Umweltstrafrecht: «Entscheidend sind der Wille und das Know-how der Strafverfolgenden»

Genügt das Umweltstrafrecht den heutigen Ansprüchen? Werden Straftaten mit der nötigen Härte verfolgt? Wer kann Beschwerde gegen einen Strafentscheid einlegen? Florian Wild, Leiter der Abteilung Recht beim BAFU, erklärt die Stärken und Schwächen des Umweltstrafrechts und des Strafvollzugs.

Interview: Nicolas Gattlen

Florian Wild
«Bei einigen Strafbestimmungen sind Anpassungen erforderlich», Florian Wild, Abteilungschef Recht beim BAFU.
© Ephraim Bieri/Ex-Press/BAFU

Herr Wild, welche Bedeutung kommt dem Strafrecht beim Vollzug des Umweltrechts zu? Geht es in erster Linie um Abschreckung?
Florian Wild: Die präventive Wirkung steht sicher im Vordergrund. Gleichzeitig setzt das Strafrecht wichtige Rahmenbedingungen für den Vollzug des Umweltrechts. Es unterstützt die Arbeit der Umweltbehörden, indem es klare Regeln setzt. Wer diese missachtet, kann strafrechtlich belangt werden.

Die allermeisten Strafbestimmungen finden sich als Anhängsel in den Umweltgesetzen. Die abschreckende Wirkung, aber auch das Engagement der Strafverfolger wäre wohl höher, wenn sie im Hauptstrafrecht, dem Strafgesetzbuch (StGB), untergebracht wären.
Ich denke nicht, dass das Umweltstrafrecht dann besser angewendet würde. Entscheidend sind der Wille und das Know-how der Strafverfolgenden.

Eine vom BAFU in Auftrag gegebene Studie kommt zum Schluss, dass die Strafbestimmungen in den zehn Umweltgesetzen nicht überall kongruent sind. Das Umweltschutzgesetz (USG) etwa ahndet Vergehen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, während das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) bloss eine Freiheitsstrafe von maximal einem Jahr vorsieht. Genügen solche Sanktionen den aktuellen Ansprüchen?
Die Umweltgesetzgebung ist über mehrere Jahrzehnte gewachsen. Die Gesetze spiegeln den jeweiligen Zeitgeist. Bei einigen Strafbestimmungen, beispielsweise bei denen im NHG, sind aus unserer Sicht Anpassungen erforderlich. Überhaupt setzen wir uns dafür ein, dass bei Gesetzesrevisionen auch ein Update der Straftatbestände erfolgt.

Im internationalen Vergleich gibt sich das Schweizer Umweltstrafrecht eher zahm. Deutschland, Frankreich und Österreich etwa führen im Umweltbereich deutlich mehr Verbrechenstatbestände auf, insbesondere bei Beeinträchtigungen von Schutzgebieten, Boden, Luft und Wasser, die das Leben und die Gesundheit von Menschen gefährden. Müsste die Schweiz hier nachlegen?
Das ist sicher prüfenswert. In der Schweiz sind nur die gemeingefährliche Trinkwasserverschmutzung und die gefährdende Freisetzung von genetisch veränderten oder pathogenen Organismen als Verbrechenstatbestände im Strafgesetzbuch aufgeführt. Warum sollte die gemeingefährliche Beeinträchtigung des Bodens, der Luft und der Schutzgebiete völlig anders bewertet werden? Mit der vom Parlament gutgeheissenen Motion Barazzone steht nun die Verschärfung eines Straftatbestandes an. Die Motion fordert, dass der illegale Handel mit bedrohten Arten neu als Verbrechen eingestuft wird.

Das Strafgesetzbuch führt als mögliche Sanktion auch den Gewinneinzug auf. Wenn beispielsweise ein Unternehmen Kosten einspart, indem es Abfälle illegal ablagert, kann ihm der daraus hervorgegangene Gewinn entzogen werden. Nutzen die Strafbehörden dieses potente Mittel?
Ja, es wird zunehmend eingesetzt. Schwieriger anzuwenden ist hingegen das Unternehmensstrafrecht. Dieses wurde nach dem Grossbrand von Schweizerhalle bei Basel eingeführt und soll die Strafverfolgung erleichtern, indem nicht mehr nur ein einzelner, oft schwierig zu eruierender Täter, sondern eine ganze Unternehmung für ein Delikt verantwortlich gemacht und sanktioniert werden kann. Bei Umweltdelikten muss in der Anklage jedoch bewiesen werden, dass die Unternehmung mangelhaft organisiert ist. Nur so lässt sich das Unternehmen mit Bussen von bis zu 5 Millionen Franken zur Rechenschaft ziehen. In anderen Bereichen wie etwa der Geldwäscherei ist dieser schwierig zu erbringende Beweis nicht nötig, es genügt der Vorwurf.

Eine Erleichterung dürfte der neue Ordnungsbussenkatalog bringen. Der Bundesrat will 23 Tatbestände aus dem Umweltbereich in dieses Verfahren aufnehmen. So wird künftig mit einer Busse von 100 Franken bestraft, wer geschützte Pflanzen pflückt oder die Leinenpflicht in einem Jagdbanngebiet missachtet. Was versprechen Sie sich davon?

Weil es bei klaren und einfachen Verstössen im Ordnungsbussenverfahren weder eine Anzeige noch eine Strafermittlung braucht, können die Fälle rascher und effizienter abgewickelt werden. Dadurch dürften auch mehr Übertretungen sanktioniert werden.

