Biologie der Fliessgewässer

Ein Grossteil der Gewässer im Mittelland kann ihre Rolle als Lebensraum für Tiere und Pflanzen nur eingeschränkt wahrnehmen, wie die biologische Beurteilung der Bäche und der kleinen Flüsse zeigt. Auch in den grossen Flüssen ist die Zusammensetzung der Arten stark von menschlichen Einflüssen und invasiven gebietsfremden Arten geprägt. Die starke Beeinträchtigung der Gewässer spiegelt sich auch in den Roten Listen wider. Über 50 Prozent aller Arten, die in und an Gewässern leben, sind gefährdet oder bereits ausgestorben.

Biologische Beurteilung der Bäche und Flüsse

Im Rahmen der biologischen Untersuchungen aus der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA) werden rund hundert Fliessgewässer umfassend biologisch untersucht. Anhand der Bioindikatoren Kieselalgen, Makrozoobenthos (am Gewässergrund lebende Kleinlebewesen), Wasserpflanzen und Fische lässt sich beurteilen, wie gut ein Gewässer seine Funktion als Lebensraum für Tiere und Pflanzen erfüllt und ob die ökologischen Ziele der Gewässerschutzverordnung erreicht werden. Diese Ziele besagen, dass die Lebensgemeinschaften von Wasserlebewesen naturnah und standortgereicht sein sollen.

Im weiteren Sinne gehören auch die biologischen Untersuchungen des Hochrheins, die im Rahmen des Rhein-Messprogramms Biologie der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) seit anfangs der 1990er Jahren durchgeführt werden, zu NAWA.

Bäche und kleine Flüsse erfüllen die ökologischen Ziele verbreitet nicht

Besonders schlecht fällt die Beurteilung der Bäche und Flüsse anhand der Indikatoren «Fische» und «Wasserpflanzen» aus. Diese beiden Indikatoren reagieren auf eine Vielzahl von Belastungen und sind daher besonders gut geeignet, die Summe und das komplexe Zusammenspiel der menschlichen Einflüsse gesamthaft abzubilden. Eine umfassende Beurteilung des ökologischen Zustandes der Fliessgewässer ist möglich, wenn alle Indikatoren gemeinsam miteinbezogen werden. Der Gesamtzustand eines Gewässerabschnitts wird jeweils vom Indikator mit der schlechtesten Bewertung bestimmt – im Sinne einer Worst-Case-Beurteilung. So zeigt sich, dass über 60 Prozent der untersuchten Fliessgewässer die ökologischen Ziele der Gewässerschutzverordnung nicht erfüllen. Werden nur die Gewässer beurteilt, an denen der Gewässerzustand auch mit Fischen bewertet werden kann, sind es gar über 70 Prozent, die einen ungenügenden Zustand aufweisen. Betrachtet man nur die Gewässer, an denen alle vier biologischen Indikatoren erhoben werden konnten, dann weisen sogar rund 80 Prozent der Stellen einen ungenügenden Zustand auf. Ein Grossteil der untersuchten Bäche und Flüsse stellt also keinen funktionsfähigen Lebensraum für Tiere und Pflanzen dar. Diese Fliessgewässer erfüllen somit die ökologischen Ziele der Gewässerschutzverordnung nicht.
Defizite gibt es besonderes im intensiv genutzten Mittelland, wo die Gewässer strukturell beeinträchtigt sind und die Durchgängigkeit für Fische vielerorts nicht gegeben ist. Aufgrund stofflicher Beeinträchtigung stehen vor allem die kleinen Gewässer durch die Landwirtschaft unter Druck; bei den mittelgrossen Gewässern beeinträchtigen Mikroverunreinigungen aus Abwasserreinigungsanlagen (ARA) die Gewässerlebewesen.
 

Biologische Indizes

Die biologischen Indizes beurteilen unterschiedliche Faktoren der Gewässerqualität, weshalb sich der Zielerfüllungsgrad je nach Index stark unterscheidet. Kieselalgen indizieren die Nährstoffbelastung, Makrozoobenthos die Gewässerqualität und die Vielfalt der Habitate, Wasserpflanzen und Fische integrieren die unterschiedlichen Belastungen. Daten: NAWA TREND 2019

Biologische Indikatoren

Je mehr biologische Indikatoren zur Beurteilung eines Gewässers herangezogen werden, desto schlechter wird die Beurteilung. Der Gesamtzustand wird jeweils vom Indikator mit der schlechtesten Bewertung bestimmt a) Beurteilung aller NAWA TREND-Messstellen anhand von zwei bis vier Indikatoren; b) Beurteilung anhand von drei Indikatoren (Kieselalgen, Makrozoobenthos und Fische); c) Beurteilung anhand von vier Indikatoren (Kieselalgen, Makrozoobenthos, Fische und Wasserpflanzen). Daten: NAWA TREND 2019

Grosse Defizite auch bei der Biologie grosser Flüsse

Auch in den grossen Flüssen sind die Lebensgemeinschaften des Makrozoobenthos, der Wasserpflanzen und der Fische stark defizitär. Dies zeigen sowohl die regelmässig stattfindenden Hochrheinuntersuchungen als auch kantonale Kampagnen.
Langdistanzwanderer wie beispielsweise der Lachs sind in der Schweiz bereits seit längerer Zeit ausgestorben – wohl primär aufgrund der vielen kraftwerksbedingten Wanderhindernisse. Andere Wanderfische sind stark gefährdet. Auch die Bestände von Spezialisten für frei fliessende und kühle Flüsse sind rückläufig. Die Zusammensetzung der Wasserpflanzen ist ebenfalls stark von hydrologischen und morphologischen Beeinträchtigungen geprägt. Als Folge der Begradigung und Verbauung verschwanden bedeutende Vorkommen höherer Wasserpflanzen. Die aufgestauten Bereiche mit viel Sand und Schlamm sind zudem von Algen und Wasserpflanzen besiedelt, die für Flüsse eher untypisch sind.
Die Makrozoobenthos-Gesellschaften sind geprägt von Generalisten und gebietsfremde Arten. Spezialisierte Arten, die beispielsweise strömungsberuhigte Ufer oder Auen als Lebensraum brauchen, sind sehr selten geworden.

