Wasser ins Trockene bringen

Im Sommer trocknen Bachbetten aus, im Winter fällt immer weniger Schnee. Aber Bauern, Bergbahnbetreiber, Stromproduzenten und wir alle sind auf Wasser angewiesen. Diese Situation führt unweigerlich zu Konflikten. Wie lösen wir sie?

Text: Bettina Jakob

Buschwindröschen bei Trockenheit in einem Wald bei Bonstetten.
© Judith Grundmann/BAFU

Die Schweiz ächzte unter der Hitze, das Land trocknete aus. Im Sommer 2018 regnete es lange nicht, das Wasser wurde lokal wie schon 2003 und 2015 knapp: Gemeinden mahnten zum Wassersparen, Bauern durften kein Wasser mehr aus den Flüssen pumpen, Wasserkraftwerke mussten die Leistung drosseln. Ein Sommer als Vorbote. «Nutzungskonflikte ums Wasser werden in Zukunft zunehmen», sagt Michael Schärer von der Sektion Gewässerschutz beim BAFU. Klimaszenarien des National Centre for Climate Services (NCCS) erwarten in der Schweiz bis 2100 nämlich deutlich zunehmende Temperaturen, gerade im Sommer. Auch Hitzewellen sollen häufiger auftreten, und abnehmende Niederschläge sowie steigende Verdunstung werden laut dem Projekt Hydro-CH2018 zu trockeneren Böden führen.

Woher das Wasser nehmen?

Bedrohliche Aussichten für die Landwirtschaft. Für sie reicht heute normalerweise ausser bei Gemüse und Obst der Regen. Bleibt er aus, muss Wasser her, was zu Konflikten führt, wie ein Blick in den Kanton Thurgau im Sommer 2018 beispielhaft zeigt. Die Kulturen darbten, aber Wasser aus Flüssen und Bächen zu entnehmen, war wegen der gesetzlich festgelegten Restwassermenge verboten: Zum Schutze der Fische, denn auch die Gewässer waren nur noch Rinnsale. «In ihrer Verzweiflung zapften die Bauern Hydranten an und drehten den Wasserhahn auf», erzählt Heinz Ehmann, Leiter der Abteilung Gewässerqualität und -nutzung im Amt für Umwelt des Kantons Thurgau. Das wiederum habe zu Problemen bei den Wasserversorgern geführt, Trinkwasser sei ja in erster Linie zum Trinken da. Hätten Bauern keinen Zugang zu einem Gewässer oder dürften sie daraus kein Wasser entnehmen, stünden sie vor der Wahl, «entweder das öffentliche Netz zu benutzen oder beträchtlichen Schaden bei den Kulturen in Kauf zu nehmen», schreibt der Schweizer Bauernverband 2019 in einem Umfragebericht zur Dürreproblematik.

Um Konflikte wegen halbleerer Wasserreservoirs zu vermeiden, hat das Amt für Umwelt des Kantons Thurgau eine Checkliste erarbeitet. Sie soll den Wasserversorgern helfen, bei Trockenheit besser zu reagieren, wenn die Landwirtschaft Wasser braucht. Es wird etwa geraten, Zähler bei Hydranten zu installieren und den Wasserbezug vertraglich festzusetzen. 

Wasserressourcen gut planen

«Weiss man, wer wo wie viel Wasser braucht, kann man es sinnvoller verteilen», sagt Michael Schärer vom BAFU. Mit dem Klimawandel gerät die öffentliche Wasserversorgung nämlich unter Druck: Sie wird zu 80 Prozent aus dem Grundwasser gespeist. Da es im Sommer künftig weniger regnen wird und die Mittelland-Flüsse weniger Wasser führen, sinken die Grundwasserpegel. Zudem werden immer mehr Siedlungen und Strassen gebaut, die Landwirtschaft wird intensiver – und dadurch wird das Grundwasser häufiger durch Krankheitserreger, aber auch durch Nitrat und Metaboliten von Pflanzenschutzmitteln verunreinigt. Ist eine Grundwasserfassung nicht mehr genügend gesichert oder die Wasserqualität nicht mehr garantiert, muss sie aufgegeben werden. Die Konsequenz: Es hat nicht nur weniger Wasser, es kann auch nicht mehr überall darauf zugegriffen werden, was Konflikte verschärft. 

Die Lösung? «Schutzzonen für das Grundwasser durchsetzen, konsequent gegen Verunreinigungen vorgehen und die Wasserversorgungen vernetzen, am besten mit regionalen Wasserressourcen­planungen», empfiehlt BAFU-Experte Michael Schärer. «Da Wasser künftig regional und saisonal begrenzt sein wird, sind Angebot und Nachfrage einer Region gesamthaft zu erfassen, um das Wasser nicht zu übernutzen.» Viele Kantone packten nun Planungen an. Wichtig dabei: alle Nutzer einbeziehen, um Auseinandersetzungen vorzubeugen. «Partizipation und Kommunikation fördern das gegenseitige Verständnis», so Michael Schärer.

Kommunikation ist darum auch im Thurgau ein wichtiger Punkt auf der Checkliste für trockene Sommer: «Man muss die Bauern verstehen, die ihre welken Kulturen wässern. Aber auch die Landwirte müssen einsehen, dass es nicht unendlich Wasser gibt», so Heinz Ehmann vom Amt für Umwelt. Für die effiziente Bewässerung empfehlen Experten des Projekts Hydro-CH2018 etwa Bodenfeuchtemessungen und ge­eignete Bewässerungssysteme wie die Tröpfchenbewässerung. Ein guter Ansatz, so auch der Bericht des Schweizer Bauernverbands, «aber aufwendig und kostenintensiv» und «für grosse Flächen vielmals noch zu teuer».

