In den Schweizer Fliessgewässern werden zahlreiche Mikroverunreinigungen nachgewiesen. In Bächen und kleinen Fliessgewässern überschreiten vor allem Pestizide ihre ökotoxikologischen Grenzwerte, in grossen Flüssen hingegen einzelne Arzneimittel. In den betroffenen Fliessgewässern in den dichtbesiedelten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen werden empfindliche Tier- und Pflanzenarten einem zu hohen Risiko für Schädigungen durch diese Stoffe ausgesetzt.
Mikroverunreinigungen sind Pestizide, Arzneimittel und weitere Chemikalien, die in sehr geringen Konzentrationen im Gewässer vorkommen. In der Schweiz sind über 30'000 Chemikalien in unzähligen Produkten im täglichen Gebrauch. Sie gelangen aus Abwasserreinigungsanlagen (ARA), aus Landwirtschaft, Siedlungsgebieten und Verkehr in die Gewässer. Mikroverunreinigungen sind für die Wasserlebewesen unterschiedlich giftig. So sind viele Stoffe, die in grossen Mengen über ARA in die Gewässer gelangen, aus ökotoxikologischer Sicht wenig problematisch. Ein Beispiel dafür sind künstliche Süssstoffe. Andere Mikroverunreinigungen, beispielsweise viele Pestizide und auch einige Arzneimittel, sind hingegen schon in sehr tiefen Konzentrationen giftig für empfindliche Wasserlebewesen.
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Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern aus diffusen EinträgenSituationsanalyse. 2015
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Mikroverunreinigungen aus kommunalem AbwasserVerfahren zur weitergehenden Elimination auf Kläranlagen. 2012
- Mikroverunreinigungen im nationalen Messprogramm
- Konzentrationen von Mikroverunreinigungen variieren je nach Stoff und Gewässer
- Viele Gewässer mit Mikroverunreinigungen verunreinigt
- Kleine und mittelgrosse Fliessgewässer besonders durch die Belastung mit Pestiziden betroffen
- Mikroverunreinigungen permanent über dem Grenzwert
- Haupterkenntnisse der bisher durchgeführten Spezialuntersuchungen (NAWA SPEZ)
Mikroverunreinigungen im nationalen Messprogramm
In der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA) werden aktuell in der Dauerbeobachtung (NAWA TREND) 38 Messstationen auf mindestens 80 Mikroverunreinigungen untersucht. Mit zeitlich beschränkten Messprogrammen (NAWA SPEZ) werden spezifische Fragestellungen geklärt.
Das Messprogramm wurde ab 2018 gemeinsam mit den Kantonen schrittweise aufgebaut. Weitere Informationen:
Mikroverunreinigung im Gewässermonitoring (PDF, 11 MB, 06.07.2020)Artikel Aqua & Gas 7/8 2020 - Ausbau von NAWA Trend und erste Resultate 2018
Konzentrationen von Mikroverunreinigungen variieren je nach Stoff und Gewässer
Die Messungen im Rahmen des NAWA TREND Programms zeigen, dass die Konzentrationen von Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern je nach Stoff und Gewässer stark variieren. Sie werden in einem weiten Konzentrationsbereich von Nanogramm-pro-Liter bis Mikrogramm-pro-Liter nachgewiesen. In den grossen Flüssen sind die Konzentrationen, insbesondere von Pestiziden und Arzneimitteln, meist aufgrund der hohen Verdünnung tiefer als in kleineren Fliessgewässern. Auch saisonale Schwankungen sind zu beobachten: Während einige Stoffe das ganze Jahr vorkommen, werden einige Stoffe nur während der Anwendungssaison nachgewiesen.
Viele Gewässer mit Mikroverunreinigungen verunreinigt
Die NAWA TREND Untersuchungen zeigen, dass viele Gewässer des Mittellandes und der Talebenen mit Mikroverunreinigungen verunreinigt sind. Bei 20 der 22 Mikroverunreinigungen (19 Pestizide und 3 Arzneimittel), die in der Gewässerschutzverordnung (GSchV) mit ökotoxikologisch basierten Grenzwerten geregelt sind, wurde 2020 nachgewiesen, dass sie die Grenzwerte überschreiten. Nur in fünf der 33 bisher untersuchten Gewässer wurden die Grenzwerte immer eingehalten.
Seit April 2020 gelten für 19 Pestizide und 3 Arzneimittel ökotoxikologisch basierte Grenzwerte (Anh. 2 Ziff. 11 Abs. 3 Nr. 3 und 4 Gewässerschutzverordnung (GSchV)). Sie berücksichtigen die unterschiedliche Giftigkeit der Stoffe. Da die Effekte der Mikroverunreinigungen auch von der Dauer der Belastung abhängen, gilt für jeden der 22 Stoffe jeweils ein Grenzwert für kurzzeitige Belastungen (darf nie überschritten werden) und einer für andauernde Belastungen (darf gemittelt über zwei Wochen nicht überschritten werden).
