07.09.2022 - Die Umwelt ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit der Menschen und aller Lebewesen. Unter dem Motto «The Air We Share» (Die Luft, die wir teilen) wird am 7. September weltweit der breiten Bevölkerung die Bedeutung einer guten Luftqualität und die Massnahmen zu deren Verbesserung aufzuzeigen.
Die Luft, die wir atmen – jeder Mensch atmet davon täglich 15’000 Liter –, ist lebenswichtig. Leider enthält sie auch Schadstoffe aus Verkehr, Industrie, Gewerbebetrieben, Landwirtschaft, Haushalt, Feuerungsanlagen, Bauprodukten sowie Tabakrauch. Diese Luftschadstoffe, die durch Nase, Rachen und Luftröhre in unsere Lunge gelangen, können Asthma, chronischen Husten, Bronchitis oder andere Erkrankungen der Atemwege sowie der Lunge einschliesslich Lungenkrebs hervorrufen oder verstärken. Sie sind aber auch an der Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen beteiligt und haben eine Verkürzung der Lebenserwartung zur Folge.
Zum Schutz von Mensch und Umwelt hat die Schweiz in der Luftreinhalte-Verordnung Immissionsgrenzwerte (IGW) festgesetzt. Sie umfassen nicht nur direkt emittierte Schadstoffe, sondern auch solche, die erst sekundär in der Luft aus Vorläuferstoffen gebildet werden – zum Beispiel Ozon. Die Immissionsgrenzwerte beruhen auf der Gesamtheit der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse über schädliche Effekte und berücksichtigen auch sensible Bevölkerungsgruppen wie Kinder, ältere Personen oder Kranke.
Die zahlreichen getroffenen Luftreinhalte-Massnahmen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne einer umfassenden Gesundheitsförderung über alle Politikbereiche lohnen sich: Die Luft ist hierzulande dank gesetzlicher Vorgaben und technologischer Fortschritte wesentlich sauberer geworden. Für viele Schadstoffe und an vielen Orten in der Schweiz werden die aktuellen Immissionsgrenzwerte heute eingehalten. Auch Schadstoffe, für die keine Grenzwerte festgelegt wurden, insbesondere die ultrafeinen Partikel und der krebserregende Russ, nehmen dank nachhaltiger Luftreinhaltepolitik seit Jahren stark ab.
Die Abbildungen geben eine Übersicht über die langjährige Entwicklung der Jahresmittelwerte für Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) an ausgewählten Messstationen im Verhältnis zum Immissionsgrenzwert (IGW).
Der Erfolg der Luftreinhaltung spiegelt sich auch in der Verbesserung der Gesundheit der Schweizer Bevölkerung wider, wie Professor Nino Künzli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut im folgenden Interview erklärt.
Präsident der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene (EKL) und Forscher am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts Basel
Herr Professor Künzli, am 7. September 2022 findet der «Internationale Tag der sauberen Luft» statt. Wie gesund oder ungesund ist die Luft in der Schweiz?
Die Luftqualität in der Schweiz hat sich in den letzten 30 Jahren markant verbessert und ist im internationalen Vergleich mit ähnlich dicht besiedelten Gebieten gut. Für viele Schadstoffe und an vielen Orten in der Schweiz werden die meisten Immissionsgrenzwerte heute eingehalten. Dennoch besteht weiterer Handlungsbedarf. Die Stickstoffdioxid-Belastung ist an diversen verkehrsnahen Standorten nach wie vor zu hoch, die Immissionsgrenzwerte für Feinstaub werden noch nicht überall eingehalten, die Ozonbelastung liegt fast in der ganzen Schweiz über den Immissionsgrenzwerten und die Stickstoffeinträge aus der Luft überschreiten vielerorts die kritischen Eintragswerte für Ökosysteme. Auch Schadstoffe, für die bisher keine Grenzwerte festgelegt wurden, insbesondere die Ultrafeinen Partikel und der Russ, nehmen dank nachhaltiger Luftreinhaltepolitik seit Jahren stark ab.
Wie werden eigentlich die erwähnten Immissionsgrenzwerte festgelegt?