Vielleicht ist Wasser auch gar nicht immer die Lösung: Ein Projekt der Forschungsanstalt Agroscope im Seeland zeigt, dass sich heute bei vielen Kulturen, etwa Kartoffeln, die Bewässerung finanziell nicht lohne. Problematischer als die Trockenheit sei der Temperaturanstieg. Der Rat der Autoren lautet: die Wahl der Sorten und Kulturen dem Klima anpassen.

Landwirtschaft vs. Naturschutz

Auf der Suche nach Wasser geraten sich auch Landwirtschaft und Naturschutz oft in die Haare: Vielerorts sind etwa Bewässerungssysteme angedacht, die aus Seen, Flüssen oder Speicherseen rettendes Nass auf die Felder bringen. Der Verein «Zukunft Drei Seen Land» zum Beispiel möchte in der Gemüsekammer der Schweiz den Boden meliorieren und Wasser aus dem Bieler-, dem Neuenburger- und dem Murtensee herleiten; das heutige Kanalsystem stosse bei Trockenheit an seine Grenzen. Naturschützende hingegen wollen zur Förderung der Artenvielfalt mit demselben Wasser Gebiete vernässen: «Davon könnten etwa der Kiebitz, der Laubfrosch oder die Schwanenblume profitieren», schreibt Pro Natura in ihrem Magazin. Lösung des Konflikts: Keine, er hat erst begonnen.

Wasserkraft vs. Gewässerschutz

Trockene Sommer befeuern auch den Konflikt zwischen Wasserkraft und Gewässerschutz. Für die Stromproduktion entnehmen Wasserkraftwerke den Flüssen Wasser. Sie müssen dabei Restwasser im Fluss belassen, damit die Gewässerökologie intakt bleibt. «Diese Restwassermengen sind gerade im Hinblick auf den Klimawandel von grosser Bedeutung», sagt Lucie Lundsgaard-Hansen von derSektion Sanierung Wasserkraft beim BAFU. Denn viele Gewässer stünden im Sommer bereits heute unter Druck, und der steige, wenn es in Zukunft heisser werde und weniger regne. «Umso dringlicher ist es, angemessene Restwassermengen zu bestimmen», sagt Lucie Lundsgaard-Hansen im Hinblick auf die Konzessionen für zahlreiche Wasserwerke, die zwischen 2030 und 2050 erneuert werden. Wichtig dabei: Für Wasserentnahmen, die vor 1992 bewilligt wurden, tritt die Regelung ums Restwasser erst mit der erneuerten Konzession in Kraft.

Das kann für die Wasserkraftwerke einschneidend sein: Je mehr Restwasser in den Flüssen ist, desto weniger Energie wird produziert. Noch weniger, denn die Abflussmengen der Flüsse werden künftig zeitweise niedriger sein als heute. Der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV) fordert deshalb in einer eigenen Studie zu den Restwasserbestimmungen 2018, «die gesetzlichen Mindest-restwassermengen vernünftig zu interpretieren, ohne zusätzliche Erhöhungen». Eine strenge Auslegung würde der Energiestrategie 2050 widersprechen. 

Darin zeigt sich ein politischer Konflikt: Die Schweiz setzt mit der Energiestrategie 2050 auf nachhaltige und klimafreundliche Ressourcen, also auch auf Wasserkraft. Gleichzeitig sollen gemäss Biodiversitätsstrategie des Bundes auch die Gewässerökologisch gestärkt werden, um sich an den Klimawandel anpassen zu können. «Schutz und Nutz-interessen müssen in jedem Fall gut abgewogen werden», betont Lucie Lundsgaard-Hansen.

Trinkwasser auf der Skipiste

Nicht nur im Sommer wird Wasser fehlen, sondern auch als Schnee für den Wintersport. Bereits 2016 wurde fast die Hälfte der Pisten in der Schweiz künstlich beschneit, mit der steigenden Schneefallgrenze werden es schnell mehr. Während zum Beispiel im Wallis Crans-Montana und Saas-Fee die Pisten mit Wasser aus Wasserkraftstauseen beschneien können, ist etwa in inneralpinen Trockentälern wie dem Engadin Wasser rar. Als Alternative wurden Speicherseen gebaut, etwa in St. Moritz, Scuol, Samnaun oder Arosa. Nichtsdestotrotz: Vielerorts wird lokales Trinkwasser zur Kunstschneeproduktion eingesetzt. Schnell kommt es zum Wasserkonflikt: Sind an Spitzentagen im Skiort die Hotels voll, wird das Wasser auch dort gebraucht und nicht nur am Skihang und von den Einheimischen. 

«Es gilt, für die Beschneiung klare Ziele und Obergrenzen zu definieren, um das lokale Wasser nicht zu übernutzen», mahnt deshalb Klaus Lanz vom unabhängigen Forschungs- und Beratungsinstitut International Water Affairs; er hat die Beschneiung im Engadin unter die Lupe genommen und am Abschlussbericht des Projekts Hydro-CH2018 mitgeschrieben. Der Experte rät den Gemeinden, Wasserversorgern und Bergbahnen eindringlich, «Daten dazu zu erheben, wie viel Wasser vorhanden ist und wie viel benötigt wird», denn diese fehlten meistens. Nur so könne man allen Ansprüchen gerecht werden. «Gefragt ist nichts anderes als eine regionale Wasserressourcenplanung», so Klaus Lanz. Genau wie sie auch Michael Schärer vom BAFU fordert.

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Letzte Änderung 25.11.2020

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