
Dank solcher Zeitreihen lassen sich morphologische Entwicklungen wie Auflandungen oder Eintiefungen erkennen. Dadurch ist es möglich, deren Auswirkungen auf die Stabilität von wasserbaulichen Schutzbauten oder auf die Abflusskapazität zu beurteilen. Sie dienen zudem als Basis für die Berechnung der Geschiebefrachten. So kann beispielsweise eine Eintiefung der Sohle darauf hindeuten, dass sich weniger Kies und Steine über die Gewässersohle bewegen – etwa als Folge fehlender Materialzufuhr. Eine solche Entwicklung vermag die Lebensräume von Tieren und Pflanzen zu beeinträchtigen. Anhand der Sohlenhöhe des Gerinnes lässt sich zudem beurteilen, ob und wie sich der Grundwasserspiegel ändert. In Feuchtgebieten kann eine zunehmende Eintiefung eine Aue komplett vom Gewässersystem abkoppeln.
Langzeitdaten sind also in vielerlei Hinsicht nützlich. Allerdings erfordern sie strategisches Kalkül: «Bei Beobachtungen über so lange Zeiträume besteht eine grosse Herausforderung darin, die über Epochen hinweg erhobenen und aufbereiteten Daten miteinander vergleichen zu können», erklärt Bertrand Jeanguenat. Dies sei gar nicht so einfach, weil sich immer wieder neue Techniken und Methoden aufdrängten. Dazu zählen beispielsweise das jüngst in Brugg eingesetzte Laserscanning und das Multibeam-Fächerecholot, ein Gerät zur elektroakustischen Messung von Wassertiefen mittels Schallwellen. Sie generieren eine riesige Fülle an Daten – wobei «mehr» nicht zwingend «besser» ist. «Für die meisten Fragestellungen reicht auch heute noch eine Information alle 200 Meter», sagt Bertrand Jeanguenat. Sinnvoll sei eine flächenhafte Vermessung, wenn eine hohe räumliche Information nötig sei, sofern sie kostengünstiger ausfalle, oder wenn aus technischen Gründen nur diese Methode brauchbare Daten liefern könne – so zum Beispiel in Flüssen mit permanent grösseren Wassertiefen.
Drohnen, ferngesteuerte Boote
Die Datenerfassung in Brugg war eine Art Testlauf. Sie dient der Absicherung von neu erarbeiteten technischen Standards für die Vermessung von Fliessgewässern. Bewähren sich diese, lässt sich das Verfahren auch an ähnlichen Flüssen anwenden. Allerdings sind solche Messungen anspruchsvoll, und der Markt dafür ist relativ klein. Deshalb besteht nur ein begrenztes Angebot für Aufnahmen mittels Laserscanning per Flugzeug und Multibeam-Fächerecholot. So mussten die mit der Messung in Brugg betrauten Fachleute das eingesetzte Boot – mit fest montierten und präzise geeichten Instrumenten – eigens aus Holland besorgen (siehe Bild S. 49). Teilweise werden für solche Messungen auch Drohnen und ferngesteuerte Boote genutzt.
Im Auge behält die zuständige BAFU-Sektion auch neue Laserscanverfahren wie das sogenannte Bathymetrische Lidar. Dabei wird neben dem herkömmlichen Infrarotlaser ein «grüner Laser» verwendet, der das Wasser bis auf die ungefähr eineinhalbfache Sichttiefe durchdringen kann. Allerdings reduzieren Trübungen und Lufteinschlüsse die Eindringtiefe, weshalb dieser Technik in den relativ turbulenten alpinen Gewässern Grenzen gesetzt sind. «Technische Innovationen können sehr nützlich sein», sagt Bertrand Jeanguenat, «genauso wichtig aber ist ein effizientes Management der Daten, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte anfallen.» Da bewähre sich oft der Grundsatz «keep it simple».
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Letzte Änderung 04.09.2019