In internationalen Umweltverhandlungen spielt die Schweiz seit Jahren eine wichtige Rolle. Am Beispiel der Biodiversität zeigen Umweltbotschafter Franz Perrez und Reinhard Schnidrig, Chef der BAFU-Sektion Wildtiere und Artenförderung, wie dabei vorgegangen wird, welche Resultate damit erzielt werden können und warum trotzdem ein Ruck durch die Gesellschaft gehen muss.
Text: Peter Bader
Kennen Sie Luc Hoffmann? Der 2016 in hohem Alter verstorbene Zoologe, Pharma-Unternehmer und Mäzen steht sinnbildlich für die internationale Pionierrolle, welche die Schweiz im Kampf um den Erhalt der Artenvielfalt und der Ökosysteme spielte. Der Erbe der Basler Pharma-Dynastie Hoffmann-La Roche war Gründungsmitglied des WWF und von 1961 bis 1988 dessen Vizepräsident. Von 1960 bis 1969 war er zudem Vizepräsident der Weltnaturschutzorganisation IUCN, die 1940 ins Leben gerufen wurde und unter anderem die Rote Liste der gefährdeten Arten führt. WWF und IUCN haben bis heute ihren Hauptsitz in Gland (VD), genauso wie das Sekretariat der internationalen Ramsar-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten von internationaler Bedeutung als Lebensraum für Wasser- und Watvögel.
1979 wurde im Rahmen des Europarats in Bern das Übereinkommen zur Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere sowie ihrer natürlichen Lebensräume unterzeichnet. Diese Berner Konvention war das erste Abkommen, das den Schutz der Biodiversität auf europäischer Ebene regelte. «In den Anfängen war die Schweiz beim Schutz der Biodiversität auf privater wie auch auf staatlicher Ebene eine treibende Kraft», sagt Reinhard Schnidrig, Sektionschef Wildtiere und Artenförderung beim BAFU. Insbesondere beim Vogelschutz habe sich schon früh gezeigt, dass sich Biodiversitätsverlust nur im Rahmen internationaler Zusammenarbeit nachhaltig bekämpfen lasse. «Wenn wir Vögel hier bei uns schützen, sie auf dem Weg in ihre Winterquartiere diesen Schutz hingegen nicht erfahren, nützt unser inländisches Engagement herzlich wenig», hält Schnidrig fest.
Diese Erkenntnis setzte sich 1992 endgültig durch: An der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro einigte sich die Staatengemeinschaft auf die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD). Sie war das erste internationale Abkommen, das den Schutz der biologischen Vielfalt global, umfassend und anhaltend behandelte und den Artenschutz sowie den Schutz der Ökosysteme und der genetischen Ressourcen thematisierte. Die Vertragsparteien wurden unter anderem aufgefordert, nationale Strategien zur Erhaltung der Biodiversität zu entwickeln.
Neuer Schwung aus Nagoya
Hierzulande beschloss der Bundesrat die Strate-gie Biodiversität Schweiz allerdings erst 2012. Reinhard Schnidrig kennt die Gründe: In den 1980er- und 1990er-Jahren habe sich die Schweiz mit dem Schutz der Moore und griffigen Revisionen des Jagd- und Wildtierschutzgesetzes, des Gewässerschutz- und des Waldgesetzes auf anderem Weg um den Schutz der Biodiversität im Inland gekümmert, erklärt er. Hinzu komme, dass politische Entscheidungsprozesse in der Schweiz lange dauern. «Ist ein Entscheid gefallen, ist das Engagement für dessen Umsetzung bei allen Beteiligten aber umso grösser.»
