7.9.2020 - Die Umwelt ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit aller Lebewesen. Unter dem Motto «Clean Air for Blue Skies» (Saubere Luft für blaue Himmel) wird am 7. September weltweit auf die wichtige Rolle sauberer Luft aufmerksam gemacht. Die Schweiz beteiligt sich an dieser Initiative der Vereinigten Nationen.
Die Luft, die wir atmen – jeder Mensch atmet davon täglich 15’000 Liter – ist lebenswichtig. Leider enthält sie auch Schadstoffe aus Verkehr, Industrie, Gewerbebetrieben, Haushalt, Feuerungsanlagen, Bauprodukten sowie Tabakrauch. Diese Luftschadstoffe, die durch Nase, Rachen und Luftröhre in unsere Lunge gelangen, können Asthma, chronischen Husten, Bronchitis oder andere Erkrankungen der Atemwege sowie der Lunge einschliesslich Lungenkrebs hervorrufen. Sie bewirken aber auch eine Verkürzung der Lebenserwartung aufgrund von Herz-Kreislauferkrankungen die nachweislich die Gesundheit gefährden.
Am 19. Dezember 2019 hat die Generalversammlung der Vereinigten Nationen den 7. September 2020 zum ersten internationalen Tag für «Saubere Luft für blaue Himmel» erklärt. Ziel des Tages ist es, der Bevölkerung die Bedeutung einer guten Luftqualität aufzuzeigen und bewusst zu machen. Denn nach Schätzungen der WHO sind fast 20% aller Todesfälle in Europa auf schädliche Umweltbedingungen zurückzuführen. Luftschadstoffe wie Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon sowie die Lärmbelastung und sommerliche Hitzebelastungen beeinträchtigen das Wohlbefinden, führen zu Krankheiten und zu frühzeitigen Todesfällen. Die Luftverschmutzung ist dabei der wichtigste Umweltrisikofaktor. Besonders betroffen von der Luftverschmutzung sind ältere Menschen, Kinder, und Kranke. Die wichtigste und wirksamste Massnahme zur Bekämpfung luftbedingter Krankheiten ist die nachhaltige Verbesserung der Luftqualität durch Verminderung der Emissionen.
Zu diesem Thema hat die durch das BAFU finanzierte und am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut angesiedelte Dokumentationsstelle für Luft und Gesundheit LUDOK gemeinsam mit weiteren Trägerorganisationen wie der Krebsliga, der Lunge Zürich und der kantonalen Behörden für Luftreinhaltung die Gesundheitsfolgen der wichtigsten Schadstoffe in der Aussenluft zusammengetragen und in einer interaktiven Grafik aufbereitet.
Zusätzlich informieren die kostenlosen Smartphone-Apps airCHeck und MeteoSchweiz über die gesundheitlichen Auswirkungen und machen darauf aufmerksam, was bei erhöhter Luftbelastung zu beachten ist.
Für Schülerinnen und Schüler hat das BAFU, gemeinsam mit Partnerorganisationen, das Luftlabor entwickelt: Jugendliche der Sekundarstufe I lernen dank einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Luft, was Luftqualität ausmacht und wie diese aktiv beeinflusst werden kann.
Die Ziele der Schweizerischen Luftreinhaltung sind die Gewährleistung von sauberer und gesunder Luft für die Bevölkerung und die Vermeidung von schädlichen Effekten auf die Ökosysteme. Die Luftschadstoffbelastung in der Schweiz konnte dank der Einführung verschiedener Luftreinhaltemassnahmen in den letzten 30 Jahren wesentlich verringert werden und ist im internationalen Vergleich mit ähnlich dicht besiedelten Gebieten gut.
Zum Schutz von Mensch und Umwelt werden Immissionsgrenzwerte gesetzt. Diese sind besonders auch bei jenen Schadstoffen wichtig, welche nicht direkt emittiert, sondern erst sekundär in der Luft aus anderen Schadstoffen gebildet werden – zum Beispiel Ozon. Die Grenzwerte basieren in der Schweiz auf den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Diese beruhen auf der Gesamtheit der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse über schädliche Effekte und berücksichtigen auch sensible Bevölkerungsgruppen wie Kinder, ältere Personen oder Kranke.