Die Ziele der Luftreinhaltung sind die Gewährleistung von sauberer und gesunder Luft für die Bevölkerung und die Vermeidung von schädlichen Effekten auf Ökosysteme. Deshalb müssen Schadstoffemissionen vorsorglich soweit wie möglich begrenzt werden. Zusätzlich werden zum Schutz von Mensch und Umwelt Immissionsgrenzwerte gesetzt. Diese sind ganz besonders wichtig bei Schadstoffen, welche nicht direkt emittiert, sondern erst sekundär in der Luft aus anderen Schadstoffen gebildet werden – zum Beispiel Ozon. Die Grenzwerte basieren in der Schweiz auf den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation von 2005. Diese beruhen auf der gesamten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse über schädliche Effekte und berücksichtigen auch sensible Bevölkerungsgruppen wie Kinder, ältere Personen oder Kranke. In der Schweiz sind Immissionsgrenzwerte für die Aussenluft für verschiedene Luftschadstoffe wie Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid festgelegt. Damit die Ziele der Luftreinhaltung erreicht werden können, muss der Schadstoffausstoss an der Quelle beschränkt werden. Für die meisten Schadstoffquellen gelten daher Emissionsgrenzwerte, die im Allgemeinen dem besten Stand der Technik entsprechen.
Nun wurde erstmals nach 2005 die Luftqualitätsrichtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angepasst und neu festgelegt. Warum?
In den letzten 10 bis 15 Jahren wurden sehr breit angelegte Langzeitstudien mit zum Teil mehreren Hunderttausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern publiziert. Daran waren auch Regionen mit sehr geringer Schadstoffbelastung wie zum Beispiel die Schweiz, Skandinavien oder Kanada beteiligt. Dabei hat sich gezeigt, dass Luftschadstoffe der Gesundheit auch bei sehr geringen Konzentrationen schaden, die weit unter den bisherigen Richtwerten liegen. Dass es wohl keine «unschädlichen Schwellenwerte» gibt, hatte man 2005 zwar geahnt, aber beweisen konnten wir es nicht. Zudem mussten wir die Methodik minuziös überarbeiten, da die WHO strenge Vorgaben macht für die Entwicklung von Richtwerten.
Was heisst dies für die Schweiz?
Die Empfehlungen der WHO von 2021 werden nun von der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene (EKL) für die Schweiz bewertet und ihre Schlussfolgerungen und Vorschläge zusammen mit einem Evaluationsbericht dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) unterbreitet. Bis auf den Grenzwert von Ozon hält die Schweiz heute alle WHO-Grenzwerte von 2005 ein und ich bin sicher, dass wir auch die neuen WHO-Richtlinien einhalten werden, insbesondere was Feinstaub und Stickoxide betrifft. Aber wir müssen dranbleiben.
Wie muss man sich die Forschung im Bereich Luftverschmutzung und deren gesundheitlichen Folgen vorstellen?
In berühmten London-Smog von 1952 waren die Belastungen derart extrem, dass die massive Zunahme von Todesfällen und Notfallaufnahmen in allen Spitälern wegen Atemwegs- und Herzkreislaufkrankheiten ohne grosse Statistiken auffiel. Wichtiger sind aber die Langzeitwirkungen der Luftverschmutzung. Deren Erforschung beruht vor allem auf sehr grossen epidemiologischen Langzeitstudien an denen Tausende Personen über viele Jahre hinweg immer wieder an Untersuchungen teilnehmen, Messungen machen, Blut geben und viele Fragen beantworten. Dies ist Forschung unter echten Lebensbedingungen. In solchen epidemiologischen Studien werden auch Einflussfaktoren wie vorliegende Krankheiten oder Rauchen berücksichtigt, um den spezifischen Beitrag der Luftverschmutzung unabhängig von all diesen anderen Faktoren separat zu quantifizieren. Diese Studien vergleichen also niemals nur die Gesundheit zwischen Stadt- und Landbevölkerung, wie einige Laien oft behaupten. In der Schweiz begann vor 30 Jahren die SAPALDIA-Studie an einer Stichprobe von zehntausend Erwachsenen, die Zusammenhänge zwischen Luftqualität und Gesundheit zu untersuchen. Noch immer läuft die Studie. Für alle Teilnehmer wurde für sämtliche Wohnadressen der letzten 30 Jahre die Schadstoffbelastung zu Hause vor der Haustür abgeschätzt. Es konnte gezeigt werden, dass Personen mit grösserer Schadstoffbelastung ein höheres Risiko für verschiedene Krankheiten haben. Man hat gesehen, dass auch bei verhältnismässig tiefen Schadstoffkonzentrationen, wie sie in der Schweiz vorkommen, mit gesundheitlichen Folgen zu rechnen ist. SAPALDIA hat auch Erfreuliches bestätigt: eine Verbesserung der Luftqualität bringt messbare Verbesserungen der Gesundheit. Beispielsweise führt die Verbesserung der Luftqualität zu einer Reduktion von chronischen Atemwegssymptomen und die normale altersbedingte Abnahme der Lungenfunktion wird verlangsamt.