Für alle organischen Pestizide ohne ökotoxikologischen Grenzwert gilt der generelle Grenzwert von 0,1 µg/l. In Gewässern, aus denen Trinkwasser gewonnen wird, gilt dieser Grenzwert – er entspricht dem Höchstwert für Trinkwasser – auch als Obergrenze für die ökotoxikologisch geregelten Pestizide mit einem ökotoxikologisch basierten Grenzwert grösser als 0,1 µg/l.
Kleine und mittelgrosse Fliessgewässer besonders durch die Belastung mit Pestiziden betroffen
Am stärksten ausgeprägt sind Verunreinigungen durch Pestizide in kleinen und mittelgrossen Fliessgewässern. In fast allen dieser Gewässer, die in NAWA TREND untersucht werden, überschreiten Pestizide ihre ökotoxikologischen Grenzwerte. In den betroffenen Fliessgewässern werden empfindliche Tier- und Pflanzenarten einem zu hohen Risiko für Schädigungen durch diese Stoffe ausgesetzt. Deutlich geringer ist die Pestizidbelastung in den grossen Flüssen. In der Mehrzahl davon überschreiten keine Pestizide ihre Grenzwerte.
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) in der Landwirtschaft ist die Hauptursache für die beobachtete Pestizidbelastung in den kleinen Bächen. Mehr als die Hälfte aller Grenzwertüberschreitungen sind aktuell durch Pestizide verursacht, die ausschliesslich für den Einsatz als PSM zugelassen sind. Einigen dieser Stoffe wurde in der Zwischenzeit die Bewilligung entzogen oder die Anwendung eingeschränkt. Es ist zu erwarten, dass die Belastung durch diese Stoffe (bspw. Chlorpyrifos, Isoproturon, Thiacloprid) in Zukunft abnimmt.
Ein hohes Risiko besteht insbesondere durch Insektizide, die bereits im Pikogramm-pro-Liter-Bereich (Millionstel Gramm-Bereich) eine schädigende Wirkung auf Wasserlebewesen haben.
Aqua&Gas Nr. 4/2022: Insektizide in Schweizer Fliessgewässern (PDF, 2 MB, 18.08.2022)Welche Risiken gehen von Pyrethroiden und Organophosphaten aus?
Aqua&Gas Nr. 11/2019: Geringe Konzentrationen mit grosser Wirkung (PDF, 1 MB, 18.08.2022)Nachweis von Prythroid- und Organophosphat-Insektiziden in Schweizer Bächen im pg l-1-Bereich
Um die Einträge von Pestiziden in die Gewässer mit Massnahmen an der Quelle zu senken, ist primär die Landwirtschaft gefordert. Der Bundesrat will die Pestizidbelastung in den Gewässern und in der Umwelt generell reduzieren. Darum hat er 2017 den Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln verabschiedet. Weiter hat das Parlament im Jahr 2021 das Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden beschlossen (Pa.Iv. 19.475). Nach der Umsetzung der Neuregelungen sollte die Belastung der Gewässer mit Pestiziden deutlich abnehmen.
Arzneimittel überschreiten Grenzwerte in vielen mittelgrossen und grossen Gewässern
Die drei in der GSchV geregelten Arzneimittel (Azithromycin, Clarithromycin, Diclofenac) überschreiten die Grenzwerte mehrheitlich in mittelgrossen bis grossen Fliessgewässern. Dabei verursacht das Schmerzmittel Diclofenac weitaus am meisten Überschreitungen des ökotoxikologischen Grenzwerts.
Arzneimittel gelangen grundsätzlich mit dem gereinigten Abwasser in die Gewässer. Auch Abwässer aus Industrie und Gewerbe werden entweder direkt über eigene ARA oder indirekt über kommunale ARA in die Gewässer geleitet. Noch entfernen die meisten ARA in erster Linie die Nährstoffe aus dem Abwasser. Mikroverunreinigungen werden nicht oder nur teilweise zurückgehalten und gelangen in die Gewässer. Die Aufrüstung durch eine zusätzliche Reinigungsstufe läuft aktuell und wird hier in den kommenden Jahren Besserung bringen.
An der internationalen Rheinüberwachungsstation Weil am Rhein (RÜS) werden im Rhein bei Basel mit modernster Analysetechnologie 680 Parameter gemessen, mehr als die Hälfte davon täglich. Zusätzlich wird täglich auch nach unbekannten Stoffen gesucht (Screening). So wird eine Gesamtfracht von rund 140 Tonnen Mikroverunreinigungen pro Jahr erfasst. Viel zu dieser Gesamtfracht tragen Stoffe bei, die hauptsächlich über kommunales Abwasser in den Rhein gelangen.