Wasserlebewesen sind bedroht

Die aufgezeigten ökologischen Defizite werden durch die Tatsache bestätigt, dass die Biodiversität in und an den Gewässern stark zurückgegangen oder in hohem Masse gefährdet ist. Über 50 Prozent aller Arten, die in und an Gewässern leben, sind gefährdet oder bereits ausgestorben. Invasive gebietsfremde Pflanzen und Tiere, die sich in grossen Flüssen und Seen teilweise rasant ausbreiten, setzen die angestammten Arten zusätzlich unter Druck. Eine reiche Biodiversität ist essenziell, damit Ökosysteme widerstandsfähig gegenüber Umweltveränderungen wie dem Klimawandel oder gebietsfremde Arten bleiben.

Weiterführende Informationen

Dokumente

Grosse Fliessgewässer

NAWA Generell

NAWA: Messstellendokumentation (PDF, 112 MB, 15.05.2018)Chaix O., Stalder P., Hürlimann J. 2018: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Messstellendokumentation (Startphase 2012–2013) im Auftrag des BAFU

Fische

NAWA - TREND Biologie - Streckendossiers Fische 2019 (PDF, 26 MB, 28.02.2022)Beschreibung der Befischungsstrecken im Auftrag des BAFU

NAWA TREND Biologie – Besatzkoordinationskarten Fische 2019 (PDF, 30 MB, 08.03.2022)Ninck L., Dönni W., Gouskov A., Guthruf J., Périat G., Vonlanthen P., Zaugg C. 2021: NAWA TREND Biologie, 3. Kampagne (2019), Karten Besatzkoordination Fische. Im Auftrag des BAFU.

NAWA-Fachbericht Modul Fische 2012-2013 (PDF, 5 MB, 16.05.2014)Dönni W. und Guthruf J. 2014: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Modul Fische (Startphase 2012–2013). Expertenbericht im Auftrag des BAFU

NAWA-Modul Fische 2012-2013 Quantitative Erhebungen (PDF, 567 kB, 23.06.2014)Dönni W., Guthruf J., Riedl C., Werner S. und Zaugg C. 2014: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Modul Fische: Quantitative Erhebungen (Startphase 2012–2013). Auswertungen im Auftrag des BAFU

Makrozoobenthos

NAWA-Fachbericht Modul Makrozoobenthos 2015 (PDF, 1 MB, 28.02.2017)Stucki P. und Knispel S. 2017: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Modul Makrozoobenthos 2015. Expertenbericht im Auftrag des BAFU

NAWA: Rapport technique Macrozoobenthos 2011-2014 (PDF, 1 MB, 31.05.2015)Stucki P., Knispel S., Vicentini H. et Wagner A. 2015: NAWA TREND Biologie. Rapport Sectoriel Macrozoobenthos, campagne 2012, campagnes complémentaires 2011‐2014. Sur mandat de l’OFEV

Diatomeen

NAWA-Fachbericht Modul Diatomeen 2015 (PDF, 1 MB, 12.07.2017)Hürlimann J. und Straub F. 2017: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Modul Diatomeen und äusserer Aspekt 2015. Expertenbericht im Auftrag des BAFU

NAWA-Fachbericht Modul Diatomeen 2011-2013 (PDF, 3 MB, 23.06.2014)Hürlimann J. und Straub F. 2014: NAWA TREND Biologie 2011-2013, Teil Diatomeen. Expertenbericht im Auftrag des BAFU

NAWA: Äusserer Aspekt (PDF, 566 kB, 15.05.2018)Hürlimann J., Küng M., Straub F. 2014: NAWA TREND Biologie 2011-2013, Teil Äusserer Aspekt. Erfassung der Feldprotokolle und erste Analysen. Kurzbericht im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt

Makrophyten

NAWA-Fachbericht Modul Makrophyten 2015 (PDF, 19 MB, 30.06.2020)Roth E. und Müller N. 2017: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Modul Makrophyten 2015. Expertenbericht im Auftrag des BAFU

NAWA-Fachbericht Modul Makrophyten 2015: Anhänge A-E (PDF, 1 MB, 13.09.2019)Roth E. und Müller N. 2017: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Modul Makrophyten 2015: Anhang. Expertenbericht im Auftrag des BAFU

NAWA-Fachbericht Modul Makrophyten 2015: Anhang F (PDF, 208 MB, 13.09.2019)Roth E. und Müller N. 2017: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Modul Makrophyten 2015: Anhang. Expertenbericht im Auftrag des BAFU

NAWA-Fachbericht Modul Makrophyten 2012 (PDF, 958 kB, 16.05.2014)Roth E. 2013: NAWA TREND Biologie
Teilbereich Makrophyten 2012. Expertenbericht im Auftrag des BAFU

NAWA-Fachbericht Modul Makrophyten 2012: Anhang F (PDF, 34 MB, 16.05.2014)Roth E. 2013: NAWA TREND Biologie
Teilbereich Makrophyten 2012: Messstellendossiers im Auftrag des BAFU

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Letzte Änderung 04.01.2024

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