Prävention: Regeln für stabile Dämme

Vor Steinschlägen schützen Dämme in der Regel am besten. Doch bei ihrer richtigen Bemessung gab es bisher Unsicherheiten. Eine vom BAFU in Auftrag gegebene Studie schafft Klarheit.

Text: Peter Bader

Steinschlag
Bei einem Steinschlag am Gelmersee bei Guttannen (BE) wurden am 20. August 2017 sechs Personen verletzt.
© Fritz Liechti

Nur mit Glück wurde niemand verletzt oder getötet. Einzelne Blöcke kamen erst im Siedlungsgebiet zum Stillstand. Für die Rhätische Bahn (RhB) war es trotzdem ein Unglück zur Unzeit: Am 14. Dezember 2008 beschädigten Steinschläge die Strecke zwischen Poschiavo (GR) und Tirano (I) oberhalb des Kreisviadukts bei Brusio (GR) auf einer Länge von rund 250 Metern. Mitten in der Hochsaison wurde damit der Bernina-Express, eine Paradelinie der RhB, auf halbem Weg beschnitten. Die Strecke blieb für rund 3 Monate gesperrt.

Zusammen mit dem Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden erarbeitete das Bahnunternehmen ein Massnahmenkonzept und setzte dieses um. Kostenpunkt: knapp 4 Millionen Franken allein für die baulichen Massnahmen. Unter anderem wurde das Bahntrassee im gefährdeten Sektor auf einer Länge von rund 200 Metern um 15 Meter talwärts versetzt. Es sollte fortan auch als Steinschlagschutzdamm dienen. Dieser bewährte sich beim nächsten grossen Schadenereignis: 2013 donnerten 20 000 Kubikmeter Gestein zu Tal, der Schutzdamm hielt stand.

Schutzdämme bieten Vorteile

Naturgefahren sind in der Schweiz allgegenwärtig. Zum Schutz vor ihnen schüttet der Bund jährlich 220 Millionen Franken Subventionen an die Kantone aus. Allein für den Bau von Schutzvorrichtungen gegen Lawinen, Rutschungen und Steinschlag sind es 34 Millionen. Zum Schutz vor Steinschlag kommen in den Transit- und Ablagerungsbereichen vor allem zwei Techniken zum Einsatz: Stahlnetze und Schutzdämme. Netze werden vornehmlich installiert, wenn für den Bau von Schutzdämmen die Hänge zu steil oder die Platzverhältnisse beim Auslaufen der Steine in der Fläche zu knapp sind. Die Gefahr, dass Blöcke den Damm überrollen,
ist dann zu gross.

Grundsätzlich aber überwiegen bei Schutzdämmen die Vorteile gegenüber den Netzen. Bei entsprechendem Bewuchs fügen sie sich gut ins Landschaftsbild ein und sind deutlich billiger im Unterhalt. Netze müssen nach einem Schadenereignis meist repariert oder Teile davon ersetzt werden. Bei den Steinschlagschutzdämmen ist lediglich von Zeit zu Zeit der Auffangraum mit Baggern zu leeren. Vor allem sind Dämme in der Lage, grössere Energien und Volumen aufzufangen: «Nach heutigem Stand der Technik können Netze Energien von bis zu 8000 Kilojoule aufnehmen», sagt Bernard Loup von der Abteilung Gefahrenprävention beim BAFU. «1000 Kilojoule entsprechen der Energie eines 5-Tonnen-Blocks, der aus einer Höhe von 20 Metern frei herunterfällt.» Blöcke, die mit höheren Energien zu Tal stürzen, lassen sich nur von Dämmen aufhalten – allenfalls verstärkt durch vorgelagerte Mauern oder Bewehrungen innerhalb der Erdfüllungen mit sogenannten Geogittern aus Stahl, Naturfasern oder Biokunststoffen.

Untersuchung gefährdeter Hänge

Vor dem Bau von Schutzmassnahmen werden gefährdete Hänge genaustens untersucht. Dabei geht es um die Fragen, wie gross die Wahrscheinlichkeit eines Sturzereignisses ist, wie gross die Gesteinsblöcke sind, die sich lösen könnten, und welche Form sie aufweisen. Per Computersimulation werden dann mögliche Fallkurven von Steinschlägen und entsprechende Sprunghöhen und Aufprallenergien errechnet. Die Frage, wie die Dämme aufgrund der zu erwartenden Einwirkungen zu gestalten und zu bemessen sind, war bis jetzt allerdings mit vielen Unsicherheiten behaftet und wurde in den Kantonen unterschiedlich gehandhabt. Dies will das BAFU ändern. Deshalb gab es bei der Hochschule Luzern (HSLU) und dem nationalen Forschungsinstitut Irstea in Grenoble (F), das unter anderem auf die Erforschung von Naturgefahren spezialisiert ist, eine Studie in Auftrag.

Deren zentrale Fragestellungen lauteten: Wie verhalten sich Schutzdämme beim Einschlag? Welchen Einfluss haben Mehrfachtreffer? Welchen Einfluss hat die Geometrie der Dämme auf die Gefahr des Überrollens von Gesteinsblöcken? Und welche Rolle spielt die Rotationsenergie der Blöcke?

Steinschlagschutzdammi n Soazza (GR)
Steinschlagschutzdamm in Soazza (GR)
© Stéphane Lambert

Aus dem Labor, für die Praxis

Mittels Befragungen bei den Kantonen und Ingenieurbüros hat man einen Überblick über die bis anhin angewandten Methoden erstellt. Zusätzlich führte die Hochschule Luzern halb- und kleinmassstäbliche Laborversuche durch. «Wir wollen den verantwortlichen kantonalen Behörden und beauftragten Ingenieurbüros die notwendigen Grundlagen liefern, um die Steinschlagschutzdämme sicherer zu machen und die Praxis schweizweit zu harmonisieren», bemerkt Bernard Loup vom BAFU.

«Mit den Ergebnissen der Studie sind wir sehr zufrieden.» Auch Bernd Kister, Leiter der Studie, sieht darin einen «guten Zwischenschritt». Es sei schwierig, möglichst realistische Steinschläge zu simulieren, sagt der heute freischaffende Geotechniker, denn es gebe kaum Alternativen zu Laborversuchen. «Wir können ja nicht einfach Steine den Berg hinabrollen lassen und hoffen, dass sie einen Damm auch treffen.»

Für die Laborversuche verwendete das Team kugel- und zylinderförmige Betonblöcke. Die Untersuchungen förderten für die Praxis wichtige Resultate zutage. Um ein Überrollen des Damms mit grosser Wahrscheinlichkeit zu verhindern, sollte sein bergseitiger Winkel mindestens 60 Grad betragen. Die obere Breite eines trapezförmigen Damms, die «Krone», muss dabei mindestens 1,2-mal so lang sein wie der Durchmesser der zu erwartenden Gesteinsblöcke. Der Höhenunterschied zwischen dem Aufprallort der Steine und der Krone sowie die Dammstärke an der Aufprallhöhe ergeben sich ebenfalls aus dem Gesteinsdurchmesser.

Das BAFU will die Erkenntnisse der Studie bis im Frühjahr 2018 in einem Merkblatt festhalten. Darauf wartet auch der Kanton Graubünden gespannt. «Problematisch ist nicht nur, dass man Schutzdämme zu klein dimensioniert», sagt Lorenz Mengelt vom kantonalen Amt für Wald und Naturgefahren. «Es ist auch nicht sinnvoll, sie zu gross zu bauen. Deshalb ist ein solches Merkblatt sehr hilfreich.»

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Letzte Änderung 25.04.2018

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