Für viele Schadstoffe und an vielen Orten in der Schweiz werden die Immissionsgrenzwerte heute eingehalten. Auch Schadstoffe, für die bisher keine Grenzwerte festgelegt wurden, insbesondere die ultrafeinen Partikel und der krebserregende Russ, nehmen dank nachhaltiger Luftreinhaltepolitik seit Jahren stark ab.
Die Immissionsgrenzwerte werden beim Feinstaub PM10 aber noch immer an einzelnen Tagen und beim Stickstoffdioxid an verkehrsnahen Standorten überschritten. Die Grenzwerte für Ozon werden an fast allen Standorten überschritten und die Stickstoffeinträge aus der Luft überschreiten vielerorts die kritischen Eintragswerte für Ökosysteme. Auch wenn durch die Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie der Ausstoss von Luftschadstoffen temporär abgenommen hat und sich damit die Luftqualität kurzfristig verbessert hat, so braucht es für eine dauerhafte Verbesserung eine anhaltende Reduktion der Luftschadstoffe.
Die Abbildungen geben eine Übersicht über die Entwicklung der Jahresmittelwerte für Feinstaub (PM10) und Stickstoffoxid (NO2) im Verhältnis zum Immissionsgrenzwert (IGW).
Stündlich aktualisierte Karten für die wichtigsten Luftschadstoffe in der Schweiz sind hier verfügbar.
Weiter findet sich auf den Teletextseiten 521 eine Übersicht der aktuellen Luftbelastung sowie der Jahresmittelwerte.
Damit die Ziele der Luftreinhaltung erreicht werden können, muss der Ausstoss von Feinstaub, von Stickstoffdioxid und flüchtigen organischen Verbindungen sowie von Ammoniak weiter reduziert werden. In der Schweiz aber auch international muss deshalb, indem bei Motorfahrzeugen, landwirtschaftlichen und industriellen Anlagen sowie Heizungen konsequent der beste Stand der Technik gefördert und zur Anwendung gebracht wird, der Schadstoffausstoss an der Quelle soweit wie möglich begrenzt werden.
Diese Anstrengungen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne einer umfassenden Gesundheitsförderung über alle Politikbereiche lohnen sich: Die Luft ist hierzulande dank gesetzlicher Vorgaben und technologischer Fortschritte sauberer geworden. Dies spiegelt sich in der Verbesserung der Gesundheit der Schweizer Bevölkerung wider, wie Professor Nino Künzli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut im folgenden Interview erklärt.
Herr Professor Künzli, am 7. September 2020 findet der Internationale Tag «Saubere Luft für blaue Himmel» statt. Wie gesundheitsschädigend ist die Luftverschmutzung in der Schweiz?
Feinstaub und Stickstoffdioxid lösen entzündliche Reaktionen aus und schädigen Atemwege und das Herz-Kreislaufsystem. Feinstaub kann zudem auch krebserzeugende Bestandteile wie Schwermetalle, Russ oder Benzo[a]pyren enthalten. Ozon reizt Augen, Nase, Hals und die tieferen Atemwege. Grundsätzlich gilt für all diese Schadstoffe: je höher die Konzentrationen in der Atemluft umso grösser und häufiger sind die Schäden. Deshalb ist es in der Tat so, dass trotz der Verbesserung der Luftqualität die Schadstoffbelastung auch in der Schweiz negative Wirkungen auf die Gesundheit hat. Weltweit gesehen stellt die Luftverschmutzung heute sogar das bedeutendste Umweltrisiko dar.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen COVID-19 und der Luftverschmutzung?