Mit der Screening-Methode werden immer wieder neue Stoffe nachgewiesen. Dabei handelt es sich auch um Stoffe, die aus der industriellen Produktion stammen, nur lokal von Bedeutung sind und deren Eintragsdynamiken sehr variabel sein können. Auf der Grundlage dieser Nachweise werden industrielle Einleiter identifiziert und die Verunreinigungen in Zusammenarbeit mit den Verursachern reduziert.
Eine Situationsanalyse zu industriellen Abwässern, die unter anderem auf die Resultate der RÜS aufbaut, bestätigt, dass mit Industrieabwässern bedeutende Mengen an Mikroverunreinigungen in einzelne Gewässer gelangen können. Dabei unterscheidet sich das Stoffspektrum je nach Produktionsstandort stark. In Einzelfällen kann die Giftigkeit der Stoffe für die Wasserlebewesen ein Problem sein. Meist liegt das Hauptproblem aber darin, dass durch die Einleitung hoher Mengen einzelner Stoffe diese auch in Gewässern, die der Trinkwassernutzung dienen, nachgewiesen werden (Wunderlin und Gulde, 2022).
Mikroverunreinigungen permanent über dem Grenzwert
Die Untersuchungen zeigen, dass die Wasserqualität in den Fliessgewässern die gesetzlichen Mindestanforderungen vielerorts und zum Teil anhaltend nicht erfüllt. Viele Fliessgewässer sind praktisch permanent durch Mikroverunreinigungen über den Grenzwerten belastet und somit verunreinigt. Dies gilt sowohl für Mikroverunreinigungen aus Rückständen von Pestiziden wie Arzneimitteln.
Haupterkenntnisse der bisher durchgeführten Spezialuntersuchungen (NAWA SPEZ)
NAWA SPEZ 2012: Im NAWA SPEZ 2012 lag der Fokus auf der möglichst vollständigen Erfassung der Belastung von mittelgrossen Gewässern durch Pestizide (PSM und Biozide). Die Ergebnisse wiesen klar auf die hohe Relevanz von PSM für die stoffliche Belastung von Fliessgewässern hin
Über 100 Pestizide in Fliessgewässern (PDF, 5 MB, 01.03.2014)Programm NAWA Spez zeigt die hohe Pestizidbelastung der Schweizer Fliessgewässer auf. Artikel aus Aqua & Gas 3/2014
NAWA SPEZ 2015: Mit der NAWA SPEZ 2015 Studie lagen die kleinen Fliessgewässern im Fokus. In den 5 untersuchten Gebieten mit intensiver landwirtschaftlichen Nutzung wurden in hohe Konzentrationsspitzen von PSM gefunden, die schädigende Auswirkungen auf Wasserlebewesen haben.
Aqua&Gas 4/2017: Hohe PSM-Belastung in Schweizer Bächen (PDF, 3 MB, 19.08.2022)NAWA SPEZ-Kampagne untersucht Bäche in Gebieten intensiver landwirtschaftlicher Nutzung
NAWA SPEZ 2017: Im NAWA SPEZ 2017 lag der Fokus wie im 2015 auf die PSM-Belastung von kleinen Fliessgewässern in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten. Dabei war erstmals für 2 Standorte ein Vergleich über zwei aufeinanderfolgende Jahre möglich. Die Studie hat ebenfalls gezeigt, dass einzelne Pestizide nicht nur über längere Zeit in zu hohen Konzentrationen vorkommen, sondern auch oft verschiedene Pestizide gleichzeitig zu hohe Risiken für die Gewässerlebewesen verursachen, und dies bis in den Herbst hinein.
Aqua&Gas 4/2019: Anhaltend hohe PSM-Belastung in Bächen (PDF, 1 MB, 18.08.2022)NAWA SPEZ 2017: Kleine Gewässer in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft verbreitet betroffen
Weiterführende Informationen
Links
Dokumente
Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern und ökologische Bewertung (PDF, 12 MB, 28.08.2015)Gesammelte Studien und Fachberichte
Mikroverunreinigungen aus der Landwirtschaft (PDF, 26 MB, 23.08.2022)Gesammelte Studien und Fachberichte
Mikroverunreinigungen aus Siedlung und Industrie (PDF, 10 MB, 28.08.2015)Gesammelte Fachberichte
Mikroverunreinigungen aus dem Verkehr (PDF, 5 MB, 28.08.2015)Gesammelte Fachberichte
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Elimination von organischen Spurenstoffen bei AbwasseranlagenFinanzierung von Massnahmen. 2016
Mikroverunreinigungen: Beurteilungskonzept für organische Spurenstoffe aus kommunalem Abwasser (PDF, 3 MB, 01.07.2011)Bericht im Auftrag des BAFU. Juli 2011
Beurteilungskonzept für Mikroverunreinigungen aus diffusen Einträgen (PDF, 4 MB, 01.10.2014)Bericht im Auftrag des BAFU
Letzte Änderung 23.08.2022