Sind die BAFU-Mitarbeitenden eigentlich verpflichtet, Anzeige zu erstatten, wenn sie ein Umweltdelikt feststellen?
Ja, sie sind verpflichtet, Verbrechens- und Vergehensatbestände anzuzeigen, die sie während der Arbeit feststellen. Auf Übertretungen können sie mit einer Anzeige reagieren, müssen aber nicht. Im Übrigen hat jede Person das Recht, Anzeige zu erstatten.

Das BAFU hat begonnen, die mitgeteilten Strafentscheide der Kantone im Bereich Umwelt auszuwerten. Lassen sich daraus bereits erste Schlüsse ziehen?
In den letzten Jahren wurden uns jeweils ungefähr 1000 Strafentscheide jährlich gemeldet. Der Grossteil betrifft Übertretungen, die mit Bussen unter 1000 Franken geahndet wurden. Die höchste im Auswertungszeitraum ausgesprochene Busse betrug 5000 Franken. Im Durchschnitt liegt die Bussenhöhe bei rund 500 Franken, was doch erstaunt, denn der Strafrahmen lässt beispielsweise im USG bis 20 000 Franken zu. Ausserdem stellen wir sowohl bei der Deliktrate pro Einwohner wie bei der Verurteilungsrate markante Unterschiede in den Kantonen fest. In einigen Kantonen werden vergleichsweise viele Fälle eingestellt oder gar nicht erst behandelt.

Das BAFU kann bei der Bundesstaatsanwaltschaft Beschwerde gegen Strafentscheide im Bereich des Umweltrechts einreichen. Wie oft greift es zu diesem Mittel?
Für das Einreichen der Beschwerde haben wir lediglich 10 Tage Zeit, weshalb wir vornehmlich dort intervenieren, wo eine Strafverfolgungsbehörde vergleichsweise viele Fälle nicht an die Hand nimmt oder einstellt. Das war beispielsweise bei nicht geahndetem Güllen auf Schnee der Fall. Es ist aber sicher nicht die Aufgabe des BAFU, jeden Entscheid einer Strafbehörde im Detail zu hinterfragen.

Näher am Geschehen sind die Umweltämter der Kantone. Können sie ebenfalls Beschwerde gegen Strafentscheide einlegen?
Jeder Kanton kann selber festlegen, ob und inwieweit das Umweltamt in einem Strafverfahren mitwirken kann. In einigen Kantonen wird den Ämtern das volle Parteirecht zugestanden. Sie haben unter anderem Akteneinsicht und können gegen eine Einstellung oder ein aus ihrer Sicht zu geringes Strafmass beim Obergericht Berufung einlegen. Wenn die Fachkompetenz der Umweltbehörden in die strafrechtlichen Verfahren einfliesst, kann dies die Qualität der Rechtsfindung und das Bewusstsein der Strafverfolgungsbehörden für das Umweltstrafrecht erhöhen.

In etlichen europäischen Ländern gibt es eigene Umweltstaatsanwaltschaften, die über viel Know-how und Erfahrung im Umweltstrafrecht verfügen. Wären solche Institutionen auch für die Schweiz wünschenswert?
Das Modell lässt sich kaum auf unser föderales System und die vielen kleinen Kantone übertragen. Der Strafvollzug könnte aber verbessert werden, wenn die Strafverfolgenden enger mit den Umwelt­ämtern zusammenarbeiteten. Sehr nützlich wären dafür bessere rechtliche Grundlagen für den Datenaustausch zwischen den Straf- und den Fachbehörden. Das BAFU sieht daher primären Handlungsbedarf bei der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Beteiligten der Strafverfolgung wie auch bei der Sensibilisierung von Fachleuten und der Öffentlichkeit.


Verbrechen, Vergehen, Übertretung

Das Strafrecht unterscheidet drei verschiedene Straftaten: Verbrechen, Vergehen und Übertretung. Da für jedes Delikt verschiedene Sanktionen vorgesehen sind, bestimmt die höchstmögliche Strafe eines Deliktes, ob es sich um ein Verbrechen, ein Vergehen oder eine Übertretung handelt.

Straftat Sanktionen   Beispiele
Verbrechen Höchststrafe Freiheitsstrafe über 3 Jahre Vorsätzliches Vergiften von Trinkwasser (Art. 234 StGB)
Vergehen Höchststrafe Freiheitsstrafe bis 3 Jahre
Unbewilligter Export von Sonderabfällen (Art. 60 Abs. 1 Bst. o USG)
  Weitere Strafen Geldstrafe Ersatzfreiheitsstrafe, gemeinnützige Arbeit  
Übertretung Höchststrafe Busse (z.B. bis CHF 20000.– im USG, GSchG, NHG) Pflücken von geschützten Pflanzen wie Orchideengewächse (Art. 24a NHG, Anhang 2 der Verordnung über den Natur- und Heimatschutz, NHV)
  Weitere Strafen

Ersatzfreiheitsstrafe, gemeinnützige Arbeit  
Quelle: BAFU

Weiterführende Informationen

Dokumente

Gutachten Umweltstrafrecht (PDF, 13 MB, 07.07.2017)Rechtsgutachten von Prof. Dr. Marianne Johanna Hilf und Prof. Dr. Hans Vest, Universität Bern, im Auftrag des BAFU

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Letzte Änderung 14.02.2018

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