Studien bestätigen, dass hohe Luftverschmutzungswerte, insbesondere durch Feinstaub, die Gesundheit beeinträchtigen und Lungen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere bei Älteren und Personen mit Vorerkrankungen, verschlimmern. Die Luftverschmutzung kann Menschen deshalb auch anfälliger für COVID-19 machen. Die von der Luftverschmutzung mitverursachten chronischen Erkrankungen erhöhen sowohl die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 zu erkranken, als auch die Wahrscheinlichkeit, einen schweren Verlauf der Infektion zu erleben, wobei Lungenentzündung und Atemversagen zu den am häufigsten gemeldeten Komplikationen gehören. Für diese COVID-Risikogruppen ist auch das Sterberisiko weitaus am höchsten. Die allfälligen Wechselwirkungen von Luftverschmutzung und COVID-19 sollen in einem Projekt des Schweizerischen Tropen- und Public Heatlh Instituts (SwissTPH) nun vertieft analysiert werden. Der heutige Stand des Wissens zur Rolle der Luftverschmutzung in der Entwicklung chronischer Erkrankungen lässt den Schluss zu, dass in Ländern wie der Schweiz mit sehr erfolgreicher Luftreinhaltepolitik und folglich tiefer Luftschadstoff-Belastung heute weniger Menschen zur COVID-19-Risikogruppe gehören, als wenn die Luftverschmutzung auf dem Stand der 1980er oder 1990er Jahre geblieben wäre. Dieser Nutzen der Luftreinhaltung wurde für die Corona-Epidemie bisher nicht quantifiziert.
Wie muss man sich die Forschung im Bereich Luftverschmutzung und deren gesundheitlichen Folgen vorstellen?
In berühmten London-Smog von 1952 waren die Belastungen derart extrem, dass die massive Zunahme von Todesfällen und Notfallaufnahmen in allen Spitälern wegen Atemwegs- und Herzkreislaufkrankheiten ohne grosse Statistiken auffiel. Die Auswirkungen der heutigen Belastungen können hingegen nur mit grossen und sehr detaillierten experimentellen und epidemiologischen Studien erforscht werden. Auch heute nehmen an Tagen mit höheren Belastungen die Herzinfarkte, Asthmaanfälle und Todesfälle zu – dies lässt sich aber weder in der Praxis noch im Spital direkt beobachten. Viele hundert Studien haben diese akuten Wirkungen aber weltweit immer wieder belegt – auch in der Schweiz. Wichtiger sind aber die Langzeitwirkungen der Luftverschmutzung. Deren Erforschung beruht vor allem auf sehr grossen epidemiologischen Langzeitstudien an denen Tausende Personen über viele Jahre hinweg immer wieder an Untersuchungen teilnehmen, Messungen machen, Blut geben und viele Fragen beantworten. Dies ist Forschung unter echten Lebensbedingungen.
In solchen epidemiologischen Studien werden auch Einflussfaktoren wie vorliegende Krankheiten oder Rauchen berücksichtigt, um den spezifischen Beitrag der Luftverschmutzung unabhängig von all diesen anderen Faktoren separat zu messen. Diese Studien vergleichen also niemals nur die Gesundheit zwischen Stadt- und Landbevölkerung, wie häufig behauptet wird. In der Schweiz begann vor 30 Jahren die SAPALDIA-Studie an einer Stichprobe von zehntausend Erwachsenen, die Zusammenhänge zwischen Luftqualität und Gesundheit zu untersuchen. Diese vom Swiss TPH geleitete nationale Studie läuft noch immer. Für alle Teilnehmer wurde für sämtliche Wohnadressen der letzten 30 Jahre die Schadstoffbelastung zu Hause vor der Haustür abgeschätzt. Es konnte gezeigt werden, dass Personen mit grösserer Schadstoffbelastung ein höheres Risiko für verschiedene Krankheiten haben. Man hat gesehen, dass auch bei verhältnismässig tiefen Schadstoffkonzentrationen, wie sie in der Schweiz vorkommen, mit gesundheitlichen Folgen zu rechnen ist.
SAPALDIA hat auch Erfreuliches bestätigt: eine Verbesserung der Luftqualität bringt messbare Verbesserungen der Gesundheit. Beispielsweise führt die Verbesserung der Luftqualität zu einer Reduktion von chronischen Atemwegssymptomen und die normale altersbedingte Abnahme der Lungenfunktion wird verlangsamt.
Welche Forschungsaktivitäten zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung laufen derzeit in der Schweiz?
Das Swiss TPH ist in verschiedenen Forschungsprojekten involviert. Einerseits ist eine mehrjährige Studie in Planung, welche das Ziel verfolgt neue und aktuelle Daten zur Verfügung zu stellen, um die Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und Gesundheit und der mit der Luftverschmutzung verbundenen Krankheitslast bis hin zu den heutigen niedrigen Luftverschmutzungswerten besser abschätzen zu können.