Generell werden immer wieder neue Hochrechnungen zu den Gesamtfolgen der Luftverschmutzung veröffentlicht, die teilweise stark voneinander abweichen. Für die Öffentlichkeit ist es schwierig, sich zu orientieren. Können Sie da für Klarheit sorgen?
Diese Hochrechnungen verwenden reichhaltige Daten über die Verteilung der Belastungen und eine ständig zunehmende Anzahl epidemiologischer Studien. Letztere liefern den quantitativen Zusammenhang zwischen Schadstoffbelastung und Gesundheit. Die Methoden der Hochrechnungen werden ständig weiterentwickelt und optimiert. Auch werden je nach Fragestellungen verschiedene Annahmen gemacht. Dies führt dazu, dass die Resultate verschiedener Studien auf den ersten Blick widersprüchlich sind. Insbesondere die Annahmen zur «Hintergrundbelastung» variieren je nach Berechnung und Fragestellung. Die bisherigen Schweizer Hochrechnungen des Bundesamtes für Raumentwicklung haben als Referenz Feinstaubmittelwerte von 7.5 µg/m3 verwendet und beziffern somit nur jene Schäden und Kosten, welche den über diesem Wert liegenden Belastungen anzulasten sind. Gemäss dem Bericht von 2018 starben in der Schweiz im Jahr 2015 rund 2'200 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung und die Gesundheitskosten der Luftverschmutzung werden auf jährlich 6,5 Milliarden Franken beziffert. Da es keine «unschädliche Schwellenwerte» gibt verwenden die neusten internationalen Hochrechnungen einen viel tieferen Referenzwert - 2.4 µg/m3 Feinstaub - womit die dem Feinstaub angelasteten Folgen höher liegen, als die nach traditioneller Schweizer Methode ausgewiesenen Hochrechnungen. Andere Studien berechnen den Schaden nur für Belastungen über dem gesetzlichen Grenzwert, was in kleineren Zahlengerüsten resultiert. Wenn zudem die Bevölkerung zunimmt, dann nehmen - bei gleicher Belastung - auch die den Schadstoffen angelasteten Gesundheitsschäden zu. Diese methodischen Details gehen in den kurzen Darstellungen der Medien verloren, wodurch der Anschein entsteht, dass die Zahlen ständig ändern und «widersprüchlich» sind. Leider liest man auch immer wieder den Fehlschluss, dass die Gesundheitsschäden zunehmen würden obwohl die Belastung abnehme. Dies trifft zum Glück nicht zu. Wendet man vergleichbare Methoden an, so kann gut belegt werden, dass sich die starken Verbesserungen in der Luftqualität auch für die Gesundheit der Bevölkerung lohnen. Verbesserungen in der Luftqualität führen zu einer Reduktion von Krankheiten, vorzeitigen Todesfällen und Gesundheitskosten.
Auskünfte:
Swiss TPH, Dokumentationsstelle LUDOK, ludok@swisstph.ch
Prof. Nino Künzli, Swiss TPH und Universität Basel, nino.kuenzli@swisstph.ch
Dennoch besteht weiterer Handlungsbedarf. Wie die Messungen des Nationalen Beobachtungsnetz für Luftfremdstoffe (NABEL) zeigen, ist die Stickstoffdioxid-Belastung an einigen Standorten an Hauptverkehrsstrassen nach wie vor zu hoch und die Immissionsgrenzwerte für Feinstaub werden noch nicht überall eingehalten. Die Ozonbelastung liegt fast in der ganzen Schweiz über den Immissionsgrenzwerten und die Stickstoffeinträge aus der Luft überschreiten vielerorts die kritischen Eintragswerte für Ökosysteme. Daher sind zusätzliche Massnahmen zur Reduktion von Stickoxiden, flüchtigen organischen Verbindungen, Ammoniak und Feinstaub nötig.
Die durch das BAFU finanzierte und am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut angesiedelte Dokumentationsstelle für Luft und Gesundheit LUDOK hat gemeinsam mit weiteren Trägerorganisationen wie der Krebsliga, der Lunge Zürich und den kantonalen Behörden für Luftreinhaltung die Gesundheitsfolgen der wichtigsten Schadstoffe in der Aussenluft zusammengetragen und in einer interaktiven Grafik aufbereitet.
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Letzte Änderung 07.09.2022