Den internationalen Bemühungen zum Schutz der Biodiversität verlieh 2010 die 10. Vertragsparteienkonferenz der Biodiversitätskonvention in Nagoya (Japan) neuen Schwung. Mit den 20 sogenannten Aichi-Zielen einigte man sich auf einen strategischen Plan für die Zeit bis 2020, was Franz Perrez «einen Meilenstein» nennt. An ebendieser Konferenz amtete er erstmals als Schweizer Umweltbotschafter. Seither vertritt der Leiter der BAFU-Abteilung Internationales die Schweiz in allen wichtigen internationalen Verhandlungen im Umweltbereich. Im Vorfeld der Konferenzen erarbeitet er zusammen mit seinem Team die Schweizer Positionen und die Verhandlungsstrategie. Dazu bedarf es einerseits eines ständigen Austauschs mit anderen BAFU-Abteilungen, weiteren involvierten Bundesämtern und dem Bundesrat, der das letzte Wort hat. Andererseits, sagt Perrez, tausche man sich intensiv mit anderen Ländern aus, um Lösungen vorzubereiten.
An den Konferenzen selbst würden alle Entscheide im Plenum gefällt, die Diskussionen um technische oder finanzielle Details aber in separaten Gruppen geführt. Grundvoraussetzung für erfolgreiche Verhandlungen sei, dass man die Thematik bis ins kleinste Detail verstehe. Perrez: «Man muss vor allem die Positionen und wirklichen Interessen der anderen Länder genau kennen: Welche Zugeständnisse können sie machen? Was ist für sie tatsächlich nicht möglich? Was brauchen sie unbedingt?» Persönliche Beziehungen seien wichtig, aber nicht im Sinn eines möglichst harmonischen Verhältnisses. Vielmehr gehe es darum, einander ernst zu nehmen und zu vertrauen.
Kann denn die «neutrale» Schweiz in Verhandlungen eine besondere Rolle spielen? In Umweltfragen sei die Schweiz nicht vermittelnd neutral, antwortet Umweltbotschafter Perrez. Als kleines Land könnten wir die globalen Klima- und Biodiversitätsprobleme nicht alleine lösen. Darum seien robuste internationale Regeln in unserem eigenen Interesse.
Dramatischer Zustand
Gerade in Sachen Biodiversität ist das nationale und internationale Engagement der Schweiz weiterhin gefordert. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES, der den globalen Zustand der Biodiversität und die Ökosystemleistungen erstmals wissenschaftlich untersuchte, schlug 2019 in seinem Bericht Alarm. Er hielt fest, dass sich das weltweite Artensterben fortwährend beschleunige und dass praktisch alle Aichi-Ziele verfehlt worden seien. Insgesamt seien bis zu einer Million von rund acht Millionen Arten gefährdet. Dieser dramatische Zustand habe enorme Konsequenzen für die menschliche Existenz. So seien viele Leistungen der Natur wie Bestäubung oder saubere Luft stark gefährdet.
Auch in der Schweiz liegt vieles im Argen; hierzulande sind die Hälfte der Lebensraumtypen und ein Drittel der Arten gefährdet. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates als parlamentarisches Aufsichtsorgan forderte Anfang 2021 den Bundesrat dazu auf, die Bemühungen um den Schutz der Biodiversität weiter zu verstärken.
International sind die Verhandlungen derzeit leicht ins Stocken geraten, weil die 15. Vertragsparteienkonferenz der Biodiversitätskonvention aufgrund der Corona-Pandemie im Sommer 2020 nicht stattfinden konnte. Die Staatengemeinschaft trifft sich nun voraussichtlich im Herbst 2021 in Kunming (China), wo ein neuer strategischer Plan und weitere Ziele für die Zeit bis 2030 verabschiedet werden sollen. Genauso wie beim Pariser Klimaabkommen setzt sich die Schweiz insbesondere für «klare, messbare Ziele und eine transparente Berichterstattung der einzelnen Länder ein», wie Umweltbotschafter Perrez festhält. Reinhard Schnidrig wünscht sich, dass «nun auch ein Ruck durch die Gesellschaft geht und alle merken: Artenschutz und der Erhalt natürlicher Ökosysteme sind für uns genauso existenziell wie die Sorge ums Klima.»
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Letzte Änderung 01.09.2021