Auch beteiligt sich die Dokumentationsstelle für Luftverschmutzung und Gesundheit LUDOK an einer systematischen Auswertung der epidemiologischen Evidenz bezüglich den verkehrsbedingten Gesundheitsauswirkungen des Health Effects Institute. Andere letztlich ebenfalls gesundheitsrelevante Forschungsbeiträge leisten im experimentellen Bereich, in der Aerosolforschung sowie in Fragen der Messtechnologie und der Schadstoffmodellierung Forschungsgruppen aus dem Umfeld der ETH sowie der Universitäten Bern und Fribourg.
Generell werden immer wieder neue Hochrechnungen zu den Gesamtfolgen der Luftverschmutzung veröffentlicht, die teilweise stark voneinander abweichen. Für die Öffentlichkeit ist es schwierig sich zu orientieren. Können Sie da für Klarheit sorgen?
Diese Hochrechnungen verwenden reichhaltige Daten über die Verteilung der Belastungen und eine ständig zunehmende Anzahl epidemiologischer Studien. Letztere liefern den quantitativen Zusammenhang zwischen Schadstoffbelastung und Gesundheit. Die Methoden der Hochrechnungen werden ständig weiterentwickelt und mit aktuellen Daten optimiert. Auch werden je nach Fragestellungen verschiedene Annahmen gemacht. Zudem verändern sich Grösse und Altersstruktur der Bevölkerung. Dies führt dazu, dass die Resultate verschiedener Studien auf den ersten Blick widersprüchlich sind. Insbesondere die Annahmen zur «Hintergrundbelastung», die alle Hochrechnungen als Referenz benötigen, variieren je nach Berechnung und Fragestellung.
Die bisherigen Schweizer Hochrechnungen des Bundesamtes für Raumentwicklung haben als Referenz Feinstaubmittelwerte von 7.5 μg/m3 verwendet und beziffern somit nur jene Schäden und Kosten, welche den über diesem Wert liegenden Belastungen anzulasten sind. Gemäss dem Bericht von 2018 starben in der Schweiz im Jahr 2015 rund 2'200 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung und die Gesundheitskosten der Luftverschmutzung werden auf jährlich 6,5 Milliarden Franken beziffert. Da es keine «unschädliche Schwellenwerte» gibt, verwenden die neusten internationalen Hochrechnungen einen viel tieferen Referenzwert - 2.4 μg/m3 Feinstaub - womit die dem Feinstaub angelasteten Folgen höher liegen, als die nach traditioneller Schweizer Methode ausgewiesenen Hochrechnungen.
Andere Studien berechnen den Schaden nur für Belastungen über dem gesetzlichen Grenzwert, was in kleineren Zahlengerüsten resultiert. Wenn zudem die Bevölkerung zunimmt, dann nehmen - bei gleicher Belastung - auch die den Schadstoffen angelasteten Gesundheitsschäden zu. Zudem geht vergessen, dass dies nur grobe Hochrechnungen mit unscharfen Schätzbereichen sind. All diese methodischen Details gehen in den kurzen Darstellungen der Medien verloren, wodurch der Anschein entsteht, dass die Zahlen ständig ändern und «widersprüchlich» sind. Leider liest man auch immer wieder den Fehlschluss, dass die Gesundheitsschäden zunehmen würden obwohl die Belastung abnehme. Dies trifft zum Glück nicht zu. Wendet man vergleichbare Methoden an, so kann gut belegt werden, dass sich die starken Verbesserungen in der Luftqualität auch für die Gesundheit der Bevölkerung lohnen. Verbesserungen in der Luftqualität führen zu einer Reduktion von Krankheiten, vorzeitigen Todesfällen und Gesundheitskosten.
Auskünfte: Swiss TPH, Dokumentationsstelle LUDOK, ludok@swisstph.ch
Prof. Nino Künzli, Swiss TPH und Universität Basel, nino.kuenzli@swisstph.ch
Prof. Nino Künzli ist Präsident der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene (EKL) und Forscher am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut Basel
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Letzte Änderung 03.09.2020